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Tod eines 55-Jährigen Freispruch im "Kannibalen-Fall"

Seit April 2013 beschäftigt die Staatsanwaltschaft ein ungewöhnlicher
Fall in Stemmern in der Börde: Einer in einer Feuerschale liegenden
Leiche hat jemand ein Stück Fleisch aus dem Oberschenkel geschnitten.
Ein 39-jähriger Angeklagter ist dazu am Dienstag in erster Instanz
freigesprochen worden.

Von Matthias Fricke 10.09.2014, 03:19

Oschersleben l Niemand in dem 300-Seelen-Ort Stemmern in der Börde traut dem anderen eine solche Tat zu. Doch selbst der Oschersleber Amtsrichter Frank Overdick hat keinen Zweifel am Vorfall selbst. Nur im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft sieht er die Schuld des 39-jährigen angeklagten Bewohners als nicht erwiesen an. Er spricht ihn deshalb am Dienstag wegen der vorgeworfenen "Störung der Totenruhe" frei. Die präsentierten Indizien hätten nicht ausgereicht, den Mann zu überführen.

Was war geschehen? Die Hausgemeinschaft sitzt am Abend des 12. April 2013 zusammen an einer Feuerschale. Es werden Würstchen gegrillt und auch etwas getrunken. Während sich alle Beteiligten bis etwa 22.30 Uhr verabschieden, bleibt der 55-jährige Rolf A. zurück. Er trinkt offensichtlich mehr als alle anderen. Im Obduktionsbericht wird später eine Alkoholvergiftung als Todesursache festgehalten.

Suche nach einem Messer

Irgendwann in der Nacht stirbt er. Der genaue Zeitpunkt kann auch später wegen des Zustands der Leiche nicht mehr festgestellt werden. Der Mann kippt mit dem Kunststoffstuhl nach vorne in die Feuerschale und verbrennt zum Teil.

Erst danach, auch das können die Rechtsmediziner nachweisen, muss ein Unbekannter mit einem scharfen Gegenstand, sehr wahrscheinlich einem Messer, ein fünf mal acht Zentimeter großes Stück Fleisch aus der Innenseite des linken Oberschenkels sauber herausgeschnitten haben.

Am Morgen gegen 8 Uhr findet der später angeklagte Sebastian R. die verkohlte Leiche. Weil er aber nur die Brille erkennt, glaubt er zunächst, es sei sein Nachbar Maik R. Er klopft deshalb an dessen Wohnungstür und fragt seine Frau, ob Maik zu Hause ist. Als sich herausstellt, dass er noch schläft, wird klar, dass der Tote auf dem Hof Rolf A. sein muss.

Mutmaßlicher Täter hatte wenig soziale Kontakte

Das Stück Fleisch wird nie gefunden. Der Leichenspürhund bleibt erfolglos. Mehrere Messer werden auf dem Hof und in einem angrenzenden Kaninchenstall des Angeklagten sichergestellt und auf DNA-Spuren untersucht. Auch hier ergibt sich kein Hinweis. Der Aufwand, den die Ermittler der Polizeidirektion Nord betreiben, ist groß. Sie untersuchen auch, wie viele Personen sich nachts in Stemmern bewegen, und prüfen die Lichtverhältnisse.

Die Kriminalisten vernehmen alle Hausbewohner als Zeugen. Dabei kristallisiert sich ein Streit heraus, der später eine wichtige Rolle spielen soll. Angeblich hat Maik R. mit dem Angeklagten Sebastian R. wegen spielender Kinder gestritten. Während Maik R. später in der Verhandlung dies als "nicht so schlimm" darstellt, hat der Angeklagte in einer ersten Vernehmung sogar vom Androhen von Schlägen gesprochen. Später in der Verhandlung schweigt der Angeklagte.

Der forensische Psychologe Dr. Lutz Belitz aus Berlin sagte den Ermittlern, dass sie nach einem Mann suchen müssen, der aus dem nahen Umfeld stammt. Der dürfte über wenig soziale Kontakte verfügen und ein "negatives Erlebnis" mit dem späteren Opfer gehabt haben. Der Experte geht davon aus, dass der Täter aus einer Art Machtausübung gehandelt haben könnte. In diesem Fall würden solche Täter keine Trophäen sammeln, sondern das Fleisch eher aufessen.

Berufung angekündigt

Nach dem Profil bleibt am Ende von ursprünglich drei Verdächtigen der Angeklagte übrig. Der war schließlich davon ausgegangen, dass er Maik R. und nicht Rolf A. vor sich hat. Mit ihm hatte er am Nachmittag auch den Streit - das im Profil genannte "negative Erlebnis". Außerdem schlachtet der Single seine Kaninchen selbst auf dem Grundstück. Er hätte somit zumindest die Möglichkeit, sich an Tieren auszuprobieren. "Das passt einfach alles", sagt Oberstaatsanwältin Martina Klein später in ihrem Plädoyer, als sie eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu zehn Euro fordert.

Für Rechtsanwalt Lars Hänig-Werner ist das alles unzureichend. Er fordert Freispruch. Dem folgt am Ende das Gericht. Oberstaatsanwältin Martina Klein kündigt nun Berufung an. Diese würde dann vor dem Magdeburger Landgericht verhandelt werden.