Museumsdirektor Heinz-Jürgen Friedrich geht in den Ruhestand "Jeden Tag ein Erlebnis, Haus zu betreten"
35 Jahre war Heinz-Jürgen Friedrich (61) hauptamtlich im Zerbster Museum tätig, 31 davon als Direktor. Morgen beginnt für ihn der Ruhestand. Er findet: "Es ist Zeit, dass neue Ideen zum Tragen kommen."
Zerbst l 75 000 Besucher. Heinz-Jürgen Friedrich mag es sich kaum vorstellen, wie es gewesen wäre. 75 000 Besucher hat die Volksstimme vor einigen Tagen im "Vor 40 Jahren"-Rückblick dem Museum als Jahresbilanz 1971 angeschrieben. "Es waren 7500", belegt der Direktor anhand der alten Besucherbücher. Jahr um Jahr sind darin die Museumsgäste dokumentiert worden und Führungen, Vorträge, Veranstaltungen.
Zwei Bücher, die Geschichte erzählen. Auch ein gutes Stück die des bisher einzigen hauptamtlichen Direktors des Zerbster Museums. Das war er 31 Jahre, 35 Jahre im Museum angestellt. Am 1. Januar 2012 beginnt für Heinz-Jürgen "Frelle" Friedrich der Ruhestand.
"Mitgelaufen und hängengeblieben"
"Ich bin mitgelaufen und hängengeblieben", beschreibt er den Beginn seines bisher insgesamt 46-jährigen Lebens mit dem Museum. Der etwa 15-Jährige begleitet einen Freund, dessen Vater öfter im Museum arbeitet. "Der hat die Scherben gezeichnet." Im Museum leitet Herrmann Maenicke eine Arbeitsgemeinschaft mit interessierten Mitgliedern an. "Wir haben alles gemacht bis hin zur Besucherbetreuung", erinnert sich Heinz-Jürgen Friedrich. Und an ein Bild aus dem Zerbster Heimatkalender 1967, das den jungen Museumsfreund im Refektorium zeigt, in der Cranachbibel blätternd. "Das war eine Auszeichnung." Einige Jahrzehnte später wird er die Restaurierung dieses bibliografischen Zerbster Schatzes begleiten können.
Hermann Maenicke prägt wesentlich das zur beruflichen Leidenschaft werdende Geschichtsinteresse des jungen Zerbsters, der später Nachfolger des ehrenamtlichen Museumsdirektors wird. Heute sagt Heinz-Jürgen Friedrich: "Maenicke hat so viel für die Stadt gemacht. Das wird gar nicht genug geschätzt." Da ist der seit 1960 kontinuierlich erscheinende Heimatkalender, "der hat alle Klippen umschifft". Und da ist das bis heute bestehende Museum im ehemaligen Klostergebäude am Weinberg. Eine erste Ausstellung gibt es 1949 zur 1000-Jahrfeier von Zerbst. 1952 wird das Heimatmuseum mit zunächst einem Raum offiziell eröffnet.
"Stadtführungen mit als Erster gemacht"
"Raum um Raum wurden für das Museum freigekämpft", zuletzt die frühere Klosterkirche, die Wehrunterrichtskabinett für die Schule werden sollte und dann doch 1993 als Sonderausstellungsraum eröffnet werden konnte. Dass es künftig gut funktioniert im Miteinander von Gymnasium und Museum am Weinberg ist ein Wunsch des scheidenden Museumsdirektors. Wie eine Lösung für das Problem der fehlenden Fundusflächen.
Als erster hauptamtlicher Museumsdirektor nimmt Heinz-Jürgen Friedrich am 1. Januar 1980 die Arbeit auf. Dem gehen Ausbildung und Arbeit in der Wema, ein Museologen-Studium in Leipzig und ab 1976 die Anstellung im Museum noch unter Herrmann Maenicke und eben als dessen gewollter Nachfolger voraus.
Die Vor- und die Nachwende-Zeit im Museum zu vergleichen, das, findet Heinz-Jürgen Friedrich, "kann man nicht".
