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Magdeburger Wissenschaftler der Universität stellen ISS-Projekte vor Zellkulturen und Fluidfilme im Weltall

Von Oliver Schlicht 05.04.2011, 06:27

Magdeburg. Die Otto-von-Guericke-Universität hat gestern in Magdeburg mehrere Forschungsvorhaben vorgestellt, die sich in diesem Jahr mit dem Thema Weltraum beschäftigen werden. Federführend sind dabei Mikrobiologen an der Fakultät für Maschinenbau und das Institut für Experimentelle Physik.

Seit 2006 sind verschiedene Einrichtungen der Universität in internationale Kooperationen eingebunden, die mit materialtechnischen und biomedizinischen Experimenten Grundlagenforschung unter Schwere- losbedingungen betreiben. Partnereinrichtungen der Magdeburger sitzen in Europa, den USA, Russland und China. Dabei geht es nicht nur um Spitzenforschung, auch der wissenschaftliche Nachwuchs ist in die Weltraumforschung eingebunden. Erst im Februar war von Schweden aus eine Forschungsrakete in den weltallnahen Raum gestartet, an Bord ein Experiment von Magdeburger Physikstudenten. Dabei wurde das Verhalten von Granulat-Material mit Kameras aufgezeichnet.

Dieses und andere Experimente der Magdeburger Wissenschaftler werden in der Regel von Organisationen wie der europäischen und amerikanischen Weltraumagentur ESA und NASA und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gefördert. So auch die Forschungsvorhaben, die 2011 von Magdeburg ausgehen und sogar direkt in die wissenschaftliche Arbeit der Internationalen Weltraumstation ISS eingebunden sein werden.

So soll der Biotechnologe Prof. Oliver Ullrich in diesem Jahr die wissenschaftliche Leitung eines biologischen Experiments auf der ISS übernehmen, das negative Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf das menschliche Immunsystem untersucht. "Dazu wird ein Behälter mit Zellkulturen auf die ISS gebracht, in dem die Experimente weitgehend automatisiert ablaufen", erläuterte der Wissenschaftler gestern bei der Vorstellung des Projektes. Astronauten auf der Station sind kaum in die Abläufe der Experimente eingebunden. Ullrich: "Wir haben aber vom Kontrollzentrum auf der Erde aus die Möglichkeit, in die experimentellen Abläufe, die in dem Behälter stattfinden, einzugreifen."

Hintergrund der Arbeit seien bislang weitgehend unerforschte Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf das Immunsystem der Astronauten. Seit den Apolloflügen in den 1970er Jahren sei bekannt, dass etwa die Hälfte der Astronauten unter den Auswirkungen eines geschwächten Immunsystems leide. Ullrich: "Sie sind anfällig für bestimmte Krankheiten und Infektionen. Belegt sind Hautpilzerkrankungen. Auch verheilen offene Wunden sehr schlecht."

Interessant sei, dass bestimmte Zelltypen kaum auf die Schwerelosigkeit reagieren, andere reagierten dagegen sehr stark und sofort. "Wir hoffen mit unseren Experimenten dieses Zellverhalten besser verstehen zu können. Gerade vor dem Hintergrund von in den nächsten Jahrzehnten geplanten Langzeitflügen in Richtung Mars sind Forschungen auf diesem Gebiet sehr wichtig", so der Wissenschaftler. Er zeigte sich verwundert, wie wenig dieses Phänomen – obwohl seit vielen Jahren bekannt – bislang erforscht worden ist. Medizinische Untersuchungen von russischen Langzeitkosmonauten seien bis heute vielfach nicht veröffentlicht.

Die jetzt bevorstehende wissenschaftliche Arbeit auf diesem Gebiet werde von der NASA gefördert. Eingebunden seien auch Wissenschaftler aus der Schweiz, Russland und den USA. Auch eine ehemalige NASA-Astronautin arbeitet an dem Projekt mit.

Ein zweites wichtiges Weltraum-Thema bearbeitet das Institut für Experimentelle Physik unter Federführung von Prof. Ralf Stannarius. "In der Schwerelosigkeit lassen sich sehr reine Moleküle züchten und besonders saubere Legierungen herstellen. Dies macht den schwerelosen Raum für die Materialforschung sehr interessant", so Ralf Stannarius. In einem Projekt mit dem Namen "Oasis" untersuchen die Magdeburger Physiker die Fluiddynamik in sehr dünnen Schichten. "Jeder kennt solche Schichten in Seifenblasen. Uns interessiert unter anderem die spontane Selbstorganisation von mikroskopischen Einschlüssen in solchen Filmen", erklärt der Physiker. "Stellen Sie sich vor, sie könnten die ganze Stadt Magdeburg mit einem stabilen, einen Millimeter dicken Film be- decken, der nicht reißt." Mit solchen Materialien ließen sich ganz neuartige Verarbeitungsprozesse verwirklichen.

Das "Oasis"-Projekt wurde gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität von Colorado in Boulder auf einem sogenannten Science Concept Review (SCR) der NASA im Sommer 2008 erfolgreich wissenschaftlich verteidigt. Damit ist eine wichtige Stufe auf dem Weg zu einem 2012 oder 2013 geplanten ISS-Flug genommen. Fragen der technischen Realisierbarkeit sollen noch im April besprochen werden. Im Moment sind die Wissenschaftler mit vorbereitenden Experimenten am Boden beschäftigt.