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Schulsozialarbeit soll die Abbrecherquote senken / Eine schwierige Mission – am Beispiel der Berufsschule Optimist und Motivator von Beruf

Von Nora Knappe 29.01.2011, 05:36

An Sekundar-, Förder- und Berufsschulen werden Lehrer von Schulsozialarbeitern unterstützt. In ganz Sachsen-Anhalt gibt es rund 140 Stellen. Sie sind angetreten, die Schulversagensquote zu senken. Eine hehre Mission, wie sich am Beispiel der drei Berufsschul-Sozialarbeiter in Stendal zeigt.

Stendal. Jürgen Pfautsch nimmt ein Wort in den Mund, das heutzutage fast schon verpönt ist: Autorität. Wer es ausspricht, gerät schnell in den Verdacht, Methoden à la Kaiser Wilhelm zu befürworten. Für Pfautsch geht es aber um anderes, auch er ist vorsichtig in seiner Wortwahl, will sich richtig verstanden wissen. "Wir treten nicht autoritär, aber mit Autorität auf. Das ist genau das Passende für die jungen Leute bei uns. Sie brauchen klare Regeln und Normen. Und sie reagieren durchaus positiv auf diese Autorität."

Pfautsch ist einer von drei Schulsozialarbeitern an den Berufsbildenden Schulen. Über verschiedene Programme und Träger sind er, Elisabeth Seyer und Marcel Liskow hier beschäftigt. Sie haben eine hehre Mission: die Schulabbrecherquote senken, Schulverweigerer motivieren, in schulischen Krisen helfen und vermitteln. Einfühlungsvermögen und Rationalität, Erfahrung und ein Immer-wieder-neu-Denken sind gefragt in diesem gar nicht so einfachen Vermittler-Job. Und eben auch ein bisschen Autorität.

Pfautschs Kollegin Elisabeth Seyer bestätigt das. "Es gibt einfach zu viel Laisser-faire in der heutigen Gesellschaft. Alle haben immer die Wahl, können sich zwischen tausend Möglichkeiten entscheiden. Keiner muss mehr einfach nur mal tun, was ihm gesagt wird." Zu viel wählen zu können, kann eben auch eine Überforderung bedeuten. "Und da resignieren die Schüler und sagen einfach: Keinen Bock."

Autorität wird geschätzt

Viele Jugendliche, um die es hier an der Berufsschule geht, gehören eben nicht zu jenen, die alles schon irgendwie selbst in den Griff kriegen: Pubertät, Schulprobleme, fehlende Anerkennung, Planlosigkeit in Sachen eigene Zukunft. "Auch aus dem Elternhaus kommt da zum Teil sehr wenig", stellt Elisabeth Seyer fest. "Wenn zu Hause schon die Motivation fehlt, weil Vater oder Mutter oder beide arbeitslos sind, ist es für die Schüler umso schwerer, sich aus eigenem Antrieb voranzubringen." Die eigene Frustration tragen sie jeden Tag in die Schule, geben sie an Klassenkameraden oder Lehrer weiter. Klar, dass es da kracht.

Die Schulsozialarbeiter erfahren mit ihrem Ansatz durchaus positive Resonanz. Nicht nur die Schüler, auch die Lehrerkollegen fänden den autoritär geprägten Stil richtig. Nur traut sich nicht jeder, das auch auszusprechen.

Aber nicht der Stil allein macht gute Schulsozialarbeit aus. Es sind die Mittel und Wege, die sich die drei erarbeiten, anwenden und immer mal überdenken. Zu Beginn eines Schuljahres gibt es Kennenlerntage, damit die Schüler mehr übereinander erfahren, damit die Klassenbildung beschleunigt wird, ein Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht. Jeder muss über seinen bisherigen Werdegang sprechen, es werden gemeinsame Regeln aufgestellt. Und natürlich helfen diese Gespräche auch dabei, dass die Lehrer ihre Schüler besser einschätzen können. Eine Leistungsdiagnostik und bei Bedarf individuelle Förderpläne ergänzen dieses Programm.

Nicht zuletzt werden bei all dem auch schon Konflikte entschärft. Die, die sich für die Besseren halten und zum Mobbing neigen würden, bekommen mit, dass hier alle mehr oder weniger die gleiche Vorgeschichte haben. Schulschwänzer, keine Lust zum Lernen – die Probleme gleichen sich. "Hier ist keiner besser oder schlechter als die anderen", sagt Bernd Pfautsch. "Und in vielen steckt viel mehr, als sie zeigen." Das versuchen Lehrer und Schulsozialarbeiter dann irgendwie hervorzukitzeln.

Warum braucht man aber überhaupt Schulsozialarbeiter? Sind die Lehrer überfordert, übersteigt sozialpädagogischer Anspruch das zeitliche Vermögen? Oder macht sich auch hier schon Resignation breit? Bernd Pfautsch findet eine ganz klare Antwort: "Lehrer sind vor allem für Bildung und Wissensvermittlung zuständig, wir können uns da mehr um den Erzie-hungsaspekt kümmern. Lehrer haben einfach nicht die Zeit, mit einer ganzen Klasse oder Einzelnen sozialpädagogische Maßnahmen durchzuführen." Oder sich mitten im Unterricht den Problemen eines rebellierenden Schülers oder einer tränenaufgelösten Schülerin zu widmen.

Da reicht ein Anruf bei den Schulsozialarbeitern, und wer von ihnen Zeit hat, geht los. Manche Schüler bekommen auch einen sogenannten Laufzettel, auf dem der Lehrer bestätigt, dass ein Gespräch mit den Schulsozialarbeitern erfolgen soll. In ihrem Büro auf dem Schulgelände ist während der Unterrichtszeit immer jemand da.

Wissen sollen und wollen die Lehrer anschließend aber unbedingt, worum es ging. Wenn sie nicht ohnehin Teil des Problems sind. "Es gibt Auseinandersetzungen zwischen Lehrern und Schülern, die sehr persönlich werden können", sagt Pfautsch. Vor allem die Schüler aus dem Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) fordern die ganze Aufmerksamkeit. Etwa die Hälfte, schätzt Pfautsch ein, kommt aus Elternhäusern, in denen von Motivation und Zukunftsperspektive kaum die Rede sein kann. Es sind spätpubertierende Jugendliche, die oft die Hoffnung auf sich selbst schon aufgegeben haben. Oder nicht wissen, wie sie selber zur Erfüllung einer Hoffnung beitragen können. "Ihnen muss klar werden, dass der erwünschte Hauptschulabschluss auch bei uns nur mit durchgängiger Leistungsbereitschaft zu schaffen ist", sagt Pfautsch.

Die jungen Leute in BVJ und BGJ, dem Berufsgrundbildungsjahr, die ja in anderen Anläufen schon gescheitert sind, davon zu überzeugen, dass sich die Anstrengung lohnt, ist keine leichte Aufgabe. Elisabeth Seyer: "Sie wissen, sie kriegen keine Arbeit, sie sind die Letzten. Und dann kommen wir und erzählen ihnen was von Zukunftsperspektive."

Die Schulsozialarbeiter wollen die Jugendlichen zu dem Erfolg führen, den jeder Einzelne zu erreichen in der Lage ist. Sei es der Schulabschluss oder dass sie überhaupt zur Schule kommen. Stärken finden, mal weg von den Defiziten. "Wenn man schon einen erreicht hat, der motiviert herkommt und sein Ziel erreichen will", sagt Elisabeth Seyer, "dann haben wir schon was geschafft."