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Volksstimme-Leser beobachten Rehe und Füchse in den Ortschaften Wildtiere in Siedlungsnähe: Futtersuche bei den Menschen

Von Olaf Koch und Thomas Drechsel 03.02.2010, 04:53

Der verharschte, überfrorene Schnee lässt Rehe nicht mehr ans Futter, der Fuchs kommt nicht an die Maus, das Wildschwein nicht an Eicheln und Bucheckern. Für Nahrung verlieren die Waldbewohner offenbar ihre Scheu vor den Menschen und wagen sich in die Dörfer, wie jetzt aus Dobritz bekannt wurde.

Zerbst / Dobritz. ,, Am helllichten Tag ein Reh mitten in Dobritz !" Roswitha Rückert staunt immer noch nach dem Erlebnis, das sie vor wenigen Tagen hatte und geistesgegenwärtig im Bild festhielt. Da stand ein Reh auf dem Spielplatz. " Ich dachte erst, das ist eine Figur zum Spielen für die Kinder, aber dann hat es sich bewegt !" Das Tier spazierte gelassen mitten durch den Ort und ließ sich von Menschen nicht stören. " Frau Buchmann war mit dem Auto unterwegs. Das Tier lief ohne jede Furcht vorweg. Irgendwann verschwand es dann im Park ", staunt Roswitha Rückert.

Frost hat Schuld

Auch Rüdiger Rochlitzer kommt ins Staunen. " Mitten im Ort ? Bislang hab ich davon noch nichts gehört. " Er selbst sah letztens drei Rehe zwischen dem Landratsamt Köthen ( am Flugplatz ) und der Stadt. " Auch ganz schön dicht dran. " Aber das Dobritzer Reh ? Vielleicht lebt es sowieso in Dorfnähe, kennt die menschlichen Gewohnheiten und die der Autos. Der Frost sei Schuld, so der Mann von der Unteren Jagdbehörde der Kreisverwaltung Anhalt-Bitterfeld. Verharschter, überfrorener Schnee lässt die Rehe nicht mehr an die Nahrung heran. Sie wagen sich in Schrebergärten, nehmen vor Hunger größte Nähe zum Menschen in Kauf. Und sie flüchten nicht mehr so spontan. " Die Tiere reduzieren so ihren Energieverbrauch. Sie lassen Menschen sehr nah heran. Auch Autos. " Rehe hätten " sehr gut gelernt, wo Gefahr ist. Bei Hundegebell sind sie in jedem Fall schnell hoch und flüchten. Daher empfehle ich dringend, sie in Ruhe zu lassen. Gerade die Hundehalter sollten das bedenken, wenn sie durch Feld und Flur streifen. "

Sofern das Wetter frostig bleibt, dürfte das Wild noch weit häufiger sichtbar werden. Es gebe, so Rochlitzer, " mehr als genug Schwarzwild und gerade auch im Flämingrandgebiet sehr ausreichend Rehwild ". Zugleich wären die Jäger dieser Tage eher verhalten auf der Pirsch. " Am ehesten gehen sie auf einen Winterfuchs oder ein Wildschwein. Die Rehe lässt man in Ruhe, eben weil sie nicht aufgescheucht werden sollten. "

Füchsen, meint auch Wilhelm Uschmann aus Lindau, begegnet man in den Dörfern " ja schon permanent. In diesen Tagen geht die Ranzzeit los, da suchen die überall herum, gerade auch in den Orten. " Der Leiter des Landesforstbetriebes Anhalt ist als solcher zuständig für Waldbau und für die Jagd. Er bestätigt die " ausreichende Zahl von Rehen, gerade wenn ich den Verbissgrad sehe, weil sie an die Knospen gehen und unseren Waldbau schädigen ". Allerdings müsse die beginnende Schonzeit beachtet werden. " Da geht man nicht auf Rehe. " Grundsätzlich, so Uschmann, seien Rehe in den Orten " nichts allzu Überraschendes. Die sind auch zu anderen Zeiten näher dran als man glaubt. " Was wird geschehen, wenn es weiter frostig bleibt ? " Sie werden uns nicht in den Dörfern umrennen. Die Tiere bekommen erheblichen Druck, also Hunger. Das könnte sich auch auf den Nachwuchs auswirken. Mal sehen, wie der März wird. "

Am Ortseingang

" Rehwild in städtischen Bereichen ? Das hatten wir im vorigen Januar auch schon ", erzählt Michael Däumich vom Polizeirevier Anhalt-Bitterfeld. " Das Wild drückt in innerörtliche Bereiche, wenn es draußen nichts mehr findet. Dies schlägt sich dann auch in der Unfallstatistik nieder. " Zahlen könne er gerade nicht vorlegen, also schildert Däumich eigene Erlebnisse. " An Ortsausgängen, wo schon Lücken zwischen den bebauten Grundstücken sind und man glaubt, man kann aufs Gaspedal treten, genau dort trifft man dieser Tage verstärkt auf Rehwild, das die Seite wechselt. Ich hab das erlebt zwischen dem Polizeigebäude und einem Supermarkt hier in Köthen. " Besondere Vorsicht also auch an den Ausfallstraßen der Orte, empfiehlt der Polizist.

Tiere nicht füttern

Nicht in Panik zu verfallen, wenn sich Wildtiere in Ortschaften nähern, das meint auch Tierärztin Petra Prange. " Der Kontakt mit Menschen ist ja nichts Ungewöhnliches, denn im Sommer sind wir es, die in den Wald gehen, also in das Revier der Tiere ", macht die Tierärztin aufmerksam. Dass bestimmte Wildtiere, die im Moment sehr zutraulich sind und sich verändert zeigen, mit der Tollwut erkrankt sind, glaubt sie nicht.

Vor allem Rehwild und Füchse, manchmal auch Wildschweine und Greifvögel suchen derzeit die Nähe zu bewohnten Siedlungen. " Wir Menschen sollten es dringend lassen, diese Tiere dann zu füttern ", warnt Jürgen Berg, Vorsitzender des Naturschutzbundes ( Nabu ) in Wittenberg. Auch auf die Gefahr hin, dass die schwachen Tiere den Winter nicht überleben. " Das ist die Auslese, und wir sollten der Natur ihren Lauf lassen. "