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Sexualisierte Gewalt in Kirche Bericht: Pastor missbrauchte mindestens zwei Minderjährige

Seit 2017 wird ein Pastor der Landeskirche Hannover beschuldigt, sexualisierte Gewalt ausgeübt zu haben. Eine unabhängige Kommission hat weitere Fälle ans Licht gebracht. Wie reagiert Bischof Meister?

Von Christina Sticht, dpa Aktualisiert: 24.06.2025, 18:00
Landesbischof Ralf Meister bittet die Betroffenen sexualisierter Gewalt um Entschuldigung. Die Aufarbeitung müsse weitergehen, sagte er.
Landesbischof Ralf Meister bittet die Betroffenen sexualisierter Gewalt um Entschuldigung. Die Aufarbeitung müsse weitergehen, sagte er. Julian Stratenschulte/dpa

Hannover - Ein prominenter evangelischer Pastor und Prediger wird beschuldigt, gegenüber mindestens zwei Minderjährigen sexualisierte Gewalt ausgeübt zu haben. Laut dem Bericht einer unabhängigen Aufarbeitungskommission machte sich der 2011 gestorbene Geistliche in fünf Fällen des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen strafbar. Der Betroffene war in einem Fall erst 13 Jahre alt, dies ist als Kindesmissbrauch zu werten. Ein weiterer junger Mann wurde mit 17 Jahren das erste Mal sexuell missbraucht, wie die Kommission recherchierte. 

In dem Bericht kommen Fehler der Landeskirche ans Licht. Als die Vorwürfe 2017 aufgekommen seien, hätte sofort eine unabhängige Kommission eingesetzt werden müssen, hieß es. Zudem sei 2019 die Mail eines Betroffenen, der als Jugendlicher missbraucht worden sei, von einer Leitungsperson der Kirche nicht intern weitergeleitet worden. 

Für den Bericht wurden 35 damalige Mitglieder der sogenannten Bruderschaft interviewt. Demnach wurde der Leiter der Gemeinschaft auch gegen mindestens elf volljährige junge Männer übergriffig, zu denen ein Seelsorge-Verhältnis bestand. In diesem Fall sind sexuelle Kontakte nicht erlaubt. 

Bischof bittet im Namen von Landeskirche um Entschuldigung

Landesbischof Ralf Meister räumte ein, dass seine Vorgänger Hanns Lilje und Horst Hirschler den Beschuldigten gewähren ließen. Der Mann habe in seiner in Hermannsburg (Landkreis Celle) gegründeten Gemeinschaft grundlegende Rechte außer Kraft gesetzt und „unter dem Dach der Landeskirche“ Grenzüberschreitungen, Missbrauch und Gewalt verüben können. „Ich bitte im Namen der Landeskirche um Entschuldigung“, sagte Meister. 

Der beschuldigte Pastor und Buchautor starb 2011 im Alter von 80 Jahren. Im damals von der Landeskirche veröffentlichten Nachruf werden unter anderem seine „besondere Gabe, junge Menschen zu gewinnen“ und sein Charisma gewürdigt. Als Evangelist - also Prediger - unternahm er zahlreiche Reisen, darunter auch viele ins Ausland.

„Er wurde von vielen seiner Anhänger als geistlicher Vater gesehen“, sagte die Leiterin der Kommission, Ulrike Wagner-Rau, über den Täter. Seine Tätigkeit als Seelsorger habe er missbraucht. Gespräch, körperliche Berührungen und Gebet seien ineinander übergegangen. Frauen seien abgewertet worden. Mitglieder der Bruderschaft seien zum Beispiel dazu gedrängt worden, Partnerinnen zu verlassen. 

Als die Vorwürfe 2017 aufkamen, hatte zunächst die Nachfolge-Organisation einen Bericht zur Aufarbeitung in Auftrag gegeben. Unklar ist, warum die Person aus der Kirchenleitung die Mail mit den konkreten Vorwürfen des Betroffenen nicht an diese Kommission weitergab. Gegen die Person aus der Kirchenleitung werde aus diesem Grund ein Disziplinarverfahren geführt, das bisher nicht abgeschlossen sei, hieß es von der Landeskirche.

Bei der strukturellen Gewalt in der geistlichen Gemeinschaft handele es sich nicht um einen Einzelfall, sagte Landesbischof Meister. Aus diesem Grund gebe es weitere Aufarbeitungsverfahren, auch im Auftrag des Evangelisch-lutherischen Missionswerks. 

Eigene Studie zur Rolle der Landesbischöfe seit 1945 geplant

Meister kündigte zudem eine besondere Untersuchung an, die sich mit allen gestorbenen Landesbischöfen in Hannover seit 1945 beschäftigen soll im Hinblick auf sexualisierte Gewalt und den Umgang mit Macht. Die Studie solle auch ihn selbst und seine Amtsvorgängerin in den Blick nehmen. Margot Käßmann wurde 1999 Landesbischöfin und trat Anfang 2010 von diesem Amt zurück. Meister ist seit Anfang 2011 Landesbischof. 

Das Ausmaß sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Diakonie ist noch völlig unklar. Anfang 2024 hatte die unabhängige Forum-Studie mindestens 1.259 beschuldigte Mitarbeiter sowie 2.225 betroffene Kinder und Jugendliche ermittelt. Dies sei aber nur „die Spitze der Spitze des Eisbergs“, sagten die Autoren. Vor knapp einem Jahr korrigierte die Landeskirche Hannover ihre Zahlen nach oben - von mindestens 140 Betroffenen seit 1945 auf mindestens 190.

Betroffenenvertreterin kritisiert Schweigen beim Kirchentag

Eine Gruppe von Betroffenen forderte mehrfach den Rücktritt von Bischof Meister und wirft ihm vor, die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt nicht ernst genug zu nehmen. Der Bischof weist diesen Vorwurf zurück und kündigte einen Kulturwandel im Umgang mit sexualisierter Gewalt an. 

Die Betroffenensprecherin des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt in der EKD, Nancy Janz, ist skeptisch. „Wer Kulturwandel predigt, muss ihn auch leben“, sagte Janz der dpa. „Wenn sexualisierte Gewalt nur bei PR-trächtigen Anlässen vorkommt, in Predigten aber kaum auftaucht und das Thema beim Kirchentag dann nur mit Schweigen behandelt wird, fehlt nicht nur Haltung. Es fehlt offenbar das Verständnis, was Kulturwandel wirklich bedeutet.“ 

Janz arbeitet in Bremen und hat 1997 als 17-Jährige selbst sexualisierte Gewalt durch einen damaligen kirchlichen Mitarbeiter und späteren Pastor der Landeskirche Hannover erfahren.