Karibikinsel "verschenkt" DDR unter Palmen: Die kuriose Geschichte der Thälmann-Insel und des Zucker-Deals mit Halle
Die DDR träumte von Palmen, Kuba von Zucker. Bei einem Staatsbesuch übergab Fidel Castro eine Insel nahe der Schweinebucht an Erich Honecker. Hinter dem symbolischen Geschenk steckte ein handfester Zucker-Deal.

Halle/MZ. - Sie haben alles wunderbar inszeniert. Hinten an der Wand schaut Lenin seinen Erben wohlwollend über die Schultern. Vorn steht Fidel Castro, mit lässig aufgeknöpfter Kampfjacke und dicker Rolex-Uhr am Arm. Er pikst den Finger auf eine Landkarte. „Da ist sie“, sagt er, die „Cayo Ernest Thaelmann“.
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Erich Honecker, der neben dem kubanischen Revolutionsführer steht, verhindert hilfreich, dass das Kartenblatt sich zusammenrollt. Doch der DDR-Staats- und Parteichef guckt ein wenig skeptisch. Eine Insel? In der Karibik? Als Geschenk? Für uns?
Gefeierter Held in der DDR: Fidel Castro, ein Diktator zum Anfassen
Ja, Fidel Castro meint es ernst, damals im Sommer 1972, als der 45-jährige Diktator seinen Genossen im sozialistischen Teil Deutschlands einen Freundschaftsbesuch abstattet. Castro wird von den DDR-Bürgern gefeiert, zu Zehntausenden stehen sie etwa an den Straßen von Halle bis nach Leuna, um den Mann zu sehen, der schon in den Grundschulen der Republik als Held gepriesen wird.
Castro wirkt erfrischend anders als die trockenen Politbüro-Bürokraten. Er fährt im offenen Wagen durch die DDR. Er gibt sich bürgernah und hält sich an kein Protokoll. In Halle-Neustadt springt er unangekündigt ins Becken der Schwimmhalle. In Berlin zieht er seine Uniform aus und spielt eine Runde Basketball.
Zeichen der Freundschaft
Walter Ulbricht heftet dem Besucher aus Amerika den „Großen Stern der Völkerfreundschaft“ an die Brust. „Für Ihren Kampf gegen den Imperialismus und ihren Beitrag zum Sozialismus in der Welt“, lobt der ein Jahr zuvor aufs Abstellgleis geschobene Vorsitzende des Staatsrates der DDR.
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Fidel Castros überraschendes Geschenk an die DDR
Der „erste Repräsentant eines sozialistischen Landes der westlichen Hemisphäre“, wie ihn die DDR-Medien nennen, revanchiert sich. Am 19. Juni 1972 rollt Castro seine Landkarte aus und eröffnet dem verblüfften Honecker seinen Präsidentenerlass 3676/72: Ein Teil der Inselkette Cayos Blancos del Sur nahe der Schweinebucht ist auf seine Anweisung hin in „Cayo Thaelmann“ umbenannt worden.
Als Beweis der „unverbrüchlichen Freundschaft“ zwischen den Brudervölkern, so Castro, schenke er der DDR das unbewohnte Eiland. Aber nicht ganz ohne Hintergedanken. Für die Schenkung bekam er im Gegenzug sechs Prozent der Weltmarktanteile an der Weißzuckerproduktion, die sich zuvor im Besitz der VEB Nordsternzuckerwerke in Halle befanden.

