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Ex-Bewohnerin berichtet von ihrer Ehehölle Frauenhaus: Vom Opfer zum Vorbild

Vom eigenen Mann erniedrigt, bedroht, geschlagen: Die Zahl von Opfern, die Schutz in Sachsen-Anhalts Frauenhäusern suchen, nimmt seit Jahren nicht ab. Auch Maria Krause* hat in einem gelebt. Sie bezog ihr Zimmer als gebrochener Mensch - und verließ es als starkes Vorbild.

19.07.2014, 01:16

Ballenstedt l Als sie ins Auto der Sozialarbeiterin stieg, war sie einfach müde. Lebensmüde. Nur die zwei kleinen Würmer hinten auf dem Kindersitz hatten sie in den vergangenen Monaten wachgehalten. Sie waren es auch, die sie dazu brachten, sich endlich von ihrem Mann zu lösen.

Zwei Jahre ist es jetzt her, dass Maria Krause mit ihren Kindern von einer Sozialarbeiterin ins Frauenhaus Ballentedt (Harz) gebracht wurde. So wie sie fliehen in Sachsen-Anhalt jährlich rund 690 Opfer häuslicher Gewalt in eine der 20 Einrichtungen im Land. Die Zahl der Frauen ist in den vergangenen fünf Jahren nahezu gleich hoch geblieben.

"Danach fing er an, mich wie eine Sklavin zu behandeln."

Maria Krause floh damals vor einem Mann, der sie erniedrigte und unter Druck setzte, erzählt sie. Vier Jahre zuvor hatte sie aus Liebe zu ihm ihrer Heimat Ungarn den Rücken gekehrt - samt einem passablen Leben: Familie, Freunde, Job, Eigentumswohnung. Jeden Wunsch erfüllte er ihr, dieser Mensch, den sie im Internet kennen- und im Urlaub lieben gelernt hatte. Allerdings nur bis zur Hochzeit.

"Danach fing er an, mich wie eine Sklavin behandeln", erinnert sie sich. Von früh bis spät sollte sie schuften. "Neben meiner zweiten Ausbildung sollte ich in vier Monaten Deutsch und parallel Englisch lernen, außerdem den Führerschein machen." Das Haus musste stets wie geleckt aussehen. Und dann waren da noch die Kinder. Sie durfte sich nicht einmal die Zeit nehmen, mit ihnen spazieren zu gehen.

Das Arbeitspensum war noch nicht das Schlimmste, sagt sie. "Er hat mich ständig als hässlich und dumm beschimpft. Zufrieden war er erst, wenn ich geweint habe." Sein Druckmittel: Er drohte, sie vor die Tür zu setzen. "Einer Ausländerin wie mir würde keiner helfen, sagte er immer." Und er wusste zu verhindern, dass seine Frau auf eigenen Füßen steht. "Meine Papiere waren im Tresor eingeschlossen. Und fast all mein Geld ging auf sein Konto. Ich konnte mir nicht mal die Wurst kaufen, die ich essen wollte.

Dass jemand wegen seelischer Quälerei ins Frauenhaus zieht, ist nicht selten. "Etwa die Hälfte der Frauen bei uns wurde nicht geschlagen, sondern rein psychisch misshandelt", berichtet Jolanta Richter, Leiterin des Caritas-Frauenhauses in Ballenstedt. "Diese Frauen suchen meist erst spät Hilfe. Sie haben schließlich keine äußeren Verletzungen, die sie verstecken müssen." Gefährlich - denn oft seien sie suizid-gefährdet.

"Ich dachte mir: Wenn das so weitergeht, bin ich in zwei Jahren tot."

Maria Krause wagte den ersten Schritt aus der Tyrannei nach ihrer bestandenen Abschlussprüfung. Auslöser: Ihr Mann stellte sofort die nächste Forderung. Sie sollte eine dritte Ausbildung beginnen. An diesem Abend betrachtete sie sich lange im Spiegel. Abgekämpft und aufgedunsen sah sie aus. "Ich dachte mir: Wenn das so weitergeht, bin ich in zwei Jahren tot." Dann ging sie rüber ins Kinderzimmer. "Mir wurde bewusst, dass die zwei eine starke Mutter brauchen. Da habe ich beschlossen, ihn zu verlassen."

Ihr Mann reagierte auf diese Entscheidung nicht gerade zimperlich. Drei Tage hätte sie Zeit, auszuziehen - die Kinder würden bei ihm bleiben. Und nun? Freunde gab es nicht, dafür hatte er über die Jahre gesorgt. Auch das ist typisch, sagt Richter. "Die Männer isolieren ihre Frauen meist von Familie und Freunden, um sie fester an sich zu binden."

