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Hamburger Verein lässt das Schiffswrack, das einst arbeitsreiche Zeiten auch auf der Havel hatte, wieder aufarbeiten Dampfer "Dora" als ein Stück Havelberger Geschichte soll nach Dornröschenschlaf wieder Fahrt aufnehmen

Von Herbert Stertz 06.08.2011, 04:32

Wieder ist Sommer- und Ferienzeit. Da gehen die Gedanken der älteren Havelberger zurück in die Jahre, in denen sie als Wassersportler dem Oldtimer auf der Havel begegneten oder sich von ihm nach Ferchesar schleppen ließen. Auch so manche Landratte erinnert sich an eine der legendären Fahrten mit dem Dampfer "Dora" nach Garz oder nach Rathenow, wo er eigentlich beheimatet war. Meist aber konnte man ihn am Anleger in Havelberg bewundern.

Nun kam Dampfer "Dora" erneut ins Gespräch, besteht doch die Aussicht darauf, dass er nach seinem trockenen Veteranendomizil in Premnitz wieder auf Fahrt gehen könnte.

Als ich die entsprechende Reportage in der "Märkischen Allgemeinen" in die Hände bekam, erwachte mein Wassersportlerherz und ich holte meinen Beitrag über die "Dora" aus meinem Band "Havelschifffahrt unter Dampf" wieder hervor in der Absicht, das Thema neu aufzugreifen.

Der Fahrgastschiffer Wilhelm Fahlenberg

Am Havelufer in Premnitz ganz in der Nähe moderner Wohnblöcke, die seit etlichen Jahren das Stadtbild im Süden bestimmen, steht die "Dora" neben einem ehemaligen Wohnschiff, zwischen Weiden und Schilf aufgebockt, gleich neben dem winzigen Bootshafen der Premnitzer Anglersparte. Als Schiff hat sie ausgedient, sie "liegt" nicht mehr, sie "steht" auf Land, und zwar unwiderruflich, das Havelwasser wird ihre Bordwände nicht mehr umplätschern. Auch hat man ihr das Zeichen ihrer Würde, den Schornstein mit Ring, geraubt, und statt seiner ragt an ganz unkonventioneller Stelle ein langes Ofenrohr aus dem Verdeck hervor, durch zwei Ketten gesichert, damit nicht eine kesse Bö den zu allem Ärger noch unsymmetrisch aufgesetzten Fremdkörper in irrer Wut wieder herunterreißt. Man sieht, dass sich junge Leute darum bemüht hatten, sie in eine Gaststätte zu verwandeln.

Das war also einmal die so beliebte "Dora"!

Als ich erfuhr, dass Wilhelm Fahlenberg, der langjährige Besitzer und Käpt\'n des Dampfers, noch lebte, besorgte ich mir seine Rathenower Adresse. Seine Tochter, bereits ebenfalls rüstige Rentnerin, hat ihren Vater auf den meisten Fahrten begleitet. Vor uns auf dem Tisch lag das sorgsam gepflegte Fotoalbum, in dem wir eifrig blätterten und dem ich gleich ein Foto entnahm. Vor mir erstand in lebendigen Bildern das Leben der Fahrgastschiffer, gestützt und genährt aus eigener Anschauung, denn Dampfer "Dora" gehörte mit zum Havelbild, wenn wir als Wassersportler unterwegs waren. Grüße wurden hinübergewinkt und kamen zurück, wenn wir uns begegneten. Wenn wir Pfingsten nach Ferchesar fuhren, nahm er uns bis Hohennauen ins Schlepp und oft war er im Havelberger Hafen an der Kaimauer vertäut, wie ein weißer Schwan der einzige Schmuck des oft trostlosen Hafenreviers.

Ursprünglich Schleppdampfer auf der Hamburger Alster, wurde er als Passagierschiff umgebaut und versah darauf als "Alsterdampfer" seinen Dienst, bis er auf die Havel umzog und dort seinen zweiten Umbau erlebte und Anfang der 40er Jahre im Fährdienst von der Werftbrücke Magdeburg nach dem Schiffshebewerk Rothensee unter dem Namen "Nixe" eingesetzt war, bis er 1942 nach einem wechselhaften "Leben" erneut zum Kauf angeboten wurde und in Besitz von Wilhelm Fahlenberg überging. Sie wurde "sein Schiff", und mit Stolz berichtete er, dass er ihm 26 Jahre treu blieb, bis zu seinem 74. Lebensjahr, wo es dann nicht mehr so recht ging, mit dem Schiffer und mit seiner "Dora".

Der Dampfer hatte keinen Maschinenschaden, keine Havarie, außer einer angeschlagenen Heckschraube. Um diesen Schaden zu beheben, brauchte das Schiff nicht einmal aufgeslipt zu werden, es wurde nur Achtern angehoben, und die reparierte Schiffsschraube konnte wieder aufgesetzt werden.

