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Wulf Gallert "Die SPD verschreckt ihre Wähler"

Von Michael Bock 05.08.2014, 03:29

Die Linke will 2016 Regierungsverantwortung übernehmen. Mit dem Fraktionsvorsitzenden Wulf Gallert sprach Michael Bock.

Herr Gallert, die CDU/SPD-Regierung hat in den vergangenen Monaten viele zunächst geplante Kürzungen im Land zumindest teilweise wieder zurückgenommen, etwa bei den Unis, dem Blindengeld, der Jugendpauschale oder den Theatern. Auf der anderen Seite wurden plötzlich die Neueinstellungskorridore für Polizisten und Lehrer vergrößert. Eigentlich müssten Sie mit dieser Entwicklung doch zufrieden sein, oder?
Wulf Gallert: Die Landesregierung hat sich tatsächlich in eine Richtung bewegt, die wir ihr vorgegeben haben. Das haben wir gemeinsam mit den protestierenden Menschen auf der Straße erreicht. Diese Korrekturen waren unbedingt notwendig. Oftmals kamen sie leider viel zu zu spät, zu zögerlich, und sie wurden nur widerwillig durchgezogen. Und: Die bisherigen Veränderungen reichen uns nicht.

Wo sehen Sie weiteren Bedarf?
Nehmen wir nur mal die Schulen. Die Regierung hat den Einstellungskorridor zwar von 250 auf 370 erhöht. Doch werden etwa 650 Pädagogen jährlich aus dem aktiven Schuldienst ausscheiden, gleichzeitig steigen die Schülerzahlen leicht. Damit ist doch klar, dass selbst nach der Erhöhung auf 370 Einstellungen die Unterrichtsversorgung deutlich leiden wird.

"Das Land präsentiert einen glänzenden Haushalt, die Kommunen gehen krachen."
Die Kernfrage ist aber: Wie können wir die öffentliche Daseinsvorsorge im Land garantieren? Und da sind wir bei einem der zentralen Probleme - der Finanzierung der Kommunen. Kreisen, Städten und Gemeinden sollen allein im nächsten Jahr 130 Millionen Euro gestrichen werden. So wird der Landeshaushalt entlastet. Das Land kürzt also nicht mehr selbst, es lässt kürzen. Und zwar durch die Landkreise und Bürgermeister, die Kreistage und Gemeinderäte. Es hilft niemandem, wenn das Land einen glänzenden Haushalt präsentiert und zugleich die Kommunen krachen gehen. Das hat schon etwas Zynisches. Hier muss das Parlament Veränderungen zugunsten der Kommunen erreichen.

Sollte das Land dafür wieder Schulden machen?
Nein. Aber wir müssen uns fragen, ob wir beispielsweise zukünftig jedes Jahr 250 Millionen Euro Schulden abbauen sollen und dafür Bildung, Kultur und Soziales mit Kürzungen überziehen.

In die Debatte um Grundschulschließungen ab 2017 ist Bewegung gekommen. Die SPD stellt die Schüler-Mindestzahl zur Disposition, die CDU will Grundschulverbünde. Wie sehen Sie das?
Das ist das klare Eingeständnis von CDU und SPD, dass ihre bisherige Schulentwicklungsplanung gescheitert ist. Ganz klar: Die geplante Erhöhung der Mindestschülerzahl ab 2017 von 60 auf 80 ist realitätsfremd. Es ist unverantwortlich, dass die Menschen vor Ort trotzdem mit angekündigten, letztlich aber nicht umsetzbaren Schulschließungen verunsichert werden. Allerdings fehlt mir die nötige Konsequenz bei der Koalition und die heißt, dass wir dafür mehr Lehrer einstellen müssen.