Nach einer schlaflosen Nacht vertraute sich die Ungarin schließlich einer Kita-Erzieherin an. Die schlug ihr das Frauenhaus vor - von einer solchen Einrichtung hatte Maria Krause nie zuvor gehört. Allgemein kommen nur wenige von selbst auf die Idee, ins Frauenhaus zu gehen. Die meisten werden von Beratungsstellen oder der Polizei vermittelt.

Eine Sozialarbeiterin brachte sie damals nach Ballenstedt, dort bezog sie nach einem Aufnahmegespräch mit ihren Kindern zwei Zimmer. "Am Anfang habe ich nur geweint", erinnert sich Maria Krause.

"Viele sind geschockt, wenn sie hören, dass ich im Frauenhaus war."

Nach einigen Tagen ging sie dann zum ersten Mal in den Gemeinschaftsraum zum Mittagessen. Dort erzählte sie den anderen, was ihr widerfahren war. "Sie versicherten mir, dass es weitergeht. Nur konnte ich das damals nicht glauben." Doch von Tag zu Tag schöpfte Maria Krause mehr Kraft. Aus den fremden Frauen wurden vertraute WG-Partnerinnen, aus einigen sogar Freundinnen. Auch die Mitarbeiterinnen halfen ihrer geschundenen Seele wieder auf die Beine. Sie standen jederzeit für Gespräche bereit - notfalls auch nachts, per Rufbereitschaft.

Ein Jahr lang wohnte Maria Krause im Frauenhaus. Das ist viel länger als der Durchschnitt. In Sachsen-Anhalts Einrichtungen bleiben die Frauen im Schnitt nur 54 Tage. Allerdings galt es in diesem Fall auch, ein Leben komplett neu aufzubauen: Mit Hilfe der Sozialarbeiter besorgte sie sich einen Ausweis, ließ Zeugnisse neu ausstellen, beantragte Kindergeld, eröffnete ein Konto.

Zurückzugehen, daran hat sie in dieser Zeit nie gedacht, sagt die Ungarin. Auch wenn sie von den Mitarbeitern mehrfach gefragt wurde - schließlich sollen die Bewohnerinnen selbst über ihr Leben entscheiden. "Unsere Frauen trennen sich meistens", berichtet Jolanta Richter. Im vergangenen Jahr kehrte nur jede Fünfte zu ihrem Misshandler zurück.

Sitzt man Maria Krause heute gegenüber, mag man kaum glauben, dass sie selbst die gebrochene Frau war, von der sie da erzählt. Schlank, elegant gekleidet, aufrechte Haltung, wacher Blick - heute strotzt sie vor Selbstbewusstsein. Über ein Praktikum ist sie in einen Job gerutscht, mit ihren Kindern hat sie es sich in einer Drei-Zimmer-Wohnung gemütlich gemacht, auch ein kleines Auto konnte sie sich leisten. Nach Dienstschluss trifft sie sich oft mit Freundinnen auf einen Kaffee. "Jetzt bin ich frei, und das genieße ich", sagt sie. Manchmal schaut sie auch noch im Frauenhaus vorbei. Dann ist sie es, die den anderen versichert, dass es weitergeht.

Vor ihren neuen Freunden macht die Frau keinen Hehl daraus, wo sie einst Unterschlupf fand. "Viele sind geschockt, wenn sie das hören. Sie dachten bis dahin, im Frauenhaus würden nur Drogenabhängige leben. Aber auch eine normale, intelligente Frau kann in eine Notsituation geraten." Und zwar nicht selten, wie Richter bestätigt: "Viele Frauen, die zu uns kommen, haben studiert."

Ganz aus ihrem Leben verschwunden ist Marias Ex-Mann bis heute nicht. Da er die Kinder regelmäßig sehen darf, hatte sie zwangsläufig die ganze Zeit über Kontakt zu ihm. Allerdings sieht der heute anders aus als damals: "Am Anfang hat er mich am Telefon noch oft zum Weinen gebracht. Er war herrisch und beleidigend. Heute sage ich ihm ganz klar, wenn mir einer seiner Besuchstermine nicht passt." Und er akzeptiert das. Wie sie sich das erklärt? "Wahrscheinlich ist selbst er überrascht von der neuen Maria."

* Zum Schutz der Frau hat die Redaktion Name und Orte geändert. Auch Details aus ihrer Lebensgeschichte wurden bewusst weggelassen.