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"Man muss sich berufen fühlen"

03.08.2014, 11:56

In Elbingerode sieht man sie häufig, die Frauen in dunkelblauen Kleidern und mit weißen Hauben: Diakonissen. Doch was bedeutet es eigentlich, einen solchen Lebensweg einzuschlagen? Drei Schwestern geben Einblicke in ihre Biografie und ihre Berufung.

Elbingerode l "Das sind quasi Nonnen, nur nicht katholisch." So oder so ähnlich lauten Antworten einer nicht repräsentativen Volksstimme-Umfrage zum Thema Diakonissen. Sie sind nicht ganz falsch. "Es sind Frauen, die Gott dienen wollen, evangelische Ordensschwestern", erläutert Oberin Anita Rost. Sie und 190 Diakonissinnen prägen in ihrer dunkelblauen Tracht das Straßenbild in Elbingerode mit. Doch was für Menschen unter den weißen Kappen stecken, wissen nur die Wenigsten.

"In der Tracht sehen alle gleich aus", sagt Maren Martens lachend. "Als ich meine Ausbildung zur Krankenschwester begann, habe ich immer freundlich gegrüßt. Bis eine Schwester sagte \'Sie sagen mir heute schon zum sechsten Mal guten Morgen`." Damals, als 16-Jährige, hätte die angehende Krankenschwester nicht geglaubt, selbst einmal Tracht zu tragen. Viel zu wohl habe sie sich in Jeans gefühlt. Kleider waren ihr immer ein Graus.

Doch im Laufe der Lehrzeit habe sie die Schwestern kennengelernt und erfahren, was zu einem Leben als Diakonisse dazugehört. "Ich war beeindruckt, wie sie Alltag und Glauben in Einklang gebracht haben", sagt die 44-Jährige. Sie entschied sich, der Schwesternschaft in Elbingerode beizutreten.

Zwei Jahre lang wirdEntscheidung geprüft

"Zu so einem Weg muss man sich berufen fühlen", sagt Anita Rost. Von heute auf morgen funktioniere dies nicht. Es sei ein Prozess des Nachdenkens, des Gesprächeführens. In einer zweijährigen "Probezeit" könne man dann testen, ob der Lebensweg wirklich den eigenen Vorstellungen entspreche.

"Viele denken, man würde den ganzen Tag nur beten. So ist es nicht", betont Maren Martens. Sie arbeitet seit neun Jahren in Russland in einer evangelischen Gemeinde. Ihre Aufgaben reichen von Deutschkursen über ein Theaterprojekt, der Kinder- und Jugendarbeit bis hin zum Halten von Hausgottesdiensten bei der Landbevölkerung.

Angesichts der aktuellen politischen Lage hat sie nicht den ungefährlichsten Arbeitsplatz. Aufpasser habe sie jedoch nicht. Auch käme es nicht für sie infrage, deshalb gänzlich nach Deutschland zurückzukehren. "Ich bin keine Person, die Angst hat", betont Martens. "Viel schwerwiegender ist es für mich, nicht die Hoffnung zu verlieren angesichts der Ohnmacht, der Armut und den Lebensbedingungen der Menschen dort."

Oftmals verlasse sie in Russland "inkognito" das Haus. Ohne Tracht. "Es kommt vor, dass man angepöbelt oder sogar bespuckt wird, wenn man offensichtlich Ausländer und nicht orthodoxen Glaubens ist", berichtet sie.

Der Tracht wird Vertrauen entgegengebracht

Reaktionen, die ihre in Deutschland lebenden Schwestern selten bis gar nicht erlebt haben. "Die Menschen haben automatisch Vertrauen, wenn sie die Tracht sehen. Sie reden offen über Probleme, obwohl sie uns gar nicht kennen", berichtet Schwester Anita. Es sei nicht ungewöhnlich, am Bahnhof gebeten zu werden, auf fremde Koffer aufzupassen. Auch Babys würden den Diakonissinnen schon mal zur Obhut übergeben.

Dieses Vertrauen sei wichtig für ihre Arbeit. Viele sind in der Kranken- und Altenpflege, der sozialpädagogischen Arbeit und der Seelsorge tätig. Andere kümmern sich um die Verwaltung des Mutterhauses oder um hauswirtschaftliche Aufgaben. Welche Arbeit ausgeübt wird, hängt nicht zuletzt von den Fähigkeiten und Wünschen der Schwestern ab.

Für ihre Dienste erhalten die Frauen Lohn, der an die Schwesternschaft fließt. "Wir finanzieren uns selbst. Von dem Geld wird der Unterhalt für alle gewährleistet", erläutert die Oberin. Aus der "Schwesternkasse" werden Renten-, Sozial- und Krankenversicherung, Feriengeld, berufliche Qualifizierung sowie missionarische Aufgaben bezahlt. Außerdem erhält jede Schwester ein Taschengeld. Damit kann sie zum Beispiel die Einrichtung ihres Zimmers - jede hat ihr eigenes - individuell gestalten.

Und es gibt ein Leben neben der berufenen Tätigkeit: Auch Diakonissinnen haben Urlaub und besuchen ihre Familien, gehen Hobbys nach. Während manche das Malen für sich entdeckt haben, gehen andere gern Skifahren, paddeln mit dem Kanu, wandern und klettern.

In Jeans und T-Shirt geht es zum Rock-Konzert

"Es ist nicht so, dass wir in unserer eigenen Welt schweben", betont Schwester Maren. Sie selbst hört zum Beispiel bis heute gern Rockmusik, besucht hin und wieder Konzerte - in Jeans und T-Shirt.

Regeln gibt es dennoch in der Schwesternschaft. Sie verpflichten sich, ihren Glauben an Gott in Wort und Tat zu bezeugen und zur Gehorsamkeit. Es ist selbstverständlich für sie, abstinent zu sein. "Gleich nebenan leben suchtkranke Menschen. Wie könnte ich da auf die Idee kommen, Alkohol zu trinken oder zu rauchen?", sagt Schwester Angelika Dietrich bestimmt.

Diakonissen führen ein eheloses Leben. "Früher habe ich schon von einem Mann - einem Missionsarzt - und Kindern geträumt, berichtet Anita Rost. "Aber das war nicht der Weg, der für mich vorgesehen war." Dafür kann sich die Oberin noch genau an den Tag ihrer Einberufung erinnern. "Der 20. Oktober 1975", berichtet sie wie aus der Pistole geschossen. "Das wissen wir alle so genau. Es ist für uns so etwas wie der Hochzeitstag, den vergisst man nicht", sagt Schwester Maren.

Viele hätten schon Situationen erlebt, in denen sie an ihrer Berufung zweifelten. Dennoch würden sich nur wenige entscheiden, wieder aus der Schwesternschaft auszutreten, berichtet Anita Rost. "In solchen Augenblicken spricht man mit anderen Schwestern, sucht Rat und Trost und findet so die Kraft, weiter zu machen." Sie selbst habe ihre Entscheidung, Diakonisse zu werden, übrigens niemals bereut.