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Volksstimme im Gespräch mit Ulrich Kasparick über sein gegenwärtiges Leben und die Politik der Großen Koalition "Ich bestimme das Tempo jetzt selbst"

13.01.2015, 01:09

Sogar junge Leute können mit dem Namen Ulrich Kasparick noch etwas anfangen, trotz der schnelllebigen Zeit. Immerhin gewann der heute 57-Jährige dreimal den hiesigen Bundestagswahlkreis, war Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Heute lebt Kasparick in Hetzdorf (Uckermark) und arbeitet als Gemeindepfarrer. Mit dem studierten Theologen sprach Volksstimme-Redakteur Ulrich Meinhard.

Volksstimme: Wie ist es Ihnen seit dem Ausstieg aus der Politik vor knapp vier Jahren ergangen?

Der Ausstieg war gründlich. Ich habe zwei Sabbath-Jahre in Anspruch genommen, in der Schweiz eine Ausbildung zum Körpertherapeuten absolviert, ein Büchlein geschrieben und mich dann auf die Arbeit in der vom demografischen Wandel am stärksten betroffenen Region Deutschlands vorbereitet. Mal wieder Neuland. Mich interessiert dabei die Frage, wie man angesichts der gegebenen Strukturen - 20 Dörfer, elf Kirchen, neun Friedhöfe; Altersdurchschnitt: 75 Jahre; Halbierung der Bevölkerung seit 1990, Prognose: nochmalige Halbierung in den nächsten zehn Jahren - überhaupt arbeiten kann. Ich hab in meinem Leben immer solche Pionierarbeiten gemacht: erstes Stadtjugendpfarramt in Thüringen, Aufbau der Strukturen der Friedrich-Ebert-Stiftung in den Neuen Ländern, das Thema "Forschung" in den Neuen Ländern im Parlament und im Ministerium und schließlich "Aufbau Ost" im dafür zuständigen Ministerium.

Nun also: wie kann man mit dem demografischen Wandel konkret umgehen? Das ist wieder sehr spannend und auch ermutigend. Wir sind mit dem, was wir hier versuchen, mittlerweile im Fokus der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland, weil wir unsere Arbeit konsequent auf die Arbeit mit dem Internet ausgerichtet haben. Man will von unseren Erfahrungen damit in Stuttgart und Wien hören und auch die öffentliche Resonanz auf unsere Projekte ist ermutigend (Süddeutsche, NDR, MDR, Bayrischer Rundfunk, Tagesspiegel, Schweriner Zeitung, Nordkurier und andere).

Gibt es etwas, was Sie aus Ihrer Berliner Zeit vermissen?

Den Politikbetrieb vermisse ich überhaupt nicht. Was fehlt: das häufige und intensive Gespräch mit den Kollegen.

Was hat sich als nachhaltiger und nachhallender erwiesen: die Arbeit als Polit-Junkie oder ihre jetzige Tätigkeit als Seelsorger?

Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Arbeit hier nachhaltiger ist, also dauerhafter wirkt als die Arbeit in Parlament und Regierung. Der große Vorteil jetzt: ich bin kein vom Kalender Getriebener mehr, sondern kann das Tempo selbst bestimmen.

"Ich mische mich nach wie vor ein, vor allem online."

Inwieweit sind Sie noch gesellschaftlich aktiv?

Ich mische mich nach wie vor ein. Ich tue das vor allem online. Social media (facebook, twitter, google+) und zwei blogs. Da ist etliches zu tun. Dazu kommt noch die eine oder andere größere Veranstaltung in Berlin oder anderen Orten als Referent oder Moderator, auch will der eine oder andere Texte haben, die gearbeitet sein wollen.

Ist für Sie ein Wiedereinstieg in die Politik irgendwann denkbar?

Ich strebe kein politisches Amt an. Das sollen jetzt mal Jüngere tun und zeigen, was sie so drauf haben.

Für wie gut schätzen Sie die Arbeit der Groko auf einer Skala von 1 bis 10 ein?

Die Arbeit der Großen Koalition begleite ich sehr kritisch. Es ist keine gute Entwicklung für unsere parlamentarische Demokratie, wenn eine wirksame Opposition faktisch nicht mehr stattfindet angesichts der erdrückenden Mehrheiten. Man kann das beispielsweise an der Asylgesetzgebung sehen - Abschiebung in sogenannte sichere Drittstaaten. Auch halte ich die Rentenreform für falsch, weil sie die kommenden Generationen zusätzlich stark belastet.

Wird die Maut für deutsche Autofahrer kommen?

Da muss man den Bundesverkehrsminister fragen. Ich kann das nicht sachgerecht beurteilen. Sicher ist: der Haushalt des Bundesverkehrsministeriums ist nach wie vor unterfinanziert. Die nach der Wende im Osten neugebauten Autobahnen und Bundesstraßen müssen ja mittlerweile saniert werden (nach 20 bis 25 Jahren ist das fällig) dazu kommt der Reparaturstau im Westen. Man muss sich etwas Dauerhaftes einfallen lassen, wie man diese Aufgabe finanzieren will.