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Straßenverkehr Magdeburg Alternativloser Tunnelblick

Fast ein Jahrzehnt nach dem Auftakt der Tunneldebatte, ein paar
Pro-Tunnel-Richtersprüche und ein paar Millionen Baukosten weiter
schwenkt selbst manch ehemaliger Tunnelgegner im Rat mit verkniffener
Miene Richtung Baustart um.

Von Katja Tessnow 08.11.2014, 02:11

Magdeburg l "Auch ich gehörte damals zu den Tunnelgegnern hier im Rat, aber jetzt fordere ich den Abbruch der Debatte." Der Liberale Hans-Jörg Schuster - und längst nicht nur er - hat die Nase gestrichen voll von den Dutzenden Redeschlachten, die er in Sachen Tunnelbau am Damaschkeplatz im Stadtrat schon hat über sich ergehen lassen müssen. Von Jürgen Canehl (Grüne), der zuvor seitenweise seine Aversionen gegen den Bau verlesen hatte (die CDU stoppte 24 Minuten Redezeit), fühle er, Schuster, sich "in Geiselhaft genommen". Nicht jubilierend, vielmehr zähneknirschend, sind Schuster und weitere Stadtpolitiker wie SPD-Mann Jens Rösler inzwischen auf Baukurs eingeschwenkt. Sie folgen den Argumenten des Oberbürgermeisters, der nach Jahren der Vorbereitungen, Auseinandersetzungen und Verhandlungen mit der absolut bauentschlossenen Bahn zwischenzeitlich und trotz Kostenschock keine Möglichkeit mehr zum finanziell und verkehrstechnisch vertretbaren Ausstieg aus dem Bauprojekt am Damaschkeplatz erkennt. Lutz Trümper (SPD): "Wir haben das jetzt acht Wochen lang geprüft, auch Alternativen. Wir haben inzwischen vier Millionen Euro für die Planung und 12 Millionen Euro für Leitungsumverlegungen investiert, also schon 16 Millionen ausgegeben. Wenn wir jetzt von vorne anfangen, sind wir in vielleicht vier Jahren so weit, die Aufträge neu ausschreiben zu können. Und was dann kommt, weiß kein Mensch."

Anlass der Ratsdebatte am Donnerstag war die von Trümper im Oktober öffentlich gemachte, dramatische Kostenentwicklung schon vor dem echten Baustart. Statt 68 wird der Tunnel mindestens 90 Millionen Euro teuer; Baukostensteigerung und wegfallende Fördermittel summiert steigt der städtische Anteil von 8 auf mindestens 20 Millionen Euro.

Nein, sagen dazu jene, denen das besonders leicht fällt, nämlich die von jeher entschiedensten Tunnelgegner im Rat. Grüne, Linke und Oliver Wendenkampf, future-Rat und klagefreudiger BUND-Landeschef in Personalunion, forderten in einem gemeinsamen Antrag Alternativen zum Tunnel. Ihre Argumentation, ein Beschluss über den Antrag käme ja nicht schon dem Aus fürs Projekt gleich, verhalf ihnen nicht zur gewünschten Mehrheit im Rat. Wigbert Schwenke (CDU) nannte den Antrag "unrealistisch, am Thema vorbei und abzulehnen". Denny Hitzeroth (SPD) gestand, dass ihm die Debatte "den Blutdruck ganz weit nach oben" treibe: "Euer Antrag ist unredlich. Ihr redet von Alternativen, aber ihr habt keine und tut dennoch so, als würden wir hier mit einer Nullvariante rauskommen können. Wir stellen uns besser der Debatte und der Wahrheit."

In der Tat keinen Gefallen tat der Front der Tunnel-Alternativen der Grüne Jürgen Canehl mit seinem schon eingangs erwähnten Anti-Tunnel-Dauerbeschuss des Stadtrates über mehr als 20 Minuten. Canehl rollte die halbe Tunneldebatte von vorne auf - freilich aus seiner gegnerischen Sicht. Aber kaum ein Rat hatte zum Zeitpunkt mehr Interesse an Canehls nicht unbedingt weiterführendem historischem Abriss, der von vielen Zwischenrufen und jeder Menge Gemurre begleitet wurde. Schon geschickter merkte Frank Theile (Linke) an, dass auch er die eigenen Reihen vor einem simplen Aus für den Tunnel warne, man aber doch angesichts der "Lawine, die da auf uns zurollt" berechtigt nach Alternativen fragen dürfe. Am Ende nutzte alles nichts. Die Fraktionen CDU/FDP/BfM und SPD - gemeinsam mehrheitsfähig - standen fest zusammen. Aus ihrer Sicht gibt es keine Alternative zum Tunnel mehr. Stattdessen fordern sie einen Katalog von Maßnahmen zur Kostensenkung noch vor dem für Januar 2015 angesetzten nächsten wichtigen Tunnelbeschluss ein. Dann soll der Vergabebeschluss über die Bauleistungen fallen; der Baustart ist für den Sommer 2015 geplant.

Gegenüber dem Oberbürgermeister hat die Bahn signalisiert, dass sie von ihren Plänen zur Erneuerung der Eisenbahnbrücken im Bereich nicht abweichen werde. Steigt die Stadt aus dem Projekt aus, drohen nicht nur Vertragsstrafen, sondern auch erhebliche Verkehrsprobleme am Knotenpunkt wie eine dauerhafte Sperrung für den Straßenbahnverkehr. OB und Ratsmehrheit sehen keine Ausstiegsoption mehr. Trümper kündigte die Not zur Neuverschuldung an. Für den Tunnel und für die neue Elbbrücke nach Ostelbien.