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Europawahl Alexander Graf Lambsdorff: "Sport und Tourismus nicht Brüssels Sache"

Alexander Graf Lambsdorff, Spitzenkandidat der FDP für die Europawahl,
plädiert für einen Stopp bei EU-Aufnahmen und weitere Reformen in
Südeuropa. Mit ihm sprach bei einem Volksstimme-Besuch Steffen Honig.

29.04.2014, 01:16

Volksstimme: Die FDP hat sich auf die Fahnen geschrieben, Europa aus den Schulden herauszubringen. Wie wollen Sie das machen?
Alexander Graf Lambsdorff: Europa muss die Nerven bewahren und Kurs halten auf dem Weg zu soliden Finanzen. Im Europaparlament ist kürzlich die Arbeit der Troika sehr kritisiert worden. Die Reformprogramme im Südeuropa sollen demnach so schnell wie möglich aufhören. SPD und Union haben dem zugestimmt und wollen die Probleme stattdessen mit Geld zuschütten. Die FDP meint dagegen, dass die Wirtschaftsreformen weitergehen müssen. Sie brauchen nun einmal fünf bis zehn Jahre, bis sie wirken.

Volksstimme: Was meinen Sie konkret?
Lambsdorff: Zum Beispiel die Entbürokratisierung: Handwerksmeister in Griechenland brauchen anderthalb Jahre, bis sie eine Betriebserlaubnis haben. Auch auf den Arbeitsmärkten in Südeuropa ist viel zu tun. Die heute zu Recht beklagte Jugendarbeitslosigkeit war doch schon vor der Krise viel zu hoch.

Volksstimme: Ist die politische Kaste in Griechenland zu nachhaltigen Änderungen überhaupt in der Lage?
Lambsdorff: Wenn Spanien, Portugal, Irland und auch Italien und Frankreich mit Wirtschaftsreformen vorwärtskommen, wird das auf Griechenland ausstrahlen. Die politische Landschaft gestaltet sich radikal um, es entstehen Kräfte, die die Sache hoffentlich ernsthafter angehen als in der Vergangenheit.

"EU-Kommission muss kleiner werden"

Volksstimme: Eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes wird bei der Armut in Griechenland jeder Regierung schwerfallen.
Lambsdorff: Es ist auch Gerhard Schröder schwergefallen, die Agenda 2010 durchzusetzen und doch hat das Deutschland in der Krise geholfen. Der Politiker denkt an die nächste Wahl, der Staatsmann an die nächste Generation.

Volksstimme: Wo sehen Sie in der EU selbst Reformbedarf?
Lambsdorff: Die EU muss bei den großen Sachen groß sein, aber sich bei den kleinen Sachen kleinmachen. Warum muss in Brüssel über Kaffeemaschinen oder Glühbirnen entschieden werden? Dieser Unsinn geht den Menschen auf die Nerven. Die Ökodesign-Richtlinie, die all dies gebracht hat, muss weg. Auch muss die EU-Kommission kleiner werden. Das geht laut Vertrag, aber die Regierungen haben das bisher verhindert, auch die deutsche Bundesregierung.

Volksstimme: Wie könnte das aussehen?
Lambsdorff: Es gebe die Möglichkeit der Rotation wie beim Internationalen Währungsfonds. Man könnte es auch mit Junior-Kommissaren machen.

Volksstimme: Aus welchen größeren Bereichen sollte die EU aussteigen?
Lambsdorff: Sport und Tourismus zum Beispiel, das kann doch jede Region selber viel besser entscheiden. Und in der Sozialpolitik ist eine Selbstbeschränkung nötig. Sozialdemokrat Martin Schulz und Christdemokrat Jean-Claude Juncker liefern sich gerade dort einen Überbietungswettbewerb der Versprechungen. Aber dabei werden Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt werden können. Es gibt nun einmal keine einheitliche Sozialpolitik, die für Manchester und Magdeburg und gleichzeitig auch noch für Bratislava und Vilnius funktioniert. Für die FDP ist klar, dass Sozialpolitik eine nationale Zuständigkeit bleiben muss.

"Unser Hauptgegner ist die Große Koalition"

Volksstimme: In Deutschland gibt es keine Sperrklausel mehr für die Europawahl. Gut für die FDP, schlecht für die Handlungsfähigkeit des Parlaments?
Lambsdorff: Die FDP hat im Bundestag für die Drei-Prozent-Hürde gestimmt, das Bundesverfassungsgericht hat sie abgeräumt. Deshalb sollten alle, die demokratische Parteien unterstützen, am 25. Mai auch zur Wahl gehen. Sonst werden die Stimmen etwa für die NPD aufgewertet. Wer nicht zur Wahl geht, macht die Extremisten stark.

Volksstimme: Nach Umfragen wird es von rechtsextremen, antieuropäischen Parteien im Parlament nur so wimmeln. Schreckt Sie das?
Lambsdorff: Wir dürfen das nicht verharmlosen und gegen diese Extremisten von rechts - und übrigens auch von links - politisch arbeiten. Aber da sie untereinander meist total zerstritten sind, bin ich sicher, dass es den demokratischen Parteien gelingen wird, den weiteren Kurs Europas zu bestimmen.

Volksstimme: Ein Wort zu Ihrer nationalen Konkurrenz: Die AfD wurde nach ihrer Gründung als Hauptgefahr für die FDP gesehen. Was meinen Sie?
Lambsdorff: Unser Hauptgegner ist nicht die AfD, das sind CDU und SPD, die Große Koalition. Sie setzt unsere Glaubwürdigkeit in Europa massiv aufs Spiel. Wie kann Deutschland Reformen verlangen und selber die Rente mit 63 einführen? Das passt doch vorne und hinten nicht zusammen. Was die AfD angeht: In der Eurozone ist die Krise zwar noch nicht vorbei, aber doch eine Stabilisierung eingetreten, die das Gerede von ihrer angeblich notwendigen Auflösung immer klarer als dummes Zeug entlarvt.

Volksstimme: Die Ukraine-Krise zeigt, wo die Grenzen der Ausdehnung der EU liegen. Wie steht die FDP zur künftigen Erweiterungspolitik?
Lambsdorff: Die Situation in der Ukraine macht auch deutlich, dass wir in der EU einen unschätzbaren Vorteil haben, weil wir nur von Freunden und Partnern umgeben sind. Was die Erweiterung betrifft, denke ich, dass es in den nächsten Jahren keine Neuaufnahmen geben wird.

Volksstimme: Was ist mit der Türkei?
Lambsdorff: Die Türkei ist ein wichtiges Land, Nato-Partner und verdient, dass man sie mit Respekt behandelt. Aber die Freiheitsrechte wie Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind zuletzt immer stärker eingeengt worden. Deshalb sage ich gerade als Liberaler, dass die Beitrittsverhandlungen ausgesetzt werden müssen, denn das hat mit europäischen Werten nichts zu tun.