Das Museumswesen vor 1989 ist geprägt zunächst vom sowjetischen Vorbild, stark determiniert von der Geschichte der Arbeiterbewegung. Auf die Besucherzahlen wird sehr Wert gelegt. Sie steigen, als Ende der 70er Jahre die Ausstellungen der Zerbster Kulturfesttage mit in das Haus am Weinberg ziehen. Die alten Besucherbücher weisen auch viele sowjetische Soldaten auf. "Wir hatten immer schon ein Gemälde und zwei Briefe zu Katharina II.", begründet der bisherige Direktor das Interesse. Aber sie haben sich auch etwas einfallen lassen, was die Gästebilanz betraf. Da wurden beispielsweise schon mal die drei dienstlich das Museum aufsuchenden Brandschutzkontrolleure mit hinein gerechnet.
"Ich war auch einer der ersten, der Führungen durch die Stadt gemacht hat", so "Frelle" Friedrich. Sie ergaben sich, wenn Besucher im Museum entsprechendes Interesse bekundeten. Nach 1990 wurde dem Direktor das Stadtführen zunächst verwehrt, "weil ich keine Ausbildung dafür hatte. Die sollte ich in der Volkshochschule machen ..."
"Museen sind wichtige Gedächtnisorte"
Neue Ausstellungsstücke erhält das Museum zu DDR-Zeiten vor allem durch Schenkungen. Wäre Geld da gewesen, waren die Möglichkeiten begrenzt, etwas zu erwerben. Inzwischen gibt es viele Möglichkeiten, dafür aber meistens nicht das Geld.
Grundlegend "umgekrempelt" wird das Museum ab dem Jahr 2000. Das dezentrale Projekt "Gemeinsam sind wir Anhalt" bringt bauliche Veränderungen und eine Ausstellungsneugestaltung mit sich. Seit 2002 ist das Haus so in neuer Qualität für die Besucher da. Dem wird auch der neue Name "Museum der Stadt Zerbst" gerecht. Heute zählt es durchschnittlich 5000 bis 6000 Gäste im Jahr.
"Es sind die Gedächtnisorte, die Erinnerung an unsere Geschichte, das, was uns ausgemacht hat, was wir mal waren", hält Heinz-Jürgen Friedrich Museen nach wie vor für wichtig. "Wenn wir nicht wissen, wo wir herkommen, wissen wir nicht, wo wir hin sollen."
Die ausgestellten Exponate verbinden sich in Zerbst in ganz besonderer Weise mit den originalen Orten. "Hier hat die Geschichte stattgefunden", weiß der Museologe nicht nur um die außergewöhnliche Wirkung der Räumlichkeiten auf die Besucher, besonders auch auf Schulklassen. "Es war auch für mich jeden Tag ein Erlebnis, das Haus, schon die Kreuzgänge, zu betreten."
Zerbst habe das Glück, neben dem Weinberg-Komplex mit der Schloßfreiheit und der dortigen Katharina-Sammlung einen weiteren authentischen Ort zu haben. Beide sind mit den Zerbster Blütezeiten verbunden.
Dennoch liegt eines Heinz-Jürgen Friedrich besonders am Herzen. "Wir müssen uns stärker ins Bewusstsein holen, dass die Zerbster Geschichte nicht erst mit dem Schlossbau und Katharina II. beginnt, sondern auch davor schon viel Wichtiges passiert ist." Dieses "Davor", vor allem die Mittelalter- und Reformationszeit, zu vermitteln, dem hat sich Heinz-Jürgen Friedrich in seinen Führungen, auch in Publikationen besonders verschrieben.
"Ich habe immer gern und mit Freude gearbeitet", sagt der scheidende Museumsdirektor. Dass er sich dennoch für den vorzeitigen Ruhestand entschieden hat, begründet er damit, dass es "Zeit ist, dass neue Ideen zum Tragen kommen. Was ich leisten wollte, habe ich geleistet". Zufrieden ist er, dass mit Agnes-Almuth Griesbach "meine Wunschkandidatin" die Nachfolge übernimmt. Was kommt, lässt der Comic- und Bastelfreund offen. "Es gibt noch viele Sachen." Einmischen in Museumsdinge wolle er sich nicht. "Aber ich lasse mich gern ansprechen. Und ich bin ja nicht aus der Welt."