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Domführer Rolf Schrader ist Kandidat für den Titel " Magdeburger des Jahres 2009 " "Wir brauchen uns nicht zu verstecken"

Von Katja Tessnow 15.12.2009, 05:52

Wenn Rolf Schrader nicht zu Hause ist, läuten die Domglocken auf dem Anrufbeantworter. Im Schraderschen Flur begrüßt Mauritius, der Dom-Schutzheilige, die Besucher. Aus dem Wintergartenfenster seiner Wohnung an der Danzstraße genießt der 69-Jährige Domblick : " Plattenbau, aber ich könnte gar nicht schöner wohnen !" Seit einem halben Jahrhundert ist Rolf Schrader dem Dom zu Diensten, wann immer es seine Zeit erlaubt – im Ehrenamt.

Altstadt. Rolf Schrader ist ein echtes Magdeburger Gewächs : " Ich war nur einmal für längere Zeit aus der Stadt weg und das zwangsweise : zum Wehrdienst in Schwerin. " Als Fünfjähriger hat Schrader seine Stadt brennen sehen : " Wir wohnten damals im Editharing und wurden selbst ausgebombt. Ich erinnere mich bis heute an die, Weihnachtsbäume ‘ ( Bomben, die das Abwurfgebiet taghell erleuchten ), an das Splittern der Scheiben und an das Knirschen der Asche. Für mich ist der 16. Januar wie ein zweiter Geburtstag. " Wenn Rolf Schrader von seiner Kindheit in der kriegswunden Stadt erzählt, klingt das dennoch alles andere als unglücklich : " Damals fuhren Loren für den Abtransport der Trümmer durch die ganze Innenstadt. Wir haben auf den Schwellen gespielt, was natürlich eigentlich verboten war. "

Rolf Schrader hat die gezeichnete Stadt von Herzen lieben gelernt, ihre heutige Entwicklung verfolgt er stolz und beglückt. " Wenn ich sehe, was allein um den Dom herum passiert, die Ausgrabungen der alten Festungsanlagen, die Bastion Cleve ... Es ist wunderschön, hier an der Elbe zu spazieren. Wir haben eine schöne Stadt. Wir brauchen uns nicht zu verstecken. "

Rolf Schrader wird in seinem lokalpatriotischen Stolz nahezu täglich bestärkt, wenn er im Dom auf Touristen stößt : " Die meisten staunen und sagen, sie hätten eine so schöne Stadt gar nicht erwartet. " Gestern Abend hat Schrader seine 187. Domführung abgehalten – im laufenden Jahr. " Auf etwa 200 Führungen mit durchschnittlich 30 Besuchern komme ich alljährlich. " Macht rund 6000 Zuhörer, und Schrader genießt jeden einzelnen : " Das große Interesse, die vielen Gespräche mit unterschiedlichen Menschen, das ist mein Lohn. " In Euro und Cent rechnet sich Schraders Einsatz kein Stück. Er ist dem Dom seit einem halben Jahrhundert im Ehrenamt zu Diensten.

" Seit zehn Jahren übernehme ich montags auch den Küsterdienst. Ich schließe auf und zu, betreue das Mittagsgebet, bereite Veranstaltungen vor, fege schon mal Schnee oder läute die Glocken. Das war übrigens meine erste Tat 2009 – ich, allein im Dom und die Glocken läuten. " Rolf Schrader erzählt davon ein Jahr später mit noch immer glänzenden Augen. Das sei ein Privileg, den Dom manchmal für sich alleine zu haben.

1952 begann Schraders " Bekanntschaft " mit dem heute 800-jährigen Bauwerk ; er kam zum Konfirmandenunterricht, wurde 1954 schließlich im Dom konfirmiert. Das Gebäude und der damalige Domprediger Ernst Martin haben ihn gleichermaßen beeindruckt. " Der Prediger Martin war für mich so jemand wie Luther. Dem wuchsen Haare aus Nase und Ohren, und bei ihm mussten wir nichts auswendig lernen. Mit 12 oder 13 nahm ich mir vor, ein Buch über den Dom zu schreiben, hatte aber doch zu viel Mühe, die Sätze, die ich aus anderen Büchern abschrieb, so umzustellen, dass es keiner merkt ... " So unecht Schraders Autorenschaft, so echt seine Faszination für den Dom schon im Kindesalter und so tief sein Glauben. " Ich stamme aus einer christlichen Familie, aber so doll christlich waren meine Eltern auch wieder nicht. Man ging ab und zu in die Kirche. So richtig zum Glauben habe ich erst als Jugendlicher im Dom gefunden. " Schrader blieb fest im Glauben und treu zum Dom. " Ich will Besucher nicht christianisieren, aber ich möchte, dass sie daran denken, dass dieses Haus zu Ehren Gottes gebaut wurde. "