Doch berichten wir der Reihe nach: Erst einmal musste die "Nixe" in "Dora" umgetauft werden (das war der Name seiner Frau), dann hatte der neue Besitzer nicht viel Freude an seinem Schiff. Nach einem Bombenschaden (Vorschiff Steuerbord) lag es etwa ein Jahr in Brandenburg auf der Werft, um nach der Reparatur in Zehdenick eingesetzt zu werden. Inzwischen tobte die Schlacht um die Seelower Höhen, und jedes Transportmittel war recht, um die vielen Verwundeten ins Hinterland zu schaffen. "Dora" half dabei und zog manchen Kahn mit verwundeten Soldaten durch die Mecklenburgischen Wasserstraßen. In Neustadt-Glewe lag sie bei Kriegsende fest. Keiner wusste, was mit ihr geschehen würde.

Nach Kriegsschluss gelang es Käpt\'n Fahlenberg, von der sowjetischen Militäradministration die Freigabe des Schiffes zu erwirken. Es konnte nun nach Rathenow, seinem letzten Heimathafen, überführt werden, wo es mit seinem Liniendienst wichtige Verkehrsaufgaben zu lösen hatte. Die Schifffahrt musste Transportleistungen übernehmen, die eigentlich der Reichsbahn und dem Kraftverkehr zukamen. Nach Berlin fuhr man am bequemsten und sichersten mit einem Fahrgastschiff, eingekeilt in Menschen, die oft ihre letzte Habe in den Dörfern gegen Lebensmittel eingetauscht hatten. Die Fahrt dauerte einen ganzen Tag, denn allenthalben wurde angehalten, ein- und ausgeladen, Schleusen beanspruchten ihre Zeit, aber man hatte wenigstens irgendwo seinen Sitzplatz.

Für die Firma Fahlenberg sah das so aus: Montag: Rathenow-Spandau, Dienstag: Spandau-Rathenow, Mittwoch: Rathenow-Havelberg, Donnerstag: Havelberg-Rathenow, Freitag: Rathenow-Havelberg, Sonnabend: Betriebsfahrten von Havelberg aus, Sonntag: Havelberg-Rathenow

Diese Strecke kostete pro Person 3 Mark Fahrgeld. Die Berlinfahrer konnten an Bord "übernachten". Befördert wurden Personen und Stückgut.

In den 60er Jahren wurden die großen Linien eingestellt, aber nicht die nach Havelberg. Am Freitag fuhr "Dora" regelmäßig am Nachmittag nach Garz und zurück - eine Linie, die sehr beliebt war.

Stichwort Kohlen: Sie mussten in den Heizraum gekarrt werden, das war eine mühselige Arbeit, von der der Passagier nichts sah. Übrigens wurden auf der "Dora" nur Steinkohlen verheizt.

Besonders tückisch war der Plauer See. Oft verhinderte Nebel die Weiterfahrt und bei Wellengang ging auch mal das Wasser über Deck. Umgekehrt wurde dann etwa nicht, das Wendemanöver wäre ja auch gefährlicher als die Weiterfahrt gewesen.

Die älteren Havelberger, die sie noch gut kannten, waren traurig, als die "Dora" 1968 aus dem Verkehr gezogen wurde. Sie fehlt uns eigentlich auch heute noch, und sie hätte es verdient, dass man sich in gebührender Form von ihr verabschiedet hätte - mit Fähnchenschwenken und Hurrarufen, während sie unter Flaggenschmuck und einem letzten Gruß der Dampfsirene die Havel hinaufgeglitten wäre, eine leichte Rauchfahne hinterlassend, ein Stück auch Havelberger Vergangenheit.

Nun steht das, was von ihrer Herrlichkeit übrig geblieben ist, 50 Kilometer havelaufwärts im Ufergestrüpp, ein Haufen Schrott.

Wieder Alsterwasser unterm Kiel

In einem Beitrag von Ulrich Gassdor am 14. Juli 2010 über die Schifffahrt in Hamburg aus dem vergangenen Jahr steht: Der Verein Alsterdampferschifffahrt hat das Schiff entdeckt und aus seinem Tiefschlaf geweckt. Es soll wieder auf Alsterwasser schippern. Einen solchen Auftrieb haben die Menschen in der beschaulichen brandenburgischen Kleinstadt Premnitz wohl noch nicht erlebt: An der Uferstraße, direkt an der Havel, steht ein 500-Tonnen-Kran bereit, davor ein Schwerlasttransporter. Rund 100 Schaulustige beobachten, was hier geschehen soll. Kamerateams und Fotografen sind vor Ort und richten ihre Objektive auf das Objekt der Begierde: "Dora". Der älteste Alsterdampfer Hamburgs sieht ziemlich wrackig aus. Kein Wunder bei der Geschichte, die vor 135 Jahren begann. Nun wurde der 1875 in der Hansestadt gebaute Dampfer, seinerzeit ein schwanenweißes Schmuckstück, das bis 1923 als Personenschiff auf der Alster schipperte, aus seinem Tiefschlaf geweckt. Auf dem Landweg startete die Fahrt für "Dora" zur Werft nach Dresden-Laubegast. Dort wird der alte Kahn für sein zweites Leben aufgepäppelt.

