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Tangerhütter Sekundarschüler besuchen im Ethikunterricht Hospiz und Geburtsstation In einer Schulstunde vom Ende des Lebens zu seinem Beginn

Von Nora Knappe 04.12.2010, 05:16

Beim Gedanken ans Hospiz schrecken viele zurück, aber das Sterben gehört zum Leben – deshalb findet Schwester Gundis Gebauer es wichtig, auch mit jungen Leuten über ihre Arbeit zu sprechen. Seit vielen Jahren nehmen Zehntklässler aus Tangerhütte dieses Angebot wahr.

Stendal. "Kommen Sie hier rein, drüben haben wir grad eine Feierlichkeit." Schwester Gundis Gebauer lotst die Schülergruppe zu sich in den Versammlungsraum. Eine Feier im Hospiz? Passt das? Ja, das passt. Auch wenn im Hospiz das Sterben im Vordergrund steht – gelebt wird hier trotzdem. Und so ist es ein wunderbarer, wenn auch befremdlicher Zufall, dass beim Besuch der 17 Zehntklässler aus Tangerhütte im Stationären Hospiz gerade eine Hochzeit stattfindet.

Der Raum der Stille wird zum Trauzimmer, die Standesbeamtin ist aus dem Rathaus in die Wendstraße gekommen, und die Braut – auch sie ist hier eigentlich nur zu Besuch. Denn ihr Mann ist sterbenskrank, wird im Hospiz betreut und wollte, im Angesicht seines Todes, noch einmal ja zum Leben sagen. Ja zu seiner Frau.

Etwas unangenehm ist es den Zehntklässlern, wie Schaulustige in die kleine private Feierrunde zu lugen. Ist das doch hier ein Ort, der ohnehin auf viele Menschen beklemmend, wenn nicht gar angstmachend wirkt. Der Gedanke an diese Situation wird einige von den Jugendlichen sicher noch durch den Tag begleiten, Fragen aufwerfen oder die Erkenntnis bringen: In einem Hospiz könnte ich nicht arbeiten.

Mit 15, 16 Jahren hat man gewiss andere Dinge im Kopf, als ans Sterben zu denken. Im Ethikunterricht aber kann man auch den Tod nicht ausklammern. Deshalb führen die Lehrer der Wilhelm-Wundt-Sekundarschule Tangerhütte ihre Zehntklässler Jahr für Jahr ins Stendaler Hospiz. Schwester Gundis erklärt die Entstehungsgeschichte und den Leitgedanken des Hospizes, sagt, wie wichtig es ist, sich um die Angehörigen zu kümmern und dass zum würdevollen Tod ein richtiger Sarg gehört, und kein Leichenbeutel mit Reißverschluss.

Am Eingang zum stationären Hospiz brennt eine Kerze: kein Adventslicht, es ist die Sterbekerze. Vor der Tür eines Zimmers liegen getrocknete Blüten – ein Ritual, immer wenn jemand gestorben ist.

Schwester Gundis zeigt ein Zimmer, das Bad, die Küche, sie berichtet von dem ganz normalen Leben, das hier weitergehen soll. "Wer gern ausschläft, darf das tun. Und wer rauchen möchte, kann auch im Bett auf die Terrasse gerollt werden." Selbst Haustiere sind bei Besuchen erlaubt, manch Wellensittich ist schon mit eingezogen.

Hospizarbeit ist keine leichte Sache, aber Schwermut beherrscht nicht die Stimmung. "Hier wird auch viel gelacht, wir können Gefühle zeigen vom Weinen bis zum wilden Lachanfall", sagt Frau Gebauer.

Ein bisschen Erleichterung ist den Schülern anzumerken, als sie nach gut einer Stunde wieder gehen. Ein Fußmarsch an der frischen klaren Winterluft zur nächsten Station des Projekttages, der Geburtsstation – dorthin, wo das Leben beginnt.