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Seit 1878 ist der Name Gustrav Ullrich in Stendal präsent / Vom Buchbinder zum Bürobedarf Familiengeschichte mit Goldblattbüchern, Warenengpässen und Aufbruchstimmung

Von Fabian Böker 11.02.2012, 04:27

In unserer Serie "Hinter alten Inschriften" schauen wir hinter die Fassaden historischer Gewerbe in Stendal. Wir spüren die Menschen hinter diesen Schriftzügen auf und lassen sie ihre Geschichte erzählen. Heute Teil 6: Gustav Ullrich.

Stendal l Wer den Marktplatz in Stendal überquert, wird relativ schnell den Schriftzug "Gustav Ullrich" entdecken. Doch nur wenige Meter weiter kann man mit etwas Anstrengung den Namen noch einmal lesen, wenn auch mittlerweile übermalt und abgeblättert. Ein Hinweis auf eine lange Unternehmensgeschichte.

Lang ist diese tatsächlich, schließlich eröffnete dort der aus Magdeburg stammende Gustav Ullrich nach seinen Wanderjahren schon 1878 eine Buchbinderei und Papierhandlung. Am 19. September übernahm er den Laden von "Witwe Schwertfeger", wie aus der damaligen amtlichen Bekanntmachung hervorgeht, die Ullrichs Urenkel und jetziger Betreiber des Geschäftes, Klaus Ullrich, in seinem Besitz hat.

Ein umfangreiches Archiv über die Familiengeschichte

Überhaupt ist sein Archiv an Unterlagen über die Geschichte des Familienunternehmens sehr umfangreich. Von alten Annoncen über Kaufverträge und Fotos bis hin zu alten Arbeitsproben aus der Zeit, als das Buchbinden noch im Mittelpunkt des Sortimentes statt. "Mein Urgroßvater war stets darauf bedacht, möglichst kunstvolle Buchbindungen anzubieten", erzählt der 58-jährige Klaus Ullrich nicht ohne Stolz. Und die aufbewahrten Werke, teilweise mit Blattgold verziert, können sich sehen wirklich lassen.

Doch das Angebot reichte schon damals über die Buchdeckel hinaus. Eine Rechnung aus dem Jahre 1880 belegt dies: Comptoirbücher, Cartonnagen, Einbände, Schulbedarf, Visitenkarten und - "damals besaß noch jeder sein eigenes", so Klaus Ullrich - Gesangbücher.

Irgendwann übernahm dann Gustavs Sohn Emil das Geschäft. Den genauen Zeitpunkt kann heute niemand mehr benennen, dazu fehlen Unterlagen und Überlieferungen. Auch sonst ist nicht viel aus dieser Ära bekannt, was Klaus Ullrich und seine Frau Christiane bedauern. Informationen gibt es erst wieder ab der Nachkriegszeit. Emil Ullrich war in Kriegsgefangenschaft gestorben, seine Frau kurze zeit später an Krebs, so dass Sohn Herbert den Laden 1945 mit 38 Jahren übernahm. Er hatte schon seine Ausbildung zum Kaufmann im elterlichen Betrieb absolviert und seit den 30er-Jahren dort gearbeitet.

Aufgrund seiner kaufmännischen Lehre und der immer geringer werden Bedeutung der Buchbinderei lenkte Herbert den Fokus des Unternehmens schon vor seiner Übernahme hin zum Bürobedarf, woran sich bis heute nichts geändert hat. Am 11. Januar schließlich übernahm Klaus Ullrich das Geschäft von seinem dann schon 73-jährigen Vater. Das größte Problem blieb bestehen: die Warenbeschaffung. Christiane Ullrich berichtet von Privatfahrten nach Berlin, "um Kugelschreiberminen zu besorgen." Die staatlichen Zuteilungen reichten nicht aus.

Ein weiteres Problem kam zu Beginn der 80er-Jahre auf die Ullrichs zu: Lange Jahre gehörte ihr Unternehmen zu denen, die neben Privatkunden auch gewerbliche beliefern durften. Von einem Tag auf den nächsten nahm ihnen die DDR-Führung dieses Privileg weg, woraufhin neue Wege bestritten werden mussten. Man nahm Spielzeug mit ins Sortiment, konnte so den Umsatz steigern und das Spielzeug wieder absetzen - und dann kam die Wende.

Die ersten Jahre nach dem Mauerfall waren "erfrischend, man spürte eine richtige Aufbruchstimmung", denken Christiane und Klaus Ullrich einstimming an diese Zeit zurück. Sie traten einer Einkaufskooperation bei, erwarben ein neues - das heutige - Gebäude und wollten dieses sanieren. Die Renovierung scheiterte dann trotz erheblicher Investitionen an behördlichen Einschränkungen, so dass nur ein Abriss samt Neubau blieb. Seit dem 5. Juni 1997 residiert "Papier Bürobedarf" nun also am jetzigen Standort auf etwa 160 Quadratmetern.

Mit zwei Teilzeitkräften führt das Ehepaar Ullrich den Betrieb. Im Zentrum ihres Angebotes stehen Schulbedarf, Glückwunschkarten und - diesen Begriff möchte Klaus Ullrich unbedingt in der Zeitung sehen - Papeterie. Damit sind Artikel wie Geschenkpapier gemeint; Dinge, die das Leben schön machen", so Ullrich. Und auch wenn seine Frau Christiane sagt, eine Mischung aus der früheren Kundenzahl und der heutigen Warenmenge wäre ideal, macht beiden die Arbeit noch immer viel Spaß.