Gärtner aus Norderstedt bei Hamburg erzielt mit Veredlungsmethode eine beachtliche Vielfalt Äpfel in 100 Sorten von zwei Bäumen
Ein Vorgarten in Norderstedt bei Hamburg beherbergt eine ganze Apfelplantage auf engstem Raum: Günter Ansorge züchtet rund 100 verschiedene neue und alte Apfelsorten an nur zwei Bäumen. Der Trick des Hobbygärtners ist besonderes Know-how.
Norderstedt (epd) l Irgendwann wurde es Günter Ansorge zu langweilig. Der passionierte Hobby-Gärtner hatte 1985 in seinem Garten in Norderstedt bei Hamburg zwei Apfelbäume gepflanzt. Der eine war ein "Roter Gravensteiner", der andere ein "Finkenwerder Herbstprinz". Allerdings wurde Ansorge der stets gleichen Äpfel schnell überdrüssig: "Im Herbst hatten wir immer zu viele von einer Sorte." Da entschied er sich für das Projekt "Mehrsortenbaum".
Seitdem erntet er von seinen Bäumen neben einigen gängigen Äpfeln wie "Boskop" und "Elstar" überwiegend alte Apfelsorten mit klangvollen Namen wie "Geheimrat Dr. Oldenburg", "Rheinischer Bohnapfel", "Riesenboiken" und "Dithmarscher Paradiesapfel". Die Ausbeute pro Sorte reicht von fünf Äpfeln bis zu einem ganzen Korb, dafür gibt es aber immer Ernten von Juli bis November.
Die Idee eines "Mehrsortenbaumes" geht zurück auf den Pastor Johann Georg Conrad Oberdieck (1794-1880), der nahe Hamburg gleichzeitig Garten- und Obstanbau betrieb. Er bemühte sich, das Obst seiner Gemeinde durch neue Sorten in einer eigenen Baumschule zu verbessern. Der Platz im Pfarrgarten war aber gering. Daher legte er Sortenbäume an, die durch Veredelung eine große Anzahl verschiedener Apfelsorten gleichzeitig tragen konnten.
Die Veredelungs-Methode, die Günter Ansorge anwendet, nennt sich "Kopulation". Dafür wird an dem ursprünglichen Baum ein einjähriger Zweig mit der gewünschten neuen Apfelsorte aufgepfropft. Zunächst wird mit einem Okuliermesser ein schräger Schnitt in den neuen Zweig geritzt, dasselbe gilt für den Ast, an den der Zweig befestigt werden soll. Beide Schnittstellen werden aufeinandergelegt. Danach muss die so entstandene Kopulationsstelle fest mit Kreppband umwickelt werden. Zum Schluss wird alles mit einem Wundverschlussmittel bestrichen.
So vielseitig wie die Geschmäcker der unterschiedlichen Äpfel sind auch die Geschichten hinter den Namen der Apfelsorten auf Ansorges Bäumen. Ein schönes Beispiel hierfür ist der "Korbiniansapfel", benannt nach dem bayrischen Pfarrer Korbinian Aigner (1885-1966). Der war nicht nur ein begeisterter Apfelzüchter, sondern stellte sich in seinen Predigten auch eindeutig gegen die Nationalsozialisten. Er wurde verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau deportiert, wo er zwischen zwei Baracken weiterhin Apfelbäume pflanzte. Dabei gelang ihm die Züchtung einer neuen Sorte, die zu seinen Ehren später den Namen "Korbiniansapfel" bekam.
Besonders stolz ist Ansorge auf den "Weißen Winter-Calville", der einst in Südtirol gezüchtet wurde. Die besten Exemplare gingen an der Zaren, den preußischen Königshof und den Bischof von Mainz. Zuletzt gehörte der Apfel in seiner Heimat zu den verschwundenen Sorten. Doch über eine Tauschbörse im Radio wurde Ansorge fündig. Jetzt hängen auch wieder Früchte an den Norderstedter Zweigen.