Energie Letztes Atomkraftwerk Niedersachsens abgeschaltet
Mit dem Abschalten des letzten niedersächsischen Atomkraftwerks in Lingen ist die kommerzielle Nutzung der Kernkraft fast Geschichte. Atomkraftgegner sind aber noch nicht zufrieden. Sie weisen auch auf die noch produzierende Brennelementefabrik hin.
Lingen - Mit der Abschaltung des Atomkraftwerks Emsland ist am späten Samstagabend nach rund 55 Jahren die Erzeugung von Strom aus Kernkraft in Niedersachsen Geschichte. Mit der Trennung des Generators vom Stromnetz habe die diensthabende Schichtmannschaft am Samstagabend um 22.37 Uhr das Kernkraftwerk Emsland als eines der drei letzten Kernkraftwerke in Deutschland heruntergefahren, teilte der Kraftwerksbetreiber RWE mit. Damit ist in Niedersachsen nun keines der früheren fünf Atomkraftwerke mehr am Netz.
Auch für die weiteren zwei verbliebenen Kernkraftwerke in Deutschland kam am späten Samstagabend das Aus: Neben dem Kraftwerk Emsland waren das Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg. Damit ist der Atomausstieg in Deutschland vollzogen worden.
Vor dem Atomkraftwerk hatten am Samstagabend rund zwei Dutzend Atomkraftgegner bei nasskaltem Wetter auf die Abschaltung gewartet. Als bekannt wurde, dass das Atomkraftwerk abgeschaltet worden war, entzündeten einige Aktivisten Wunderkerzen. Vereinzelt wurde gejubelt.
Zuvor hatten am Samstag Hunderte Atomkraftgegner in Lingen friedlich für einen konsequenten Ausstieg aus der Atomindustrie in Deutschland protestiert. Die Demonstranten freuten sich einerseits über das Ende der Nutzung der Kernenergie - andererseits forderten sie aber auch ein Aus für die neben dem AKW gelegene Brennelementefabrik ANF, die zum französischen Framatome-Konzern gehört und die Brennstäbe für Atomkraftwerke im Ausland herstellt.
Landesumwelt- und Energieminister Christian Meyer sprach zuvor vor den Toren des AKWs von einem „historischen Tag“. Mit dem Ausstieg ende ein jahrzehntelanger gesellschaftlicher Konflikt, gleichzeitig gebe es einen „Neustart in der Energiepolitik“.
Ursprünglich sollte das Atomkraftwerk in der 50.000-Einwohnerstadt Lingen nahe der niederländischen Grenze bereits Ende 2022 endgültig vom Netz gehen, zusammen mit den Kraftwerken Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg und Isar 2 in Bayern. Aber wegen der Energiekrise aufgrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine war aufgrund ein Machtworts von Bundeskanzler Olaf Scholz im vergangenen Herbst noch der Weiterbetrieb bis Mitte April verlängert worden.
Das Kernkraftwerk in Lingen verfügte über einen 1400 Megawatt-Block. Die Anlage wurde 1988 in Betrieb genommen. Seitdem erzeugte das Kraftwerk pro Jahr nach Angaben des Betreibers RWE rund elf Milliarden Kilowattstunden Strom. Die Leistung reichte für die Versorgung von 3,5 Millionen Haushalten.
Der Betreiber RWE rechnet mit einer 14 Jahre dauernden ersten Rückbauphase. Es werde davon ausgegangen, dass die Anlage im Jahre 2037 nachweislich frei von jeder Radioaktivität sein werde, hatte das Unternehmen mitgeteilt. Im Anschluss daran erfolge der konventionelle Anlagenrückbau.
Das Atomkraftwerk Emsland war das zweite Kernkraftwerk in Lingen. Bereits 1968 ging ein deutlich kleinerer Atommeiler ans Netz. Dieser wurde nach einigen Pannen aber schon Ende der 1970er Jahre wieder abgeschaltet. Seit 2015 erfolgt der Rückbau dieses Kraftwerks, das zuvor über Jahrzehnte im sicheren Einschluss war.
Mit dem Ende der Stromproduktion ist die kommerzielle Nutzung der Atomkraft in Deutschland aber noch nicht beendet. Vom Atomausstieg nicht betroffen ist die Brennelementefabrik in Lingen. Kritiker fordern die Schließung auch dieses Unternehmens, was derzeit rechtlich allerdings nicht möglich ist.
Auf besondere Kritik der Anti-Atomkraftgruppen stößt ein Joint Venture zwischen Framatome und dem russischen Staatskonzern Rosatom. Um die Abhängigkeit der osteuropäischen Stromproduzenten von Russland zu verringern, sollen in Lingen auch Brennelemente für einen aus der Sowjetzeit stammenden russischen Reaktortyp hergestellt werden. Kritiker bemängeln aber, dass dafür sowohl Uran als auch Lizenzen aus Russland gekauft werden müssen, was wiederum von Russland zur Finanzierung des Krieges genutzt werde.