1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Palästinensischer Ex-Chefunterhändler an Corona gestorben

Saeb Erekat Palästinensischer Ex-Chefunterhändler an Corona gestorben

Saeb Erekat hat sich seit mehr als einem Vierteljahrhundert für die Gründung eines Palästinenserstaates eingesetzt. Er galt als scharfer Kritiker von Israels Siedlungspolitik. Nun ist er gestorben - nachdem israelische Ärzte wochenlang um sein Leben gekämpft hatten.

Von Sara Lemel, dpa 10.11.2020, 12:46
Jacquelyn Martin
Jacquelyn Martin AP

Tel Aviv (dpa) - Der Generalsekretär der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Saeb Erekat, ist tot. Er starb nach einer Corona-Erkrankung im Alter von 65 Jahren, wie die Fatah-Partei am Dienstag mitteilte.

Erekat war einer der bekanntesten palästinensischen Politiker und galt als enger Vertrauter von Präsident Mahmud Abbas. Erekat war Mitte Oktober wegen schwerer Atemprobleme nach Jerusalem ins Hadassah-Krankenhaus gebracht worden. Seither hatten Ärzte um das Leben des ehemaligen Unterhändlers bei Friedensgesprächen gekämpft.

Nach einer Verschlechterung seines Zustands war er in Vollnarkose versetzt und künstlich beatmet worden. Erekats Behandlung war Ärzten zufolge besonders schwierig, weil sein Immunsystem seit einer Lungentransplantation vor drei Jahren unterdrückt war. Dazu seien die Corona-Erkrankung sowie eine bakterielle Infektion gekommen.

Abbas sprach von einem herben Verlust. Er nannte Erekat "einen großen Kämpfer", der eine bedeutende Rolle bei der Verteidigung der Rechte der Palästinenser spielte. Er ordnete eine dreitägige Trauer an. Aus der israelischen Regierung drückte bis Dienstagmittag öffentlich allein der Minister für Siedlungsangelegenheiten, Zachi Hanegbi, in einem Radio-Interview Bedauern über den Tod Erekats aus.

Der Sonderkoordinator der Vereinten Nationen für den Nahost-Friedensprozess, Nikolay Mladenov, schrieb bei Twitter, Erekat sei überzeugt davon geblieben, dass Israelis und Palästinenser in Frieden miteinander leben könnten. Außenminister Heiko Maas würdigte Erekats Verdienste um den Nahost-Friedensprozess.

Dass Diplomatie aber auch an Grenzen stoßen könne, "musste Saeb Erekat immer wieder in seiner durch Krisen erschütterten Heimat erleben. Mut und Hoffnung hat er dabei nie aufgegeben, auch nicht angesichts gesundheitlicher Herausforderungen in den letzten Jahren", erklärte Maas. "Wir appellieren an alle politischen Verantwortungsträger, Erekats Vermächtnis fortzusetzen und weiter aktiv auf eine friedliche Zweistaaten-Lösung hin zu arbeiten." Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach von einem Verlust für den Nahost-Friedensprozess.

Der promovierte Politikwissenschaftler Erekat war seit Mitte der 1990er Jahre Chefunterhändler bei den Verhandlungen mit Israel. Seit 2014 liegen die Gespräche jedoch brach.

Erekat wurde 1955 in einem Vorort von Jerusalem geboren. Er entstammt einer großen und weit verzweigten Familie, die wegen ihres Wohlstands zur palästinensischen Oberschicht gerechnet wird. Anfangs war er ein enger Gefolgsmann des 2004 gestorbenen PLO-Vorsitzenden Jassir Arafat. Nachdem ihn Abbas 2015 zum PLO-Generalsekretär beförderte, sahen ihn manche schon als künftigen Vorsitzenden.

Erekat sprach zwar kein Hebräisch, aber fließend Englisch. In Gesprächen mit westlichen Fernsehstationen erklärte er pointiert die Sichtweise der Palästinenser. Er studierte unter anderem in San Francisco und im britischen Bradford. Dort erlangte er einen Doktortitel in Friedens- und Konfliktstudien.

In Großbritannien sei ihm auch erstmals klar geworden, dass der Nahost-Konflikt nicht mit Gewalt, sondern nur durch Verhandlungen gelöst werden könne, sagte er später. Nach seiner Rückkehr in die Palästinensergebiete wurde Erekat Professor für Politikwissenschaft an der Universität in Nablus. Nebenbei arbeitete er als Journalist.

Als Konsequenz aus Annexionsplänen Israels im Westjordanland hatte Abbas Mitte Mai die Aufhebung aller Vereinbarungen mit Israel und den USA erklärt. Israel hat die Pläne im Gegenzug für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten zwar auf Eis gelegt, baut seine Siedlungen im Westjordanland aber weiter aus.

Erekat hatte sich für eine Zwei-Staaten-Lösung eingesetzt und den israelischen Siedlungsausbau stets scharf als Friedenshindernis kritisiert. Er galt als harter Verhandlungspartner, der loyal die Vorgaben seiner politischen Führung umsetzte. Den im Januar veröffentlichten Nahost-Plan von US-Präsident Donald Trump wies er als "Betrug des Jahrhunderts" und einseitig pro-israelische Initiative zurück.

Er kritisierte auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und zwei Golfstaaten, weil die Vereinbarungen ohne Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts getroffen worden waren. Dass zuletzt israelische Ärzte um sein Leben kämpften, löste in sozialen Medien viele hämische Kommentare aus. Erekat hinterlässt eine Frau und vier Kinder.

© dpa-infocom, dpa:201110-99-280510/3