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Ausstellung über häusliche Gewalt Die große Angst in der Rosenstraße 76

Das Jugendzentrum in Buckau beherbergt seit gestern eine Ausstellung zum
Thema "Häusliche Gewalt". In einer fiktiven Wohnung können Besucher
einen Blick hinter die vermeintlich heile Fassade werfen.

Von Julian Schmidt 16.09.2014, 01:08

Magdeburg l Im Jugendzentrum "HOT - Alte Bude" öffnete am gestrigen Montag die interaktive Ausstellung "Rosenstraße 76 - Häusliche Gewalt geht alle an" ihre Pforten. Der Internationale Bund holte die ungewöhnlich konzipierte Wanderausstellung nach Magdeburg, um auf Gewalt hinter verschlossenen Türen aufmerksam zu machen. Denn: Jede vierte Frau und jeder siebte Mann wird im eigenen Zuhause Opfer von Schlägen, seelischer Grausamkeit und sexueller Gewalt. Ihre Kinder sind stumme Zeugen dieser Übergriffe.

Die Ausstellung in Buckau ist als Drei-Zimmer-Wohnung aufgebaut und zeigt ihren Besuchern häusliche Gewalt dort, wo sie auch tatsächlich stattfindet: in den eigenen vier Wänden. So werden Besucher dazu ermuntert, hinter die vermeintlich heile Fassade zu blicken: Sie sollen Türen öffnen, Schränke durchsuchen und die technischen Geräte benutzen. Eine auf dem Küchentisch herumliegende Valium-Schachtel soll beispielsweise psychische Gewalt und ihre Folgen in den Mittelpunkt rücken. Im Wohnzimmer kann der Anrufbeantworter abgehört werden. Die dort hinterlassenen Nachrichten verdeutlichen die Ängste der Tochter, die Demütigung durch den Partner und die Wut der Nachbarin. Im Schlafzimmer der Wohnung liegt ein halb gepackter Koffer auf dem Ehebett. Darin befindet sich ein Zettel mit einer Information, die wachrütteln soll: Viele Frauen werden von ihren Partnern getötet, wenn sie versuchen, ihn zu verlassen. Ein auf dem Nachtschrank stehender CD-Player spielt Zitate von Opfern und Tätern ab - häusliche Gewalt bekommt dadurch eine Stimme. Im Kinderzimmer wird schließlich klar, welche Auswirkungen häusliche Gewalt auf die Kleinen hat.

Hunderte Alarmierungen

Was hinter den Türen der Rosenstraße 76 im Verborgenen geschieht, könnte überall in Deutschland passieren: in der kleinen Großstadtwohnung, in gehobenen Villen-Gegenden, auf dem Land, in von Arbeitslosigkeit betroffenen Familien oder bei den oberen Zehntausend. Schirmherrin der Ausstellung ist Prof. Angela Kolb, Ministerin für Justiz und Gleichstellung. "Wir wollen mit der Ausstellung häusliche Gewalt enttabuisieren. Die Ausstellung soll sensibilisieren, informieren und Wege aus Konfliktsituationen aufzeigen", betonte Kolb bei ihrem Rundgang durch die Drei-Zimmer-Wohnung. Gleichzeitig hob sie die Wichtigkeit der 20 Frauenhäuser und acht ambulanten Beratungsstellen Sachsen-Anhalts bei der Unterstützung von Opfern hervor. Hans-Werner Brüning, Sozialbeigeordneter der Stadt, machte die Wichtigkeit der Ausstellung deutlich: "Pro Jahr rückt die Polizei in Magdeburg etwa 500 bis 600 Mal aufgrund von häuslicher Gewalt aus. Jeder Fall ist einer zu viel. Das Thema muss noch viel mehr in der Gesellschaft diskutiert werden", so Brüning.

Besucher nicht allein

Besucher werden bei einem Rundgang durch die Wohnung übrigens nicht alleine gelassen. Knapp 30 Studenten aus dem Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Magdeburg-Stendal wurden vom Internationalen Bund mit dem Ziel ausgebildet, Führungen durch die Ausstellung anbieten zu können. "Die Studenten haben seit April neun Veranstaltungen im Rahmen eines Praxisseminars besucht", so Ines Kühnel, Regionalleiterin Sachsen-Anhalt des Internationalen Bundes. Die Veranstalter informieren aber nicht nur in Form von Führungen. Im Ausstellungsbereich befinden sich zudem Informationsstände der Kooperationspartner. Mitarbeiter des Weißen Rings, der Polizei oder des Deutschen Kinderschutzbundes stehen Besuchern und Betroffenen mit Rat und Tat zur Seite. Dazu Ines Kühnel: "Neben unseren Kooperationspartnern begleiten auch Sozialpädagogen des Internationalen Bundes die Ausstellung. Wir möchten die Besucher nämlich nicht alleine lassen und ihnen gleich an Ort und Stelle beratend zur Seite stehen, falls sie dies wünschen."

Der Besuch in der Rosenstraße 76 soll zum Nachdenken animieren. Im Idealfall gehören beim Verlassen der Drei-Zimmer-Wohnung Sätze wie "Ein Klaps auf die Hand ist noch keine Gewalt" oder "Familienstreitigkeiten gehen niemanden etwas an" endgültig der Vergangenheit an.