Grenzkontrollen Skalpell statt Schwert: Schleuser-Fahndung im Grenzgebiet
Im deutsch-tschechischen Grenzgebiet spielen sich regelmäßig dramatische Szenen ab. Flüchtlinge werden in völlig überfüllten Autos geschleust. Das Dreiländereck bei Zittau gilt derzeit als Hotspot.
Hradek nad Nisou - Moral ist bei Schleusern ein unbekanntes Wort. Immer wieder bekommen Bundespolizisten hautnah mit, auf welch fahrlässige Weise Menschen illegal über die Grenze gebracht werden. „Wenn es hart auf hart kommt, wird auch nicht davor zurückgeschreckt, mit völlig überladenen Fahrzeugen die Flucht zu ergreifen und sich mit waghalsigen Manövern der Kontrolle zu entziehen“, sagt Christian Meinhold, Chef der Bundespolizeiinspektion Ebersbach. Mitunter greife man Pkws auf, in denen neun oder sogar elf Menschen auf einen Schlag nach Deutschland gebracht werden sollen. Neben anderen Nationalitäten seien auch Ukrainer in das Geschäft verwickelt.
Als deutsche und tschechische Bundespolizisten am Dienstag zum Termin nach Hradek nad Nisou im Dreiländereck von Deutschland, Polen und Tschechien laden, ist ein nächtlicher Einsatz gerade vorbei. Unweit von Löbau haben Beamte einen Schleuser aus der Ukraine aufgegriffen, der sechs Menschen aus Syrien illegal nach Deutschland brachte. Das deutsch-tschechische Grenzgebiet gilt derzeit als Hotspot illegaler Migration. Meinhold zufolge hat sich die Zahl der Betroffenen allein in Sachsen 2022 im Vergleich zum Vorjahr fast verdreifacht. Mehr als 18.000 Menschen wurden bei der unerlaubten Einreise registriert, rund 630 Schleuser konnten aus dem Verkehr gezogen werden.
Meinhold kennt die Methoden der Schleuserszene aus dem Effeff. Bei den „Absetzschleusungen“ würden Geflüchtete schon auf tschechischem Staatsgebiet aus den Fahrzeugen rausgelassen und müssten dann zu Fuß die Grenze passieren. Mitunter machten Schleuser auf deutschem Gebiet Fotos als Beleg, um dann von den Hintermännern ihr Geld zu bekommen. In anderen Fällen setze man die Asylsuchenden meist kurz hinter Grenze ab und lasse sie von anderen abholen. „Das sind oft Familienangehörige, die auf die Ankommenden warten.“ Wieder andere nutzten nur die Autobahn A4 von Görlitz gen Westen, um so schnell wie möglich viele Kilometer zwischen sich und die Grenze zu bringen.
Um der kriminellen Szene, die aus der Not und dem Leid von Menschen, finanziellen Gewinn erzielt, mehr als Nadelstiche zu versetzen, haben Bundespolizisten aus Deutschland und Tschechien jetzt im Dreiländereck eine ganz besondere Truppe auf die Beine gestellt - ein Schengen-Fahndungsteam, auf Tschechisch: schengenský pátraci tým. Man sehe diese Einheit mehr als „Skalpell“ und nicht so sehr als „Schwert“, sagt Meinhold. Das aus Beamten beider Länder bestehende Team agiere zielgerichtet auf Basis vorliegender Erkenntnisse. „Das ist der Vorteil, wenn man so eng zusammenarbeitet, da gibt es andere Informationsflüsse auf kurzem Wege.“
Deshalb könne das Schengen-Team in Abstimmung mit anderen Einheiten auch schnell reagieren, sagt Meinhold. Die Beamten seien aus dem täglichen Betrieb ihrer Dienststelle herausgelöst. „Ihre Koordinatoren planen selbst, sie sind also autark und planen nur anhand von Erkenntnissen.“
Polizeioberkommissar René Borostowski ist der Koordinator auf deutscher Seite. Für den Job hat er in den vergangenen Jahren Tschechisch gelernt. Alle 16 Beamten des Teams sind jetzt zweisprachig, zehn von ihnen stammen aus Tschechien. „Wir hoffen, dass sich im täglichen Dienstgeschäft die Sprachkompetenz noch enorm steigen wird“, sagt Borostowski.
Das Fahndungsteam wurde über das EU-Projekt Cross Border Security Cooperation gefördert und führte Beamte der Bezirkspolizeidirektion Liberec in Tschechien und der Bundespolizei in Ebersbach auch bei Trainings zusammen. Täglich sind sie nun beiderseits der Grenze im Großraum Zittau unterwegs. Im Dienstgebäude der tschechischen Polizei in Hradek nad Nisou haben die deutschen Kollegen Diensträume. Auf Streife geht es mit Einsatzfahrzeugen beider Polizeibehörden.
„Eigentlich sollte das Projekt schon früher beginnen. Die Pandemie hat das etwas ausgebremst“, sagt Alfred Klaner, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Ebersbach. Doch jetzt scheinen die Beamten hier Feuer und Flamme. Ein solches Vorhaben lebe von Herzblut und Enthusiasmus, sagt Meinhold. Den habe er von Anfang an gespürt. In dieser Form sei die Zusammenarbeit bisher einmalig, es gebe operative Arbeit in einem freundschaftlichen Verhältnis: „Ich sehe das als Vision, als Keimzelle, dass etwas Großes entsteht.“
Am Dienstagnachmittag vermeldete die Bundespolizei zwei weitere Aufgriffe bei der offiziellen Premiere des Schengen-Fahndungsteams. Einer davon betraf die unerlaubte Einreise von neun Asylsuchenden in Ostritz - fünf von ihnen stammten aus dem Jemen, vier aus Syrien.