Tumorbedingte Fatigue Konsequentes Training hilft Krebspatienten bei Erschöpfung
München / Köln - Klingelt morgens der Wecker, steht für Irene K. der erste Kraftakt bevor. Waschen und Zähne putzen, für mehr reicht ihre Energie nicht. Vor dem Frühstück ist eine ausgedehnte Pause nötig. Die 47-J ährige hat Chemotherapie und Bestrahlung hinter sich gebracht und den Krebs besiegt. Geblieben ist eine extreme Erschöpfung. Ärzte sprechen vom Fatigue-Syndrom – bis zu 80 Prozent der Tumorpatienten trifft diese Begleiterkrankung in unterschiedlicher Ausprägung.
" Kennzeichnend für die tumorbedingte Fatigue ist eine ausgeprägte Müdigkeit, die auch durch Erholung nicht verschwindet ", erläutert Pia Heußner, Leiterin der Arbeitsgruppe Psycho-Onkologie am Klinikum Großhadern der Universität München. " Oft sind die Patienten nach acht Stunden Schlaf noch müder als zuvor ", ergänzt die Oberärztin.
Der Verlauf des Fatigue-Syndroms lässt sich nicht allgemein fassen, die Krankheit hat viele Formen und kann bei allen Arten von Krebs beobachtet werden. " Bei einigen Patienten ist die extreme Müdigkeit das erste Anzeichen für einen Tumor ", sagt Jens Ulrich Rüffer, Vorsitzender der Deutschen Fatigue Gesellschaft. " Manchmal verstärkt die Therapie erst die Erschöpfungssymptome. Bei anderen entwickelt sich Fatigue wiederum erst Monate nach Abschluss der Behandlung ", erklärt der Onkologe. Die Zeit der Energielosigkeit dauert im Durchschnitt ein halbes Jahr. Allerdings seien auch Krankheitsverläufe von vier Wochen bis hin zu sechs Jahren möglich, berichtet Heußner.
Besonders wenn sich die Müdigkeit nach erfolgreicher Krebsbehandlung bemerkbar macht, sind die emotionalen Folgen massiv. " Die Motivation ist groß, endlich wieder in den Beruf zurückzukehren. Doch dann kommt die Erschöpfung dazwischen ", sagt Rüffer. Die Folge : Viele Menschen, die unter dem Fatigue-Syndrom leiden, werden arbeitslos oder gehen in Frührente.
Der stark variierende Verlauf erschwert die Erforschung. " Über die Ursachen von Fatigue ist nicht viel bekannt ", sagt Rüffer. Sicher ist, dass Krebsmedikamente den Verlauf verstärken können. Zum anderen werden krankheitsbedingt veränderte Hirnströme und Schlafrhythmen als mögliche Auslöser vermutet. " Auch emotionale Faktoren beeinfl ussen die Krankheit. Viele Krebspatienten leiden unter so ausgeprägter Angst, dass diese zur Erschöpfung führt. Und daraus entsteht oft eine neue Angst, dass diese Müdigkeit nicht wieder vorbeigeht ", berichtet Heußner.
Weil auch viele andere Faktoren bei einer Krebserkrankung zu länger andauernder Erschöpfung führen können, muss sich eine Fatigue-Diagnose immer auf umfangreiche Untersuchungen stützen. " Eine Depression oder organische Ursachen müssen vorher ausgeschlossen werden ", betont Heußner. Dazu könnten Blutarmut, Probleme mit der Schilddrüse oder Stoffwechselerkrankungen gehören.
Wichtigste Säule in der Fatigue-Therapie ist Bewegung. " Körpertraining kann den Krankheitsverlauf verkürzen ", sagt die Medizinerin. Voraussetzung ist, dass die Übungen konsequent in den Alltag integriert werden. " Das ist nicht immer einfach, weil einigen Patienten durch die Müdigkeit selbst eine Viertelstunde Walking täglich schwer fällt ", betont Psychoonkologin Heußner. Zusätzlich gibt es Gruppentherapien, in denen der Umgang mit Fatigue vermittelt wird. Häufig kann dabei auch die Familie einbezogen werden. Auch sie muss lernen, den Erschöpften nicht zu überfordern.
Medikamente gegen die Erkrankung sind derzeit nicht erhältlich. " Nur bei einigen Patienten helfen Antidepressiva ", sagt Rüffer. Allerdings könnte eine zufällige Entdeckung künftig neue Therapien ermöglich : " Ärzte haben herausgefunden, dass der Wirkstoff Methylphenidat einigen Patienten hilft, die erst spät Fatigue entwickelten. " Die Arznei – die den Botenstoff Dopamin im Gehirn reguliert – wird derzeit hauptsächlich bei Kindern zur Behandlung des so genannten Zappelphilipp-Syndroms
ADHS eingesetzt. " Vor diesem Hintergrund startet die Deutsche Fatigue-Gesellschaft jetzt Studien mit bis zu 300 Patienten, in denen eine Wirksamkeit untersucht werden soll. Wir erhoffen uns sehr viel davon ", erläutert Rüffer.