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Kinderpsychiatrie Kinder- und Jugendpsychiatrie: Fachkräfte und Plätze fehlen

Wartezeiten von bis zu zwei Jahren, verzweifelte Eltern und ein Reparaturbetrieb, der kaum hinterherkommt: Warum die Kinderpsychiatrie in Sachsen am Limit ist.

Von dpa 07.09.2025, 04:00
In Sachsen fehlen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Fachkräfte und Plätze. (Archivfoto)
In Sachsen fehlen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Fachkräfte und Plätze. (Archivfoto) Robert Michael/dpa

Dresden - Die Situation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Sachsen ist nach Einschätzung eines Experten besorgniserregend. „Trotz zahlreicher Aktivitäten gibt es eine massive Unterversorgung, und die Lage ist seit der Corona-Pandemie noch schlimmer geworden“, sagte der Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Universitätsklinikum Dresden, Veit Roessner, der Deutschen Presse-Agentur.

Plätze laut Plan gestiegen, in Wirklichkeit aber nicht vorhanden

Dabei sind laut dem aktuellen Krankenhausplan die Platzzahlen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie im Freistaat binnen sechs Jahren von 245 auf 303 Plätze gestiegen. Auf Anfrage teilte das Gesundheitsministerium mit, dass es während und nach der Corona-Pandemie erheblich schwieriger gewesen sei, einen Platz zu bekommen – ein Zustand, der bis heute anhält.

„Die offiziell ausgewiesenen Platzzahlen sind eine Zielvorgabe, denn ein nicht zu vernachlässigender Teil ist in den Kliniken gar nicht vorhanden“, betonte Roessner. So gebe es in den großen Städten wie Leipzig und Dresden zwar genügend Nachwuchs an Ärzten, aber zu wenige Räume, um mehr Behandlungskapazitäten zu schaffen. Dieser Mangel hänge vor allem damit zusammen, dass dem Fachgebiet von Entscheidungsträgern noch immer zu wenig Bedeutung beigemessen werde.

Wartezeiten von bis zu zwei Jahren

Daher gebe es je nach Diagnose auch erhebliche Wartezeiten. Im Bereich der Tic- und Zwangsstörungen sind es laut Roessner etwa 33 Wochen, in der Autismusambulanz sogar zwei Jahre. „Und je länger die Störungen nicht behandelt werden, desto schlimmer wird der Zustand der Patienten, und das Umfeld kommt immer schwieriger damit zurecht“. Es gebe auch immer wieder verzweifelte Eltern, die deshalb – aus nachvollziehbarer Not – Hilfe bei dubiosen Angeboten suchten.

Experte: Es ist wie in einem Reparaturbetrieb

„Wir werden von dringenden Fällen überrannt, für die wir eigentlich nicht zuständig sind, beziehungsweise die hätten vermieden werden können“, sagte der Mediziner. Er verglich die Arbeit seines Teams mit einem „Reparaturbetrieb, wenn schon vieles zu spät ist“. 

Umso wichtiger sei es deshalb, dass die Kinder- und Jugendpsychiatrie als zentrale Leitinstanz für Probleme im Kindes- und Jugendalter etabliert werde. Sämtliche Maßnahmen müssten unter ihrer Koordination zusammenlaufen - egal ob in Schulen, Jugendamt, Gesundheitswesen oder anderen Hilfesystemen. Nur durch verzahnte Abläufe und abgestimmte Übergänge könne Hilfe früher einsetzen, wirksamer greifen und so bei gleichbleibend zu geringen Kapazitäten deutlich mehr jungen Menschen wirksam helfen, erläuterte Roessner.

Deutliche Zunahme bei Essstörungen und Magersucht

Vor allem im Bereich der Essstörungen inklusive der Magersucht gibt es laut dem Klinikdirektor seit einigen Jahren eine deutliche Zunahme der Fälle, und die Betroffen würden immer jünger. Gründe dafür seien ein ungünstiges Familienklima, aber auch die sozialen Medien. „Hier wird den zumeist jugendlichen Mädchen eine vermeintlich perfekte Welt mit Fotos ihrer Vorbilder vorgegaukelt, die mit Hilfe von Filtern, aufwendiger Bildbearbeitung oder sogar Schönheitsoperationen optimiert wurden.“ 

Aktuell habe gelebte Gemeinschaft einen geringeren Stellenwert, der Wert von Beziehungen nehme ab und die Beliebigkeit zu. So ist es nicht verwunderlich, dass Patienten in seiner Klinik bereits nach wenigen Tagen berichten, dass ihnen ein geregelter Tagesablauf, an dem man sich auch mal reiben kann, guttue, erläuterte der Mediziner.