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In der Eschenröder Kirche steht eine von zwei noch spielbaren Orgeln des Helmstedter Meisters Ein warmer und trotzdem klarer Klang

07.02.2014, 01:17

Seit einigen Jahren erforscht Kurt Müller die Geschichte seines Heimatdorfes Eschenrode. In Karl Thielecke hat er einen Verbündeten gefunden, ganz besonders was die Kirche und die Orgel angeht, denn das In-strument hat besonderen Denkmalwert.

Eschenrode (aro) l "Eine Kirche mit ihrem hochragenden Turm prägt die Silhouette eines Dorfes. Das Leben in der Kirche und in der Kirchengemeinde wird von zwei lauten, dennoch feierlichen Stimmen umrahmt - dem Geläut der Glocken und dem Klang der Orgel", so formuliert Dr. Karl Thielecke, ein gebürtiger Weferlinger, der sich vor allem mit den Glocken der Kirchen in seiner alten Heimat beschäftigt.

Im Turm der Eschenröder Kirche hängt neben zwei Stahlgussglocken aus dem Jahre 1922, die die im Ersten Weltkrieg konfiszierten Bronzeglocken ersetzen, die sogenannte Nievoldhagen-Glocke, die nach der Inschrift im Jahre 1511 vom Magdeburger Clawes (Klaus) Backmester gegossen wurde. Es gibt eine Sage, wie die Glocke von der Wüstung Nievoldhagen nach Eschenrode gekommen sei. Nach Meinung von Karl Thielecke ist es aber eher unwahrscheinlich, dass die Sage einen realen Hintergrund hat.

Wenig Beachtung fand bisher die Orgel der Kirche. Bei seinen Forschungen zur Geschichte seines Dorfes stellte Kurt Müller fest, dass wenig darüber bekannt ist. Gerade studiert er die zahlreich erhaltenen Kirchenakten. Bei Karl Thielecke fand er Unterstützung. Ein Gutachten von Christoph Noetzel, dem Orgelsachverständigen des Landeskirchenamtes, brachte endgültige Klarheit auch über den Wert des königlichen Instruments.

Die Orgel wird zu den meist gering besuchten Gottesdiensten nur selten gespielt. Schon im Jahre 1991 wurde diese Orgel von einem Sachverständigen als interessant charakterisiert, weil es eine noch spielbare Orgel des Orgelbauers Johann David Boden aus Helmstedt ist.

"Herr Boden ist ein guther und geschickter Arbeiter, aber er ist sehr teuer"

Der Sachverständige schrieb damals: "Boden war ein recht bedeutender Orgelbauer seiner Gegend..." Es gibt nur noch drei Orgeln aus seiner Werkstatt, eine in Eschenrode und eine in Sambleben in Niedersachsen. Die Orgel in Sambleben wird noch regelmäßig für Orgelkonzerte genutzt.

"Eine dritte Boden-Orgel befindet sich ebenfalls im Landkreis Börde in Üplingen, sie ist aber demontiert und für eine spätere Restaurierung eingelagert. Johann Daniel Boden ließ sich seine Arbeit gut bezahlen; in einem Zeitdokument ist zu lesen: "Herr Boden ist ein guther und geschickter Arbeiter, aber er ist sehr teuer..."

Johann Daniel Boden wurde vermutlich 1733 geboren. Er ließ sich 1756 in Helmstedt nieder. Im gleichen Jahr heiratete er die Pfarrerstochter Augusta Viktoria Peusten aus Eimersleben. Sie wohnten in Helmstedt und hatten acht Kinder, zwei Töchter und sechs Söhne.

Drei der Söhne wurden auch Orgelbauer. Christian machte sich in Halberstadt selbstständig, Gottlieb arbeitete im väterlichen Betrieb und starb 1810 vier Tage vor seinem Vater. Sohn Friedrich übernahm 1810 den väterlichen Betrieb. Auch Enkel ergriffen den Orgelbauer-Beruf, ab etwa 1871 ging der Familienbetrieb in fremde Hände über.

Johann Daniel Boden hat die Orgel in der Eschenröder Kirche gemeinsam mit seinem Sohn Friedrich erbaut. Der Vertrag vom Januar 1800 sah einen stattlichen Preis vor: 365 Reichstaler.

"Die Orgel besitzt besonderen Denkmalwert"

Für die Wartung der Orgel hatte Boden einen Jahresbetrag von zwei Reichstalern vereinbart. Als der Eschenröder Kirchenvater Bosse die Auszahlung mit der Begründung verweigerte, die sehr spärlichen Kirchenbesucher füllen nicht die "Klingelbeutel", musste 1806 das Patronatsstift Walbeck schlichten und die Nachzahlung von vier Talern veranlassen.

Der Orgelsachverständige Christoph Noetzel bestätigte nach dem Besuch vor zwei Monaten, dass es sich um eine Boden-Orgel handelt: "Diese Orgel ist eine seiner wenigen Werke und wurde kaum verändert. Ihr warmer und trotzdem klarer Klang zieht den Zuhörer sofort in seinen Bann. Als eine der wenigen lokal-authentischen Instrumente besitzt diese Orgel daher besonderen Denkmalwert." Der Prospekt sei dreigeteilt, auffallend sei der kleine goldene Stern, der an einen Zimbelstern erinnert, beschreibt Noetzel die Orgel. Die Prospektpfeifen sind aus Zink und wurden nach Abgabe der Originalpfeifen 1917 ersetzt.

Auffallend sei der lange Holzkanal zur Windanlage, damit die Motorgeräusche in der Kirche nicht so zu hören sind. Holzwurmbefall wurde nicht gefunden, stellt der Gutachter fest. Die Orgel wurde lange nicht gewartet, der Sachverständige nennt eine Reihe von noch nicht dringlichen, aber notwendigen Arbeiten zur Instandsetzung der Orgel.

Kurt Müller will jetzt noch Aufschluss über das Altargemälde haben. Da steht die Experteneinschätzung noch aus. Über die Kirche gibt es viel Interessantes, hat er bereits herausgefunden und erzählt zum Beispiel über den Stuhl-Streit. Vermutlich um 1700 mussten die Einwohner ihre Stühle selbst bauen, um darauf in der Kirche zu sitzen. Da habe es ständig Streit gegeben, wo jeder seinen Stuhl hinstellen kann. "Jeder wollte sein Recht behaupten", sagt Kurt Müller. Schließlich musste in Magdeburg geschlichtet werden: Die Kirche kaufte die Stühle den Einwohnern ab und so hatte keiner mehr Recht auf einen besonderen Platz. Die Bänke wurden erst sehr viel später angeschafft.