Sie streben Rot-Rot an. Wieso sollte die Linke für die SPD attraktiver als die CDU sein?
Wenn die SPD ihren Anspruch, linke Volkspartei sein zu wollen, tatsächlich ernst nimmt, ist die Linke der richtige Partner. Derzeit vertritt die CDU/SPD-Landesregierung in Sachsen-Anhalt neoliberale Grundpositionen. Das polarisiert die Gesellschaft, es schwächt die Solidarität und verschlechtert aus unserer Sicht die Perspektiven für das Land. Diese Politik wird von CDU-Anhängern offensichtlich akzeptiert, die SPD hingegen verschreckt damit ihre Wähler. Die Koalition mit der CDU war für die SPD bislang wahrlich kein Gewinnermodell.

Die SPD liebäugelt derzeit mit Rot-Rot. Vorausgesetzt, dass die Linke stärker werden sollte, gibt es bei den Sozialdemokraten aber starke Vorbehalte, einen linken Ministerpräsidenten zu akzeptieren. Würde die Linke der SPD in der Frage des Regierungschefs entgegenkommen?
Nein. Sollte die Linke stärker als die SPD werden, würde sie bei Rot-Rot auch den Ministerpräsidenten stellen. Alles andere hieße, den Wählerwillen nicht ernst zu nehmen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass dem Ministerpräsidentenamt zu viel Bedeutung beigemessen wird. Das Team ist entscheidend.

Treten Sie erneut als Spitzenkandidat an?
Das entscheidet die Partei. Die Entscheidung fällt 2015.

In Ihrer Landtagsfraktion gibt es derzeit offenbar einen Generationenkonflikt. Auch dieser hat dazu geführt, dass etwa die Bewerberin für den Fraktionsvize-Posten durchgefallen ist. Wie gehen Sie damit um?
Dieser Konflikt muss gelöst werden. Die Kontroverse dreht sich im Kern um die Frage, ob die Fraktion vor einer Landtagswahl in Schlüsselpositionen personelle Veränderungen vornehmen sollte. Da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Fakt ist: Es gibt in der Fraktion definitiv keine strategisch-politische Auseinandersetzung. Es ist unstrittig, dass wir ab 2016 regieren wollen. Ich weiß, dass es trotzdem in meiner Partei hier und da die Angst gibt, dass wir in Regierungsverantwortung nicht alle Erwartungen erfüllen können. Aber eins ist doch klar: Wer aber eine Volkspartei sein will, der muss den Willen haben, seine Vorhaben auch in einer Regierung umzusetzen.

Mit Bianca Görke ist jetzt eine neue Abgeordnete ins Parlament nachgerückt, die bis März der Antikapitalistischen Linken angehört hat. Dieser Zusammenschluss will nach eigenen Aussagen dem "regierungs- und parlamentsfixierten ,Pragmatismus` in der Linken" ein "antikapitalistisches Programm mit sozialistischem Ziel" entgegensetzen. Wohin steuert die Linke?
Ein Zusammenschluss wie die Antikapitalistische Linke gehört zum normalen Spektrum einer linken Partei. Ich weiß, dass dort die Distanz zu einer möglichen Regierungsbeteiligung der Linken größer ist. Allerdings ist die zwischenzeitliche Tolerierung der Regierung von Frau Kraft in Nordrhein-Westfalen von Wolfgang Zimmermann, dem Bundesprecher der Antikapitalistischen Linken, organisiert worden. Auch deshalb glaube ich nicht, dass es unüberwindbare Schranken gibt.

Mit Jörg Schindler haben Sie einen Vize-Landeschef, der Mitglied der "Roten Hilfe" ist. Einem Verein, der vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestuft wird. Ein Problem?
Nein. Spätestens seit dem NSU-Skandal ist doch klar, dass Beurteilungen durch den Verfassungsschutz nicht mit dem Grundgesetz, dafür viel mit parteipolitischer Instrumentalisierung zu tun haben. Jörg Schindler ist ein aktiver Demokrat, der unseren linken Landrat in Wittenberg in seiner Gestaltungsverantwortung wirkungsvoll unterstützt hat.