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Eckhardt Schulz, damals Wehrleiter und Hochwassereinsatzleiter, erinnert sich an die dramatischen Tage der Flut 19. August 2002: Die Elbe fließt nach Demker hinein

Von Egmar Gebert 15.08.2012, 05:17

Am 19. August 2002 überflutete das Elbehochwasser die Tangernieredung. Die Einwohner von Demker glaubten, gut darauf vorbereitet zu sein. Ein Trugschluss. Sie kämpften vergebens gegen die Flut. Eckhardt Schulz, damals Wehrleiter und Hochwassereinsatzleiter in Demker, erinnert sich.

Demker l Die Tage im August 2002 haben sich in das Gedächtnis von Eckhardt Schulz eingebrannt wie kaum eine andere Zeit in seinem Leben. Niemand im Dorf hatte bis dahin ernsthaft daran geglaubt, dass Demker einmal zur Hochwasserregion werden könnte. Und dann kam die Jahrhundertflut. Die Hochwasserprognosen gingen davon aus, dass der Elbepegel in Tangermünde über die Sieben-Meter-Marke steigen könnte, rund dreieinhalb Meter höher, als der Mittelwert.

Lieber nass vom Schweiß als vom Hochwasser

Als am 14. August in der Verwaltungsgemeinschaft Tangerhütte-Land der Hochwasserkrisenstab gebildet wird, gehört Eckhardt Schulz dazu, bedingt durch seine Tätigkeit im dortigen Ordnungsamt. Inzwischen stand fest: Der 6,50 Meter hohe Onkel-Toms-Hütte-Deich bei Tangermünde wird überflutet werden. Das Wasser wird sich in die Tangerniederung ergießen, in der Elversdorf und Demker liegen. Am Wochenende darauf, 17. und 18. August, ist ganz Demker auf den Beinen. Am Sportplatz werden Sandsäcke gefüllt. Es ist heiß. Schweiß rinnt über die Körper. Lieber vom Schweiß nass als vom Hochwassser, sind sich die Demkeraner einig und schippen für einen Sandsackdeich, der östlich vom Dorf aufgeschichtet wird. Ein provisorischer Erdwall schließt sich bis zum Demkeraner Ortsausgang Richtung Weißewarte an. Am Sonntagabend steht der Schutzdeich. Die ihn gebaut haben sind sicher, ihr Dorf damit vor dem Hochwasser schützen zu können. Mit einem kleinen "Deichfest" feiern sie es am Sonntagabend.

Am nächsten Morgen, es ist Montag, der 19. August, ist Eckardt Schulz früh auf den Beinen. Gegen 5.30 Uhr blickt der Wehrleiter von Demker vom Sandsackwall aus in die Richtung, aus der das Wasser kommen wird. Alles ist ruhig. Schulz erinnert sich: "Eine Stunde später mischte sich ein merkwürdiges Geräusch in die morgendliche Stille. Die Vögel verließen die umliegenden Wiesen. Jetzt war klar: Das Wasser kommt. Und es kam mit so einer Geschwindigkeit, dass ich den Beobachtungs- standort hinter der Stallanlage Horstmann fluchtartig verlassen musste. Am Sandsackwall stieg das Wasser innerhalb von Minuten so schnell, dass in kürzester Zeit die Überflutung drohte." Was Schulz, was die Menschen in Demker zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Die Elbe bei Tangermünde hat die 6,50 Meter, bei denen sie über den Onkel-Toms-Hütte-Deich zu strömen beginnt, überschritten. Bis zum nächsten Tag wird diese Deichkrone mehr als einen Meter unter Wasser liegen. Die Flut wird am 20. August mit 7,67 Meter am Pegel Tangermünde ihren höchsten Stand erreichen. Die Tangerniederung beginnt damit am 19. August von Nordosten her vollzulaufen. An diesem 19. August kurz vor 7 Uhr sind acht Feuerwehren aus der Umgebung alarmiert und auf dem Weg nach Demker. Etwa eineinhalb Stunden lang vesuchen Feuerwehrmänner und -frauen den Wall gemeinsam mit vielen Helfern aus Demker und anderen Dörfern zu verstärken. Vergeblich. Falsch berechnete Geländehöhen hatten, wie sich später herausstellen sollte, Demker 60 bis 80 Zentimeter höher liegend kartiert. Ein fataler Fehler. Jetzt beginnen die Helfer, Sandsäcke vor tiefer gelegene Grundstücke zu schichten. Mehrere Sandsacklagerplätze werden im Dorf eingerichtet.

Derweil steigt das Wasser weiter. Auf einer Weide unterhalb des Dorfes werden etwa 100 Kühe vom Hochwasser eingeschlossen. Bis zum Bauch im Wasser stehend, gelingt es den Helfern, die Herde in Richtung der höher gelegenen Straße zu treiben und sie zu retten. Fast ohne Pause geht es weiter. Sandsackwälle werden verstärkt, wo sich Schwachstellen zeigen, bis in den späten Abend hinein. Die Helfer aus den Dörfern und die Einsatzkräfte der Feuerwehren werden nach Hause geschickt. Sie brauchen eine Pause. Doch das Wasser steigt weiter. Eckhardt Schulz: "Es wurde eine verdammt unruhige Nacht. Gegen 22 Uhr war das Wasser so hoch, dass die Stromversorgung abgeschaltet werden musste. Gegen 1.30 Uhr wurde die Sache noch komplizierter. An der Dorfgrabenbrücke, der einzigen noch offenen Zufahrt zum Dorf, trat ein großer Strudel zu Tage. Wir mussten die Anwohner wecken und sie bitten, ihre Autos aus dem Dorf zu fahren. Wir konnten nicht garantieren, dass das am nächsten Morgen noch möglich sein würde." Die nächsten Tage sollten die schlimmsten für Demker werden. "Ich will nicht hochstapeln, aber etwa 50 Prozent der Grundstücke und Häuser waren vom Hochwasser betroffen und geschädigt", schätzt der damalige Wehr- und Hochwassereinsatzleiter Eckhardt Schulz rückblickend ein. "Es war ja nicht nur das Wasser, das in den Straßen, auf Grundstücken und in Häusern stand. Dort, wo die Straßen trocken blieben, zum Beispiel in großen Teilen des Damaschkeweges, waren viele Keller zu Wohnzwecken ausgebaut worden. Und dort drückte das Grundwasser hinein, ließ sie volllaufen."

Noch fehlen östlich des Dorfes zwei Kilometer Deich

Ab dem 23. August, so Eckhardt Schulz, begann sich die Situation zu entspannen. Noch einmal erleben möchte Schulz sie nicht. Zwar hat er heute aktuellen Geländekarten, kennt die Höhen zentimetergenau und weiß, wo und wie man sich in Demker einem Hochwasser erfolgversprechend entgegenstemmen kann, auch aus den Erfahrungen von 2006 und 2011, in denen die Elbe die Tangerniederung erneut mit Hochwasser flutete. Auch wurden inzwischen Deiche gebaut, zum Beispiel um das im August 2002 noch wesentlich stärker betroffene Elversdorf herum und im vergangenen Jahr von dort aus 800 Meter weit in Richtung Demker. Doch um das Dorf effektiv gegen eine neuerliche Flut mit den Ausmaßen von 2002 zu schützen, fehlen östlich von Demker noch immer zwei Kilometer Deich, der an der tiefsten Stelle etwa 2,90 Meter hoch sein muss.