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Tarifverhandlungen Kita-Streik wird deutlich ausgeweitet

Experimente hier, Sprachförderung dort - aus Deutschlands Kitas sind in den vergangenen Jahren Bildungseinrichtungen geworden. Dem Personal wird mehr abverlangt - nun streiken die Erzieher dafür, dass sie auch entsprechend bezahlt werden.

19.05.2015, 01:26

Magdeburg l Im ersten Moment klingt die Forderung realitätsfremd. Um durchschnittlich zehn Prozent sollen die Gehälter für Erzieher in kommunalen Einrichtungen steigen. Doch den Gewerkschaften geht es nicht um prozentuale Lohnerhöhungen - sondern um die grundsätzliche Einteilung in höhere Entgeltgruppen. Eine Erzieherin bekäme nach acht Jahren im Beruf monatlich dann 3308 Euro statt 2877 Euro brutto.

Die Magdeburgerin Silke Schwab ist seit knapp 27 Jahren Erzieherin. "Der schönste Beruf, den es gibt", sagt sie. Doch am heutigen Dienstag wird Silke Schwab nicht zur Arbeit in der Kita Waldwuffel erscheinen. "Ich finde den Streik richtig. Unser Beruf hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Das muss sich jetzt auch in der Bezahlung widerspiegeln", sagt die 46-Jährige.

Erzieher müssen Bildung vermitteln

Als sie Ende der 80er Jahre ins Berufsleben gestartet ist, ging es im Kindergarten noch ums Erziehen und Betreuen der Kinder. "Heute sollen wir einen guten Grundstein für die Schule legen, die Kinder viel stärker fördern. Aber finanziell sind wir deutlich schlechter gestellt als Lehrer", sagt Silke Schwab.

In der Krippe veranstaltet sie Farbentage oder führt mit den Null- bis Dreijährigen kleinere naturwissenschaftliche Experimente durch. "Nur mit den Kindern spielen und den Tag rumkriegen - das war früher einmal. Heute liegt der Schwerpunkt ganz klar auf Bildung", sagt Schwabs Kollegin Kerstin Schubert (51). "Und das bei einem Krippen-Betreuungsschlüssel von eins zu sechs in Sachsen-Anhalt - in Baden-Württemberg kommen auf eine Erzieherin drei Kinder."

Doch es ist nicht nur die verstärkte Bildungsarbeit, für die die Erzieher mehr Geld wollen. Auch die gestiegene Arbeitsbelastung habe den Beruf verändert, erklärt Leiterin Nicole Stöwer. "Immer mehr Kinder haben einen sonderpädagogischen Förderbedarf", sagt sie. Etwa 40 der 150 betreuten Kinder erhielten eine besondere Förderung, erklärt Stöwer. Ihre Kollegin Heidi Hartung (56), die seit 35 Jahren Erzieherin ist, sagt, das habe es so früher nicht gegeben. "Zu DDR-Zeiten war die Gesellschaft homogener, die Kinder fast alle auf einem Stand. Das macht es heute schwerer. Man muss immer schauen: Wo steht das Kind und wie kann ich es individuell fördern", sagt Heidi Hartung.

Entwicklungsdokumentation im Alltag kaum zu schaffen

Mitverantwortlich für die Entwicklung: die Eltern. "Früher hat man sein Kind in die Kita gebracht und wieder abgeholt - das wars. Heute wollen die Eltern genau wissen: \\\\\\\'Was hat mein Kind gelernt?\\\\\\\'", erklärt Andrea Sombrowski (46). Die Eltern fordern mehr Transparenz ein. Alle Entwicklungsschritte der Kleinen werden in der Magdeburger Kita mit Datum und Fotos festgehalten - für jedes Kind gibt es einen Ordner. "Die Dokumentation schafft man im Kita-Alltag oft nicht. Viele Kollegen machen das dann abends zu Hause", sagt Kita-Leiterin Nicole Stöwer.

Man sei zu Verbesserungen bereit, aber der Tarifkonflikt dürfe nicht auf dem Rücken von Kindern und Eltern ausgetragen werden, kritisieren die Arbeitgeber. Die Streiks müssten beendet werden. Der Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, Thomas Böhle, hat in einem Interview zudem auf die schwierige Finanzlage vieler Gemeinden hingewiesen: "Ich bekomme Briefe von Oberbürgermeistern aus Sachsen-Anhalt, die mich auffordern, den Forderungen bloß nicht nachzugeben. Bei ihnen sei finanziell Land unter." Auch der Städte- und Gemeindebund warnt: Ein neuer Tarifabschluss könnte für die Eltern höhere Kita-Beiträge zur Folge haben.

Dies sei das Letzte, was man erreichen wolle, sagt Kita-Leiterin Nicole Stöwer. Sie stellt klar: "Es ist genug Geld im System. Und es ist machbar, das besser zu verteilen und Erzieher besser zu bezahlen."<6>