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Ost-West-Paare So viel Einheit herrscht zu Hause

Ossi liebt Wessi - eine Seltenheit ist das schon lange nicht mehr. Aber
in solcher Beziehung merkt man doch bestimmt noch heute, wer auf welcher
Seite aufgewachsen ist - oder? Die Volksstimme hat mit vier Paaren
gesprochen.

Von Elisa Sowieja 21.10.2014, 03:14

Magdeburg/Wernigerode/Kakerbeck l Mit solch einer Bewerberin hätte Udo Krüger nicht gerechnet: Zu 22 Uhr hatte er sie in die Wolfsklause in Magdeburg bestellt. Der Hannoveraner suchte eine Assistentin für seinen Getränkegroßhandel. Um Punkt 22.05 Uhr - er war schon da, ließ sich aber noch das Abendbrot schmecken - stand plötzlich eine entschlossene Brünette vor ihm. Auch sie war pünktlich, hatte ein paar Tische weiter gesessen. Und sie sah es nicht ein, ohne Not auf einen Mann zu warten. "Jeannette drängte vehement darauf, dass wir endlich mit dem Gespräch beginnen - das hat mich beeindruckt", erzählt er. Das war vor 24 Jahren. Heute sind die beiden nicht nur Geschäfts-, sondern auch Ehepartner.

Frauen wie Jeannette kannte Udo Krüger aus Niedersachsen nicht. "Ich habe noch nie stärkere, selbstbewusstere, mutigere Frauen kennengelernt als im Osten", sagt der 54-Jährige. Genau das hat ihn gereizt: "Ich will eine Frau auf Augenhöhe." Auch die Magdeburgerin war von Eigenschaften beeindruckt, die sie bei Männern aus der Heimat nicht gefunden hatte: "Er war sehr weltoffen und ließ mir viele Freiheiten."

Das Prinzip Augenhöhe haben die beiden bis heute beibehalten. Sie leiten zusammen drei Firmen, kümmern sich gemeinsam um ihre zwei Söhne, fahren auch mal getrennt voneinander in den Urlaub. Während die Ost-West-Prägung für das Paar eine Bereicherung ist, war sie für die Eltern von Udo Krüger bei einem Thema gewöhnungsbedürftig. Die 46-Jährige erzählt: "Ich musste meinen Schwiegereltern erst einmal erklären, wieso ich sechs Wochen nach der Geburt meiner Kinder wieder arbeiten gehen wollte."

"Ich habe noch nie stärkere Frauen kennengelernt als im Osten." - Udo Krüger

In der Beziehung von Hendrik und Gudrun Pierstorff spielte das Kinderkriegen nie eine Rolle. Denn als sie sich 1993 kennenlernten, war sie 58 und er 65. Zu seinem 70. feierten die Turteltauben ihre Vermählung gleich mit. Obwohl sie jahrzehntelang völlig unterschiedlich gelebt haben - sie stammt aus dem Ost-Harz, er aus Hamburg - fällt den beiden beim besten Willen kein Thema ein, bei dem sie sich nicht einig sind. Urlaub, Möbel, Mittagessen: Alles in der Harmoniezone. Der wichtigste Grund dafür liegt für Hendrik Pierstorff auf der Hand: "Da spielt der da oben mit!" Aber auch hier unten gibt es eine Erklärung für die Ost-West-Einheit: Die beiden hatten schon gemeinsame Leidenschaften, bevor sie sich kannten - solche, denen man auf jeder Seite der Mauer nachgehen konnte.

Eine davon hat sie zusammengebracht: das Singen. Sein Chor hatte nach der Wende einen Partnerchor im Osten gesucht - und war in Wernigerode fündig geworden. Gemeinsam fuhr man jedes Jahr zu einem Folklorespektakel. Als es 1993 nach Dänemark ging, saß auch seine Gudrun im Bus. Beim Gedanken daran schwärmt der Rentner noch heute: "Ihre Beine fielen mir zuerst auf - die kann sie heute noch zeigen!" Zu allem Glück waren sie nicht nur schön, sondern konnten sich auch geschickt zu Musik bewegen - die zweite gemeinsame Vorliebe der beiden. Eine dritte konnten sie auskosten, als sie wieder zu Hause waren. "Wir haben uns schön verzierte Briefe geschrieben - jeden Tag einen!", erzählt Gudrun Pierstorff.

