Walter Ermler 102 dank einer besonderen Frau
Stendal l Zweimal am Tag hat Walter Ermler das, was man auf Neudeutsch ein Telefon-Date nennt. Dann plaudert er eine Runde mit seiner Elfriede aus Hamburg. Hören kann der 102-Jährige zwar nicht mehr so gut, verstehen klappt aber immer noch bestens. "Ich bin dankbar, dass hier oben alles in Ordnung ist", sagt er und klopft mit der flachen Hand auf seinen Kopf.
Kennengelernt hat der Stendaler seine Freundin auf Umwegen: Sie war die Frau seines Jugendfreundes. Die zwei hatten ein paarmal zu dritt telefoniert. Walter Ermler war damals schon Witwer. "Nachdem mein Freund gestorben war, stand sie eines Tages vor meiner Tür", erinnert er sich. "Sie wollte wissen, wie ich aussehe." Eine hervorragende Idee, wie sich herausstellte. "Heute haben wir uns lieb", sagt er. Dabei lacht der alte Mann wie ein kleiner Schuljunge. Als er einmal sehr krank war, schlief sie mit ihm im Krankenhaus und pflegte ihn. Ohne sie hätte er diese Zeit nicht überlebt, sagt er.
Einst war er ein richtig guter Schwimmer - und ein glücklicher Ehemann
Fragt man Walter Ermler, was ihm denn noch geholfen hat, ein dreistelliges Alter zu erreichen, fällt ihm der Sport ein. Ein Angeber ist er nicht. Deshalb muss man ihn erst ein bisschen anpiksen, bevor er mit Details herausrückt: "Ich war ein sehr guter Schwimmer. Und Leichtathletik habe ich auch gemacht. Da drüben im Schrank liegt ein ganzer Ordner voll Urkunden." Mit Ende 50 hat der gebürtige Altmärker sogar noch sein Goldenes Sportabzeichen gemacht.
Heute ist an Sport nicht mehr zu denken. Seit 14 Jahren lebt er in einem Stendaler Seniorenheim, mittlerweile streiken auch seine Beine. Doch das hält ihn nicht vom Hochgehen ab. Erst vor einem Jahr ist er mit einem Flugzeug über die Altmark geflogen.
Vielleicht ist es auch ein bisschen die Erinnerung an die schönste Zeit in seinem Leben, die ihm Kraft für solche Ausflüge gibt: seine Ehe. So wirkt es zumindest, wenn man ihn auf seine verstorbene Frau anspricht. Dann zieht er nämlich aus einer Holzschublade ein Foto, schaut es lächelnd an und richtet sich dabei in seinem Rollstuhl - bestimmt unbewusst - ganz gerade auf.
Die brünette Schönheit lernte Walter Ermler durch eine Zeitungsannonce kennen. "Die hatte ihr Bruder heimlich für sie geschaltet", erzählt er grinsend. Ihr erstes Treffen hatten die beiden auf dem Stendaler Bahnhof. Er war dort Fahrdienstleiter und schlich sich für sie kurz davon. Seine Bahnmütze setzt er zum Spaß manchmal immer noch auf. "Jetzt bin ich das Rotkäppchen", witzelt Ermler dann.
Von seiner Elfriede aus Hamburg hat er übrigens auch ein Foto. Das liegt in keiner Schublade, sondern steht auf einer Kommode. Denn sie bringt ihn heute zum Lächeln.