Dabei ist Rolf Schrader – gelernter " Ökonom des sozialistischen Binnenhandels " – alles andere als ein weltabgewandter Mensch ; vielmehr ist ihm nichts Menschliches fremd. Schrader, Vater von vier Kindern, war zweimal verheiratet und ist zweimal geschieden. Zuletzt erlebte er zur Wendezeit ein privates Glück. Auch das hielt nicht auf Dauer. Jetzt ist der Mann, beinahe 70 Lenze, in " dritter Ehe " mit dem Dom verheiratet.

Bis 1989 hat Schrader im Kombinat Obst, Gemüse und Speisekartoffeln ( OGEMA ) gearbeitet. " Wir waren über 7000 Mitarbeiter ; nicht einen gibt es heute noch. "

Der Ökonom versuchte sich nach der Wende als Handelsvertreter für Geschenkartikel. Das ging ein paar Jahre gut und dann den Bach runter. Einer Anstellung im Großhandel folgte eine ABM im Dom und schließlich Arbeitslosigkeit. Genug zu tun hatte Rolf Schrader freilich trotzdem. Dem gottesfürchtigen Mann ist die Lust aufs Leben auf Erden so leicht nicht zu nehmen. Er lebt sie unter anderem auf der Bühne aus. 1999 begann seine Statistenkarriere – natürlich im Dom, beim " Jedermann " vom damaligen Intendanten Max K. Hoffmann inszeniert. Es folgte eine Leiche in der " Walküre ". " Ich durfte eine Sololeiche spielen, die anderen lagen in Haufen rum ; 32 Minuten lang ! Das war gar nicht einfach. " Es folgten Rollen Schlag auf Schlag. Aktuell steht Schrader in " My fair Lady " auf der Bühne, und am nächsten Montag beginnen die Proben zu " Carmen " : " Da bin ich zum Beispiel ein Polizist. " Immer sprachlos. " Ich sollte erst Text bekommen, aber der ist auf Französisch ; da habe ich gekniffen. " Anders auf der diesjährigen Sommertheaterbühne im Domgarten. Im Domgeburtstagsstück " Zum Himmel hoch " führte Rolf Schrader als Zeitwächter durchaus wortreich durch die Bauwerksgeschichte. Das Allee-Center ist im Übrigen auch ab und an Schraders " Bühne "; einmal monatlich gibt er mit Gehrock und Zylinder den Empfangsportier und beantwortet den Centergästen alle Fragen, die bei der Orientierung so anfallen. " Das Centermanagement hatte das wohl im Berliner KdW gesehen und wandte sich auf der Suche nach einem Portier ans Theater. Die haben mich empfohlen. " Schrader schlug ein : " Die haben mich gleich gerne genommen. So einen grauhaarigen, alten Esel wie mich hatten die sich wohl grade gewünscht. "

Wenn auch nicht in vielem, so gleichen sich Schraders Dienste im Dom und im Center doch in einem : " Ich treffe da auf viele Touristen und repräsentiere dann die Stadt Magdeburg. Ich möchte, dass sie einen guten Eindruck macht !"

Aus der Ladenzeile zurück in den Dom. Dort hat Rolf Schrader gestern kurz vor 10 Uhr seinen Küsterdienst begonnen und gegen 21 Uhr, nach der Nachtführung, wieder abgeschlossen ; Montagsdienstnormalität, unentgeltlich, ehrenhalber.

Der Dom hat manchen Prediger kommen und gehen sehen, während Rolf Schrader blieb. Sein halbes Ehrenamtsjahrhundert mag vor der 800-jährigen Domgeschichte gering wirken, aber den Dom heute – die ganze Stadt – machen Menschen wie Rolf Schrader aus.