Seit 1996 wohnen die beiden zusammen in Wernigerode. Ihre Briefe haben sie aufgehoben - hübsch eingeschnürt mit roten und grünen Geschenkbändern. Und immer, wenn sie im Auto unterwegs sind, gehen sie noch einer gemeinsamen Leidenschaft nach. Henning Pierstorff: "Bis heute küssen wir uns an jeder roten Ampel!"

Im Gegensatz zu den Piers-torffs und den Krügers haben sich Brigitte und Christoph Hohmann noch vor der Wende kennengelernt. Die Ruhrpottlerin und der Altmärker liefen sich im September ´89 am Strand von Bulgarien über den Weg. Drei Wochen später waren sie verlobt. Dass sie nach dem Urlaub eine Mauer trennen würde, darüber dachten die beiden gar nicht erst nach. "Wir hatten einfach das Gefühl, dass wir zusammengehören", erklärt die 59-Jährige. "Schließlich haben wir uns ohne Worte verstanden."

Dass die Zwei wenige Monate später zusammenziehen konnten, lag am Fall der Mauer. Dass sie heute noch gemeinsam in Kakerbeck leben, liegt daran, dass sie wohl tatsächlich zusammengehören. "Bei uns gab es nie Ost-West-Unterschiede. Denn wir waren beide schon immer Außenseiter!", erzählt Christoph Hohmann, heute 66 Jahre alt. Bester Beweis ist wohl das eher unkonventionelle Outfit, das sie zu ihrer Hochzeit trugen: Das Ja-Wort gaben sich die Zwei in Lederjacken.

Eine typische Ossi-Eigenschaft kann Brigitte Hohmann aber doch an ihrem Liebsten ausmachen - allerdings keine, die für Zackereien sorgt, im Gegenteil: Sie war ihrem Christoph in Bulgarien sogar eine Hilfe. "Er konnte schon damals richtig gut tanzen", erzählt sie, "das kannte ich von Männern aus dem Westen nicht."

"Mein Mann hatte keine Ahnung, was ein Stietz ist." - Nicole Plomitzer

Bei Nicole Plomitzer und ihrem Mann Fabian Plomitzer-Plimpfl hingegen wird ständig über Ost- und West-Eigenheiten gestichelt - allerdings nur zum Spaß. Ein bisschen Neckerei gehört bei ihnen zur Beziehungsharmonie. Als sich die beiden vor 14 Jahren in der Berufsschule kennenlernten, lag der Heimvorteil beim Hannoveraner. Heute wohnt das Paar mit seinen zwei Kindern in der Börde und arbeitet als Autohändler in Magdeburg. Obwohl die beiden nur wenig von der Zeit vor der Wende mitbekamen - er ist heute 35, sie 33 - ziehen sie sich ständig mit Ost-West-Unterschieden auf.

"Mein Mann hatte keine Ahnung, was ein Stietz ist", erzählt sie grinsend. "Gehacktes kannte er auch nicht. Und als ich das erste Mal von Lippenpomade sprach, hat er nur komisch geguckt." Eine weitere Lektion, die er lernen musste: Wer "Plastik" statt "Plaste" sagt, outet sich als Wessi. Deshalb hält`s Fabian Plomitzer-Plimpfl damit jetzt diplomatisch: "Ich habe mir angewöhnt, einfach Kunststoff zu sagen!"

Anpassen musste er sich auch in Sachen Pünktlichkeit. Nicole Plomitzer musste sich genauso an einiges gewöhnen. Merke: West-Verwandtschaft lässt in der Wohnung gern die Straßenschuhe an! Alles Unterschiede, bei denen sich die Zwei irgendwie einigten. Nur bei einem will bis heute keiner nachgeben: Heißt es Viertel fünf oder Viertel nach vier?