Biologie/DNA-Dezernat des Landeskriminalamts bearbeit im vergangenen Jahr knapp 25000 Spuren (Teil 16) 18 billionstel Gramm als Fallstrick für Mörder, Vergewaltiger & Co
Magdeburg l Am 6. November 2004 verschwindet die 21 Jahre alte Alexandra Ryll aus Neujanisroda bei Naumburg im Burgenlandkreis spurlos. Da die ermittelnde Polizeibehörde nach einigen Tagen davon ausgeht, dass es sich um eine Straftat handeln könnte, wird das "Biologie-Dezernat" des Landeskriminalamts ins Boot geholt.
Dezernatsleiterin Uta Pich: "Wie in solchen Fällen üblich, wurden erst einmal Dinge sichergestellt, die gute DNA-Träger sind. In diesem Fall waren es Toilettenartikel der jungen Frau wie eine Zahnbürste."
Die DNA-Experten gewinnen daraus den "genetischen Fingerabdruck" der Vermissten, um einen Abgleich mit DNA-Spuren vornehmen zu können, so lange die Person noch vermisst wird. Schon drei Zellkerne gelten als "Supergrundlage" für ein DNA-Profil. "Um einmal die Größenordnungen des Untersuchungsmaterials, das für das bloße Auge nicht sichtbar ist, deutlich zu machen: Es handelt sich um rund 18 Pikogramm - oder anders gesagt, ein 18 billionstel Gramm - aus denen die DNA gewonnen wird."
Im ersten Halbjahr 2005 gibt es immer noch keinen Hinweis auf den Verbleib der 21-Jährigen. Aber es gibt Menschen, von denen die Polizei glaubt, dass sie etwas mit dem Verschwinden Alexandras zu tun haben könnten. Deren DNA-Profil kann ebenfalls durch das Standardverfahren der Kriminalbiologen sichtbar gemacht werden.
"Im LKA werden für DNA-Gutachten im Normalfall 16 DNA-Merkmale bestimmt", sagt Molekularbiologin Pich, die seit 1998 im LKA arbeitet. Dabei handelt es sich - vereinfacht ausgedrückt - um 16 Abschnitte der Gesamt-DNA. Damit liegt das LKA sogar über den europäischen Richtlinien, die nur zwölf Abschnitte vorgeben. Wichtig: Darunter sind keine Bereiche, die zu Rückschlüssen auf Persönlichkeitsmerkmale, wie Augen-, Haarfarbe oder Erbkrankheiten führen könnten.
Wird eine Tatort-DNA mit der DNA eines Verdächtigen verglichen und nur ein System stimmt nicht überein, heißt das "Ausschluss". Der Verdächtige fällt durchs Raster.
In Janisroda wird im Sommer 2005 das Haus eines Nachbarn von Familie Ryll durchsucht. Jens Sch. wird vorgeworfen, seine ehemalige Lebensgefährtin vergewaltigt zu haben. Dabei findet die Kripo ein Handy. Die ausgelesenen Handydaten bringen den Ermittlern die Sicherheit, dass es sich um das Mobiltelefon der Vermissten handelt.
Das verwahrloste Grundstück von Jens Sch. wird auf den Kopf gestellt. Pich: "Die Tatortspezialisten haben rund 400 Spuren gesichert. Darunter ein kleines Kettchen im Schmutz unter der Türzarge eines ehemaligen Badezimmers." Die DNA-Experten finden in dem daran haftenden Zellmaterial den genetischen Fingerabdruck Alexandras. Diese Spur "1.4.5." ist ein wahrer Treffer. "Hatte Sch. bezüglich des Handys noch eine Chance, sich herauszureden (,Ich habe das Handy gefunden\'), war das Schmuckstück ein starkes Indiz dafür, dass Alexandra im Haus des Nachbarn gewesen ist."
Die 400 Spuren werden in "Blöcken" nach ihrer Wichtigkeit vom Dezernat 21 analysiert.
Doch das wichtigste Indiz dafür, dass eine Straftat vorliegt und Sch. seine Hände im Spiel hat, ist ein abgesägter Holzstiel. "Daran wurde ein Sperma/Zellgemisch festgestellt. Verursacher waren sowohl der Hausbesitzer als auch Alexandra", berichtet Pich.
Die Leiche der Frau wurde allerdings vorerst nicht entdeckt. Erst als das Haus noch einmal durchsucht wird, finden die Polizisten unter festgestampfteM Lehmboden im Keller den Körper der 21-Jährigen.
Am 26. Juni 2006 wird ein Schal aus dem Nachbarkeller untersucht. Er war bereits im Sommer 2005 gesichert, aber bis dato nicht überprüft worden. Die Dezernats-Chefin erinnert sich: "Wir fanden massenhaft Haare daran, die exemplarisch Alexandra zugeordnet werden konnten, ebenso Hautschuppen." Am 12. April 2007 wird Jens Sch. wegen Mordes zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt.
Zehn Prozent der Untersuchungen durch das Dezernat 21 des LKA betreffen Kapitalverbrechen. "Das hört sich wenig an", so Pich, "aber mit bis zu 400 Spuren pro Fall bereiten sie die meiste Arbeit." 60 Prozent der DNA-Analysen werden im Zusammenhang mit Diebstählen angefordert.
Ein weiterer Fall mit vielen Spuren war die Cannabis-Indooranlage in Atzendorf (Salzlandkreis). "Dort mussten rund 700 Spuren abgearbeitet werden."
2011 wurden insgesamt fast 25000 Spuren bearbeitet. Das waren rund 2500 mehr als im Vorjahr.
Viele Spuren bekommen die 20 Mitarbeiter des Dezernats mit den zwei Bereichen (Biologie/DNA-Analytik und Forensische Textilkunde) bereits vorbereitet in ihre Labore. Doch viele Asservate sind noch im Originalzustand. "Das größte war im Falle einer Vergewaltigung eine komplette Couch", so Pich.
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