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Leitungen müssen immer mehr Wind- und Sonnenstrom aufnehmen / Stabilität gerät in Gefahr Stromversorger kämpfen gegen Netzkollaps

Von Torsten Scheer 27.04.2013, 01:13

Die Energieversorger in Sachsen-Anhalt müssen die Stromerzeugung aus Wind oder Sonne immer häufiger drosseln. Es geht darum, einen Netzkollaps zu verhindern.

Magdeburg l Der Energieversorger E.ON Avacon musste im vergangenen Jahr im Norden von Sachsen-Anhalt mehrfach regulierend in das Stromleitungsnetz eingreifen, um dessen Stabilität zu sichern. Hintergrund ist der stetig wachsende Anteil von eingespeistem Wind- oder Sonnenstrom.

"Sorgen macht uns nicht unser eigenes Mittel- und Hochspannungsnetz", sagte E.ON-Avacon-Sprecherin Corinna Hinkel der Volksstimme. Dieses habe man seit dem Jahr 2000 unter anderem mit dem Bau von rund 400 Kilometer Hochspannungsleitungen, mehr als 2000 Kilometer Mittel- und Niederspannungsleitungen und 35 neuen Umspannwerken beispielsweise mit Stendal West für die Aufnahme von grünem Strom fit gemacht.

Probleme gebe es unter anderem dann, wenn E.ON Avacon bei starkem Wind den von den Verbrauchern nicht benötigten Strom in das überregionale 380-kv-Höchstspannungsnetz des ostdeutschlandweit agierenden Betreibers "50 Hertz Transmission" schiebt und dort Engpässe entstehen. "Konkret mussten wir im vergangenen Jahr neunmal die Einspeiseleistung regeln oder abschalten, weil das Höchstspannungsnetz keinen Strom mehr aufnehmen konnte", sagte Hinkel. 2011 musste nur zweimal abgeregelt werden.

Das E.ON-Avacon-Netz wird von der zentralen Netzleitstelle im niedersächsischen Salzgitter überwacht. In Fällen, in denen aufgrund hoher Einspeisung und geringem Verbrauch das Stromnetz zu wackeln droht, kann die Leitstelle eingreifen und die Einspeiseleistung etwa von Windparks ferngesteuert reduzieren oder abschalten.

Milliarden-Investitionen in Netze und Umspannwerke

Im E.ON-Avacon-Netz im nördlichen Sachsen-Anhalt sind von der Hoch- bis zur Niederspannungsebene inzwischen Wind- oder Solaranlagen mit einer installierten Leistung von über 2000 Megawatt in Betrieb. Das bedeutet: Zwischen Altmark und Harz werden Strommengen aus erneuerbaren Energien erzeugt, die einer Leistung von zwei Großkraftwerken entsprechen und die so etwa zwei Millionen Haushalte mit Strom versorgen könnten.

"Mit fast 6000 installierten Anlagen von großen Wind- und Photovoltaikparks bis zur kleinen Solaranlage auf dem Hausdach werden in den von E.ON Avacon versorgten Gebieten in Sachsen-Anhalt bereits heute im Jahresdurchschnitt 125 Prozent, zu Spitzenzeiten bis 200 Prozent des eigenen Strombedarfs und damit ein deutlicher Überschuss an Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt", beschreibt Hinkel die Situation. "Tendenz weiter steigend." Bei starkem Wind würden Einspeisung und Verbrauch mehr als 1000 Megawatt auseinanderliegen, die ins Höchstspannungsnetz geschoben werden müssten.

Der größte regionale Verteilnetzbetreiber in Ostdeutschland, Mitnetz Strom mit Sitz in Halle, bestätigt: "In keiner anderen Region Deutschlands entstehen ohne Rücksichtnahme auf die vorhandenen Stromnetze und die bestehende Stromnachfrage so viele leistungsstarke Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien wie hier", so der technische Geschäftsführer Adolf Schweer.

Mitnetz Strom, das weite Teile von Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen über ein Leitungsnetz von 77000 Kilometern Länge versorgt, musste im vergangenen Jahr per Funksignal über die zentrale Schaltleitung in Taucha bei Leipzig fast 100-mal die Stromerzeugung vornehmlich aus Wind und Sonne herunterfahren, um eine Überlastung des Stromnetzes zu verhindern. Damit hat sich die Zahl der Eingriffe gegenüber dem Vorjahr nahezu verdoppelt.

Um die Netzengpässe zu beheben, will das Unternehmen in den kommenden zehn Jahren über eine Milliarde Euro in die Stromnetze unter anderem in deren Ausbau sowie den Neubau und die Erweiterung von Umspannwerken investieren.

E.ON Avacon plant für die nächsten zehn Jahre mit einem Investitionsvolumen von "deutlich mehr als einer Milliarde Euro", sagte Hinkel. Noch im ersten Halbjahr sollen zwei neue Umspannwerke in Ellenberg (Altmarkkreis Salzwedel) und Erxleben (Börde) in Betrieb genommen werden. In Planung beziehungsweise im Bau sind sechs Umspannwerke: Sommersdorf (Börde), Förderstedt (Salzlandkreis), Genthin (Jerichower Land), Ilsenburg (Harz), Jeeben und Binde (beide Altmarkkreis Salzwedel).

Beim Landesverband Erneuerbare Energie Sachsen-Anhalt kennt man die Situation. Hier argumentiert man, dass zur Entlastung der Stromnetze unter anderem der zügige Ausbau der neuer Trassen beitragen könne, so Geschäftsstellenleiter Jörg Dahlke.