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Stadtplanung Unbequeme Bänke: Wie Städte öffentlichen Raum verändern

Obdachlose, die auf Bänken in Parks oder Fußgängerzonen schlafen, oder Skater, die Bänke für ihre Tricks nutzen: Um dies zu verhindern, greifen Kommunen auch auf stadtgestalterische Mittel zurück.

Von Andreas Göbel 11.10.2025, 05:00
Bewusst unbequem oder abweisend gestaltetes Stadtmobiliar, sogenannte defensive Architektur, hat sich in mehreren Thüringer Städten etabliert.
Bewusst unbequem oder abweisend gestaltetes Stadtmobiliar, sogenannte defensive Architektur, hat sich in mehreren Thüringer Städten etabliert. Martin Schutt/dpa

Erfurt/Jena/Weimar/Suhl/Gera/Eisenach - Parkbänke mit Metallspikes, Einzelplätze oder Sitzgelegenheiten ohne Lehnen: Bewusst unbequem gestaltetes Stadtmobiliar findet sich zunehmend auch in Thüringen. „Das ist ein Prozess, der sich seit den frühen 2000er Jahren in Thüringer Städten beobachten lässt und der bis heute ungebrochen ist“, sagte Frank Eckardt, Professor für sozialwissenschaftliche Stadtplanung an der Bauhaus-Universität Weimar, auf Anfrage. Die sogenannte defensive Architektur kommt in Thüringen unter anderem in Erfurt, Jena, Weimar, Suhl und Gera zum Einsatz. Sie sei normal bei der Gestaltung von Innenstädten geworden, so Eckardt.

Der Begriff umschreibt strategische Baumaßnahmen, die mit unpraktischem oder unbequemem Design bestimmte Personengruppen den Aufenthalt an bestimmten Orten erschweren sollen. Einen Schritt weiter geht Eckardt zufolge die „feindliche Architektur“, bei der mit scharfen Kanten oder Metallspitzen an Objekten sogar körperliche Schäden bei der Nutzung in Kauf genommen werde. 

„Sauber- und-Sicher-Denken“ in den Kommunen

Eigentlich sollten öffentliche Räume allen Bürgern offen stehen und möglichst vielen unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden, so der Stadtforscher. Das werde aber durch die defensive Architektur oftmals verhindert. Dahinter müsse nicht zwingend ein klares Kalkül stecken: „Meistens werden hier relativ unreflektiert Vorschläge aus der Architektur und der Stadtplanung übernommen.“ 

Hinzu komme ein zunehmendes „Sauber-und-Sicher-Denken“ in den Kommunen. Eine dpa-Anfrage an die Stadtverwaltungen in Erfurt, Jena, Weimar, Suhl und Gera bestätigt diese These weitgehend: Die meisten Kommunen geben zwar an, dass defensive Architektur nicht als eigenständiger Aspekt in Planung und Ausschreibung einfließe, sondern Design, Langlebigkeit oder ein einheitliches Erscheinungsbild im Vordergrund stünden. 

Die Stadt Erfurt hat dieses Mittel einer Sprecherin zufolge ausschließlich zum Schutz gegen Vandalismus eingesetzt: An einigen Bänken angebrachte Noppen sollten vorrangig Beschädigungen durch Skateboards zu verhindern. In Eisenach sind einer Sprecherin zufolge Bänke am Johannisplatz gezielt mit mittig angebrachten Armlehnen ausgestattet worden, damit diese nicht als Liege- oder Schlafplätze genutzt werden.

Die Stadt Jena setzt einer Sprecherin zufolge auf Prävention - indem etwa durch einen Skate- und BMX-Park Flächen für alle Bedarfe zur Verfügung gestellt würden. 

Zum Nachteil vor allem von Obdachlosen

Gerade Wohnungslose sind von der defensiven Architektur besonders betroffen. Julia Neumeyer, Streetworkerin bei der Suchtberatungsstelle der evangelischen Stadtmission Erfurt, kennt deren Probleme aus täglicher Erfahrung. Obdachlose seien gezwungen, den Großteil der Zeit im öffentlichen Raum zu verbringen. Aufgrund der höheren Sicherheit und kleinen Einkunftsmöglichkeiten - etwa durch das Sammeln von Pfandflaschen - spielten belebte Bereiche eine wichtige Rolle im Tagesablauf. Orte wie der Tunnel am Hauptbahnhof oder der Anger böten bei schlechtem Wetter Schutz.

Anstatt durchgehender Sitzflächen gebe es dort aber nur Einzelsitze oder Bänke mit Abtrennungen, die es unmöglich machten, sich auch nur kurz hinzulegen oder auszuruhen. Selbst das Design von Mülltonnen spiele eine Rolle, deren Bauart erschwere oft das Herausfischen von Pfandflaschen. Letztlich seien auch Obdachlose ein Teil der Gesellschaft und gehörten zu einer Großstadt wie Erfurt dazu, so Neumeyer. „Ich würde mir wünschen, dass auch diese Menschen und ihre Bedürfnisse stärker wahrgenommen würden.“ 

Aus Sicht von Stadtforscher Eckardt müsste öffentliche Architektur eigentlich allen Bürgern offen stehen und für deren Bedürfnisse errichtet werden. Benötigt würden Räume, in denen Menschen sich gerne und länger aufhalten möchten. Das umfasse Menschen mit wenig Geld ebenso wie Kinder und Jugendliche, Sportvereine, Freizeitprojekte und viele andere Gruppen. 

Der Staat und die Stadtplanung könnten dafür nur den Rahmen setzen. „Die unterschiedlichen Ansprüche können Menschen nur untereinander abstimmen“, sagte der Wissenschaftler. Hier seien Stadtplanung oder Citymanagement gefragt, um möglichst viele der Ansprüche zu berücksichtigen.