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  7. Mühe vergebens: Deich hält dem Druck nicht stand

Um Mitternacht bricht der Fischbecker Wall / Deich in Hohengöhren steht 19 Sunden später noch Mühe vergebens: Deich hält dem Druck nicht stand

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 11.06.2013, 03:20

Katastrophe im Altkreis Havelberg. Der Deichbruch in Fischbeck hat gestern weite Teile des Elbe-Havel-Landes überflutet. Mehrere Orte stehen unter Wasser.

Fischbeck/Hohengöhren l Soldaten und Lausitzer Feuerwehrleute stapeln Sandsack auf Sandsack am Fischbecker Deich. Hier hatten schon tagsüber unzählige Helfer versucht, ein Brechen des Walles zu verhindern. Vorsichtiger Optimismus macht sich breit. Doch kurz nach Mitternacht gibt es kein Halten mehr - der Deich gerät auf 50 Metern ins Rutschen.

Die Männer laufen um ihr Leben, springen in Autos, fahren ins Dorf. Hier beginnt die Evakuierung der letzten Gebäude; die meisten Dorfbewohner waren der Aufforderung, ihre Sachen zu packen, bereits am Tage gefolgt. Die Polizei fährt mit Lautsprecherwagen auch durch das benachbarte Schönhausen, wo rund 1700 Menschen wohnen, und fordert diese auf, sich in Notunterkünfte nach Stendal zu begeben. Wenige Stunden später ist das schon nicht mehr möglich. Denn durch das Loch im Deich ergießt sich das Wasser in Richtung Schönhausen, Kabelitz und Wust, überflutet die B107 und die B188. Damit ist auch die Tangermünder Brücke nicht mehr passierbar. Die meisten Fischbecker und Kabelitzer hatten sich schon in der Nacht nach Tangermünde und in andere westelbische Orte begeben, Schönhauser finden Unterschlupf auf höhergelegenen Gehöften in Hohengöhren oder auf dem Damm. Fischbeck und Kabelitz stehen wenige Stunden später einen Meter unter Wasser.

Fassungslosigkeit und gute Wünsche

Am Vormittag hat das Wasser sich seinen Weg bis nach Schönhausen gebahnt, der Strom wird abgeschaltet. Nur wenige Stellen im Ort sind höhergelegen. "Unglaublich!" steht Verbandsbürgermeister Bernd Witt fassungslos vor dem gerade sanierten Bürgerzentrum. Nur noch wenige Schönhauser sind vor Ort, warten bis zuletzt, um sich in Sicherheit zu bringen. Gegenseitig wünscht man sich, sich bald gesund und wohlauf wiederzusehen.

Und dann gibt es noch eine Nachricht, die seit der Nacht Sorgen bereitet: Deichwachen entdecken ein Stück abgesackten Deich bei Hohengöhren.

Mit dem Boot zum abgerutschten Deich

Auf rund 30 Metern ist der Wall landseitig zur Hälfte abgebrochen. Man könne nichts machen, heißt es bei den nächtlichen Kontrollen durch den Verbandsbürgermeister vom LHW vor Ort, die Örtlichkeit sei ungeeignet für Maßnahmen.

Doch die Hohengöhrener geben nicht auf. Als der Morgen graut, rückt der örtliche Fischer Gernot Quaschny mit einem Boot an. Zusammen mit der Feuerwehr wird nach einer Möglichkeit gesucht, das Abrutschen zu verhindern. In der naheliegenden Zimmerei von Hartmut Wagener werden zwei Meter lange Pfähle gefertigt, die die Helfer vom Boot aus an der abgerutschten Stelle in den Boden schlagen. Als dieser Ring fertig ist, werden Sandsäcke eingefüllt.

Inzwischen ist die Kommandantur des Klietzer Truppenübungsplatzes mit über 100 Soldaten und zivilen Mitarbeitern angerückt, dazu 40 Feuerwehrleute und freiwillige Helfer sowie später über 100 Soldaten der Brigade 41 aus Havelberg und Kusel in Rheinland-Pfalz. Kommandant Oberstleutnant Wiederhold koordiniert den Einsatz. Alle wollen mit Macht verhindern, dass auch dieser Deich bricht.

Sogar zwei Amphibienfahrzeuge des Panzerpionierbataillons aus Minden rücken an, um von der anderen Elbseite her Sandsäcke zu bringen. Zwei Hubschrauber der Bundespolizei lassen Big Packs auf dem Deich ab. Mit Folie wird versucht, den Deich auch von der Wasserseite zu stabilisieren - auch das ist eine Eigen-Konstruktion.

Die aufkeimende Hoffnung, dass der Deich gehalten wird, schwindet gegen Mittag, als knapp 100 Meter weiter ein weiterer Riss im Deich entdeckt wird. Während man sich noch Gedanken macht, was man dort tun könnte, gerät der Deich in Bewegung und zwei weitere Stellen sacken ab. Alle Kräfte bringen sich rennend in Sicherheit. Doch noch hält der Deich. Aber auch für die Bundeswehr ist es nun zu gefährlich. Um 16.30 Uhr heißt es, dass man dem Hohengöhrener Deich noch drei Stunden gibt...