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Junge vor ICE gestoßen Prozess um tödliche Gleisattacke: Beschuldigter zeigt Reue

Ein Achtjähriger wird am Frankfurter Hauptbahnhof vor einen fahrenden ICE gestoßen und stirbt. Es bleibt die schmerzende Frage nach dem Warum. Im Prozess bittet der mutmaßliche Täter um Entschuldigung.

19.08.2020, 21:38
Arne Dedert
Arne Dedert dpa

Frankfurt/Main (dpa) - Im Prozess um die tödliche Gleisattacke am Frankfurter Hauptbahnhof hat sich der Beschuldigte zu der Tat geäußert.

"Es tut mir unendlich leid, ganz besonders für die Familie", hieß es in einer Erklärung, die der Anwalt des Mannes zum Prozessbeginn am Mittwoch abgab. Der 41-Jährige soll einen Jungen und seine Mutter Ende Juli vergangenen Jahres vor einen einfahrenden ICE gestoßen haben. Der Achtjährige kam ums Leben, die Mutter konnte sich in letzter Minute retten. Die Tat sorgte bundesweit für Entsetzen. (Az.: 3390 Js 234079/19)

Der Anwalt des Vaters des getöteten Jungen, der als Nebenkläger auftritt, lehnte die Entschuldigung im Namen seines Mandanten ab. "Mein Mandant wird diese Entschuldigung nicht annehmen, denn es gibt keine Entschuldigung für das, was getan wurde", sagte Anwalt Ulrich Warncke in einer Prozesspause vor Journalisten.

Ein psychiatrischer Sachverständiger las im Prozess aus Gesprächsprotokollen vor. Demnach sagte der aus Eritrea stammende Mann, er könne sich an die Tat nicht erinnern. Falls die Vorwürfe zuträfen, handele es sich um den größten Fehler seines Lebens. Frauen und Kinder müsse man beschützen.

Die Staatsanwaltschaft hat den Mann nicht angeklagt, sondern beantragt in einem sogenannten Sicherungsverfahren seine dauerhafte Unterbringung in der Psychiatrie, da eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass er weitere Taten begehe.

Eine heute 79-Jährige, die der Beschuldigte ebenfalls gestoßen haben soll und die schwer verletzt auf den Bahnsteig stürzte, sagte aus, sie habe den 41-Jährigen vor der Tat gesehen, wie er hinter einem Pfeiler stand und hervor schaute. Er habe dann plötzlich die Mutter und das Kind "mit großer Gewalt" auf das Gleis gestoßen, auf dem gerade der ICE einfuhr. Sie leide bis heute unter körperlichen Einschränkungen und sei psychisch belastet, berichtete die Frau.

Der Eritreer soll 2006 als Flüchtling in die Schweiz gekommen sein. Dort lebte er mit Ausnahme eines kleinen Verkehrsdelikts unauffällig, galt als zuverlässig und fleißig. Im Juli 2019 kam es dann zum Ausbruch häuslicher Gewalt. Er schloss seine Frau und seine drei Kinder in der Wohnung ein, bedrohte eine Nachbarin mit einem Messer - und machte sich davon. In der Schweiz wurde der Mann national zur Fahndung ausgeschrieben. Er selbst erklärte nach der Gleisattacke, dass er wenige Tage zuvor von Basel mit dem Zug nach Frankfurt gekommen sei.

Der Tat folgte in Deutschland eine Debatte über die Sicherheit an Bahnsteigen - auch, weil nur wenige Tage zuvor eine Frau in Nordrhein-Westfalen vor einen Zug gestoßen und tödlich verletzt worden war. Bundesregierung, Bahn und Bundespolizei richteten eine gemeinsame Arbeitsgruppe ein, um für mehr Sicherheit zu sorgen.

© dpa-infocom, dpa:200819-99-219941/6