Die Insel ist immerhin 15 Kilometer lang, wenn auch nur 500 Meter breit, und der „Maximo Lider“ nennt es eine „geistige Geheimwaffe“. Bei einer Bootsfahrt seines Bruders Raúl Castro mit einer deutschen Delegation sei die Idee entstanden, den Flecken Land vor der Küste zu nutzen, „um Ernst Thälmann die Ehre zu erweisen“.
Ein Denkmal im weißen Sand
Als Verbeugung vor dem neuen Eigentümer DDR haben die Kubaner einen Strand zudem auf den Namen Playa RDA („DDR-Strand“) getauft. Wenig später wird dort ein Denkmal für den kommunistischen Arbeiterführer aufgestellt: Ein vier Meter hoher kantiger Betonsockel im weißen Sand, vor Palmen und Mangroven.
Symbolisches Geschenk von Fidel Castro an DDR
Das alles ist symbolisch gemeint. Nicht einmal Fidel Castro kann ein Stück Kuba verschenken, auch wenn seine Familie und seine Partei das Land in der Karibik absolutistisch regieren.
Das weiß auch die erste DDR-Delegation, die den neuen 16. Bezirk wenig später besucht und offiziell in Besitz nimmt. Nur weil das Schulschiff „Fichte“ gerade in der Nähe ist, fahren ein paar Mannschaftsmitglieder zur Insel, um der Einweihung der Thälmann-Büste beizuwohnen.
Ein paar Jahre später bringt das DDR-Fernsehen die beiden DDR-Schlagerstars Aurora Lacasa und Frank Schöbel für die TV-Sendung „Unterwegs mit Musik – Kuba“ zur Palmeninsel. „Die schwere Wärme und der Wind, die Blumen, die so leuchtend sind“, singt das barfüßige Paar am RDA-Strand und der Refrain rühmt die schöne „Insel im Golf von Cazones“.

Danach ist nie wieder die Rede vom Stück DDR in der Karibik, das langsam dem Vergessen anheimfällt. 1980 macht Erich Honecker während eines Staatsbesuches in Kuba zwar einen kurzen Abstecher zur unbewohnten Insel mitten im militärischen Sperrgebiet.
Die vergessene Insel der DDR
Später hört nie wieder jemand etwas vom Außenposten der Arbeiter- und Bauernrepublik, knapp 300 Kilometer südlich vom amerikanischen Key West. Die DDR vergeht. 1998 fegt der Hurrikan „Mitch“ über Kuba und weht das Thälmann-Monument um.
Es braucht erst die Initiative des halleschen Malers Gabriel Machemer, um die symbolische Schenkung in einen Mythos zu verwandeln, der immer wieder durch Magazine geistert, unauslöschlich im Internet kursiert und auch die Macher des Kinofilms „Kundschafter des Friedens II“ inspiriert hat.
Ein Internet-Mythos entsteht
Machemer, in Wolfen geboren und bekannt geworden durch seine unendlichen Serien von Esel- und Hasenbildern, war zufällig über die bizarre Geschichte der verschenkten Insel gestolpert.
Und er hatte sich den Spaß gemacht, im Internet-Lexikon Wikipedia einen Eintrag zu verfassen, in dem er Castros Erlass zur Namensvergabe zu einer Schenkung erklärte. Die Karibikinsel der DDR regt seitdem die Fantasie an.
Der Witz entfaltete unabsehbare Langzeitwirkung. Bald diskutierte das Netz, ob nicht das wiedervereinigte Deutschland nun ein Stückchen Karibik besitze − schließlich müsse die Insel ja mit der Vereinigung Eigentum der Bundesrepublik geworden sein.
Eine „Initiative Thälmann-Insel“ gründete sich mit der Forderung „Wir wollen unsere Insel zurück“. Zeitungen schrieben über deutsche Gebietsansprüche an Kuba. Das Auswärtige Amt musste reagieren und klarstellen, dass es sich bei der Übergabe der Landkarte an Honecker um „einen symbolischen Akt“ gehandelt habe, „der nichts mit Besitzverhältnissen zu tun hat“.
Von Verschwörungstheorien bis zur Kinoleinwand
Doch die Geschichte ist zu schön, um nicht wahr zu sein. 2023 drehte der junge Filmemacher Ronald Vietz den Film „Ernesto's Island“, dann schickte Regisseur Robert Thalheim seine „Kundschafter des Friedens 2“ zum letzten Stück sozialistischer Erde unter deutscher Flagge.
Henry Hübchen als James Bond des Ostens, Katharina Thalbach als „Tamara“, Thomas Thieme und Winfried Glatzeder als „Romeo“-Agent Harry müssen den ehemaligen 16. Bezirk der DDR vor der Übernahme durch amerikanische Tourismus-Konzerne retten. Eine letzte Heldentat des MfS, so bizarr wie die ganze Geschichte des verlorenen Stücks DDR-Karibik.