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Friedliche Revolution in Salzwedel Joachim Hoffmann: "Das war eine Selbstbefreiung"

25.10.2014, 01:04

Joachim Hoffmann, ehemaliger Pfarrer der Katharinenkirche, erhält morgen das Ehrenbürgerrecht der Stadt für seine Verdienste als Moderator der friedlichen Revolution 1989 in Salzwedel. Volksstimme-Redakteur Alexander Walter sprach mit ihm über die Auszeichnung, über die Stimmung im Herbst ´89 und seine damalige Rolle.

Volksstimme: Herr Hoffmann, Sie werden sich morgen in das Goldene Buch der Hansestadt eintragen. Mit welchen Gefühlen kommen Sie an ihre ehemalige Wirkungsstätte?
Joachim Hoffmann: Ich freue mich sehr über die Ehrung, wenngleich viele andere, die im Herbst 1989 mitgewirkt haben, sie ebenfalls verdient hätten. Deshalb habe ich zunächst auch gezögert sie anzunehmen. Nach Salzwedel komme ich sehr gern, ich bin der Stadt und der Gemeinde immer verbunden geblieben.

Aus einem ökumenischen Gesprächskreis ist im Herbst 89 ja das Neue Forum Salzwedel entstanden. Wie kam es dazu?
Nach einem offenen Brief des damaligen Bischofs Dr. Christoph Demke, der sich mit der Frage beschäftigte: \'Was muss sich in der DDR verändern?\', haben wir am 23. September 1989 ganz normal zum ökumenischen Gespräch über das Thema eingeladen. Es kamen 35 Leute, doppelt so viele wie üblich. Beim nächsten Treffen waren es schon zwischen 80 und 100, am 20. Oktober 500. Am 26. Oktober war die Katharinenkirche dann mit mehreren tausend Menschen brechend voll. Aus diesen Versammlungen ist das Neue Forum hervorgegangen.

Wie war die Stimmung in der Katharinenkirche?
Es war eine Mischung aus Angst, Anspannung und Aufbruch. Einerseits hatten manche gesehen, dass die Kampfgruppen am Birkenwäldchen bereitstanden und waren nicht sicher, ob sie heil wieder nach Hause kommen würden. Andererseits war da aber auch der Mut aufzustehen. Man kann das schwer beschreiben, ich sage immer, das war eine Selbstbefreiung. Bei einigen konnte man das sogar körperlich sehen. Das war faszinierend zu erleben.

"Bis in den Oktober hinein wurde immer wieder gedroht."

Gab es Drohungen im Vorfeld?
Ja, schon am 20. Oktober waren Vertreter aus dem Rat des Kreises bei mir und haben mir gesagt, dass Kampfgruppen und Volkspolizei bereitstünden, weil sie Angst hätten, dass es zu Ausschreitungen kommt. Ich habe dann gesagt, wenn sie sich nicht vom Kirchplatz fernhalten, kann ich für nichts garantieren. Erstaunlicherweise haben sie sich daran gehalten.

Haben die Ereignisse in Leipzig und anderen Städten den Salzwedelern Mut gemacht?
Sicher hat die Berichterstattung über Leipzig einen Einfluss gehabt. Aber man war ja nie sicher, ob das durchhält. Bis in den Oktober hinein wurde immer wieder gedroht. Man wusste auch nicht, ob Leute von uns provozieren würden. Die Anspannung bin ich erst losgeworden, als ein Teilnehmer am 26. Oktober in der Katharinenkirche zwei Stasi-Leuten am Eingang zugerufen hat: \'Ihr könnt ruhig reinkommen und alles mithören.\' Als da alle gelacht haben, wusste ich, jetzt kann eigentlich nichts mehr passieren.

Wie haben Sie Ihre Rolle damals wahrgenommen?
Ich habe natürlich gespürt, dass ich eine Sonderrolle spielte. Als Pfarrer war ich ja relativ frei, die Kirche war die einzige unabhängige Institution in der DDR. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass es an vielen Orten die Pfarrer waren, die die Prozesse zur Demokratisierung mit in Gang setzten und begleiteten. Außerdem wusste ich auch, dass ich im Sommer in eine neue Stelle in Magdeburg wechseln würde. Da konnte ich mich stärker politisch engagieren.

"Was wir uns vorgenommen hatten, war nicht mehr möglich."

Haben sich die Dinge so entwickelt, wie Sie es sich gewünscht haben?
Ja und Nein. Auf der einen Seite ist es schön, dass wir heute in Demokratie und relativer Freiheit leben können. Auf der anderen Seite ist es schade, dass viele Prozesse abgebrochen wurden, nachdem deutlich wurde, dass es auf die Wiedervereinigung zugehen würde. Was wir uns vorgenommen hatten, nämlich selbstständig die Gesellschaft zu verändern, war so nicht mehr möglich. Aber natürlich ist es schön, dass Ost und West zusammengegangen sind.

Vermissen Sie heute die Dynamik des Herbstes 89?
Nein, die Dynamik vermisse ich nicht, das war eine besondere Situation. Was ich vermisse ist das Engagement. Die Politikverdrossenheit bereitet mir Sorgen. Demokratie braucht Menschen, die sich einbringen, sie müssen sich aber auch einbringen können.

Auf Initiative beteiligter Männer und Frauen des Herbstes 89 soll morgen eine Erinnerungstafel mit dem Motto des Neuen Forum "Was wollen wir jetzt" an der Kirche angebracht werden. Was erhoffen Sie sich davon?
Die Hoffnung ist, dass die Erinnerung an das, was 1989 in Salzwedel passiert ist, nicht verloren geht. Die Menschen sollten sich auch heute fragen: "Was wollen wir jetzt?" Das soll keine Erinnerung in Nostalgie sein, sondern eine, die erklärt, was damals wichtig war, was getragen hat und was auch heute tragen kann. Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung - das waren Kernthemen der Demonstrationen in der DDR. Das sind Themen, die sich nicht erledigt haben und auch heute unseren Einsatz brauchen.

Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Welche Bedeutung hat die Zeit in Salzwedel für Ihr Leben?
Wir waren 15 Jahre hier, meine Kinder sind in Salzwedel aufgewachsen, hier hatte ich meine erste Gemeinde. All das hat mich sehr geprägt. Außerdem ist Salzwedel eine der schönsten alten Städte, die ich kenne. All das habe ich später in Magdeburg schon vermisst.