In den vergangenen gut 40 Jahren war das verwunschene Grundstück an der Uferstraße in Premnitz die Heimat von Deutschlands ältestem Dampfschiff. Die sowjetische Armee hatte es 1969 mit Hilfe eines Kettenschleppers an Land gezogen, der damalige Kapitän Wilhelm Fahlenberg hatte den Betrieb aufgegeben. In Premnitz diente der Alsterdampfer unter verschiedenen Eigentümern fortan als Vergnügungsdampfer. Er kam zwar nicht in Fahrt, aber an Bord galt das Motto: "Eine Seefahrt, die ist lustig". Die gute alte "Dora" diente als Bordell.

Als 2005 das Rotlicht ausging, die Frauen aus Polen und Russland in andere Etablissements wechselten, war Schluss mit lustig. Das Schiff verfiel, der Rost nagte.

Das brach Matthias Kruse, dem Vorsitzenden des Hamburger Vereins Alsterdampfschifffahrt, beinahe das Herz: "Ich bin schon 1990 auf diese Rarität aufmerksam geworden und habe die "Dora" besichtigt. Solch ein gutes Stück Hamburg kann man nicht einfach der Abwrackwerft überlassen."

Nach Kruses erstem Besuch sollten noch 20 Jahre ins Land gehen. Aber dann war es so weit. Es wurde der Beschluss gefasst: "Wir retten Dora". Das war ein Glücksmoment auch für Holger Hartmann, dem letzten Eigentümer der "Dora". Der Verein war für ihn ein "Geschenk des Himmels". Warum? "Die sind mit einem Koffer voll Bargeld gekommen und haben mir viel mehr als den Schrottwert bezahlt." Von 25 000 Euro ist die Rede.

Die verwitterten Aufbauten der "Dora" wurden bereits abgerissen. Jetzt liegt hier nur noch ein rund 20 Meter langer und 20 Tonnen schwerer Schiffsrumpf. Dieser ist von Rost befallen, mit Moos bewachsen, die Holzplanken sind löchrig. Auf dem Deck liegen ein Anker, ein Hammer und ein vergilbter Rettungsring.

Das Grundstück an der Uferstraße mitsamt "Dora" hatte Holger Hartmann 1988 gekauft und betrieb zunächst das Lokal weiter: "Wir hatten immer volles Haus. Aber dann kam die Wende und es ging bergab." Deshalb wurde "Dora" zur Videothek, aber auch das Geschäft lief nach kurzer Zeit nicht mehr: "Dann kam mir die Idee, einen Puff auf dem Schiff zu eröffnen. Wir hatten hier das St. Pauli von Premnitz", sagt Hartmann lachend.

Inzwischen hievt der Kran den Dampfer behutsam auf den Schwerlasttransporter. Nach etwa 45 Minuten ist die Mission beendet, und dem Vereinsvorsitzenden Matthias Kruse rinnen die Schweißperlen von der Stirn: "Jetzt beginnt für ,Dora\' ein neues Leben. Wir werden wieder ein Schmuckstück aus ihr machen."

Behörden müssen noch zustimmen

Doch bis das älteste Dampfschiff Deutschlands wieder Alsterwasser unter dem Kiel haben wird, ist es noch ein langer Weg. Auf der Werft in Dresden-Laubegasten wird das Schiff zunächst vermessen, und danach sollen die Details der Restaurierung geplant werden. Die Kosten für die Instandsetzung schätzte Kruse auf rund 300000 Euro. Allerdings knüpft der Verein die Restaurierung an eine Bedingung: "Wir müssen von den Hamburger Behörden vorher eine Genehmigung dafür erhalten, dass der Dampfer nach der Restaurierung auch wieder auf der Alster fahren darf."

Vor einem halben Jahr platzte eine neue Meldung in die hoffnungsvoll begonnene Wiederbelebung der "Dora". Die Laubegaster Werft ist pleite. Sie hat sich bei der Auftragsübernahme für Großfähren nach Afrika verkalkuliert. Beruhigend wirkt, dass die Werftleitung trotz der Insolvenz den Betrieb weiterführen möchte. Sie ist trotz allem doch zuversichtlich. So ist also doch zu hoffen, dass die Wiederherstellung der "Dora" in ihrer alten Form als "Nixe" doch wieder Fahrt aufnimmt.

Ein Anruf bei der Alsterdampfschifffahrt darf beruhigen: Die Werft Laubegast arbeitet weiter, auch an der "Dora" bzw. "Nixe". Es ist noch Zukunftsvision: Wenn die Havelberger die Hansestadt Hamburg besuchen werden, können sie mit ihrer "Dora" eine Alstertour machen. Auf Wiedersehen in Hamburg!