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Gläserne Blume Künstler träumen von zweitem Frühling

Die in Magdeburg gestaltete Skulptur war ein Aushängeschild der DDR. Kehrt sie ins Zentrum von Berlin zurück?

Von Hagen Eichler 10.12.2015, 00:01

Magdeburg/Berlin l Ein zylinderförmiger Sockel aus glänzendem Edelstahl steht auf der Arbeitsplatte, etwa handgroß. Vorsichtig setzt Reginald Richter eine gläserne Kugel darauf. Ein Ring aus Stahl krönt das Ganze, dann schiebt Richter seitlich eine halbmondförmige Glasscheibe in die Befestigungen. Passt! Was hier in einer Magdeburger Glasereiwerkstatt wächst, ist das Replikat eines vormals berühmten Kunstwerks. Richter werkelt an der Gläsernen Blume, nachgebaut im Maßstab 1:10.

Das fünf Meter hohe Original schmückte einst den Palast der Republik in Berlin. Von 1976 bis 1990 war es dort im Foyer zu sehen. Dann wurde das asbestverseuchte Gebäude gesperrt, später demontiert. Die Gläserne Blume liegt seither in einem Depot des Deutschen Historischen Museums.

Dass Richter 40 Jahre nach Erschaffung der Skulptur an einer Miniatur-Nachbildung arbeitet, hat einen Grund: Der Künstler hofft, dass die Blume einen zweiten Frühling erlebt. In der kommenden Woche reist er mit dem Modell nach Berlin. Dort ist die Schloss-Stiftung sehr interessiert. Sie plant derzeit das sogenannte Humboldtforum, die museale Nutzung des Berliner Stadtschlosses. Dessen Wiederaufbau am einstigen Ort des Palastes geht in die Endphase.

Passt ein 70er-Jahre-Kunstwerk, entworfen für einen Vorzeigebau des Sozialismus, in die Rekonstruktion eines Preußen-Schlosses? Richter ist überzeugt davon. „Diese Glas-Stahl-Plastik hat auch heute ihre Wirkung. Sie stellt etwas Weltumfassendes dar, ohne jeden eindeutigen Zeitbezug. Vieles fächert sich auf zu einem harmonischen Ganzen.“

Noch hat die Stiftung über eine Auferstehung nicht entschieden. „Wir prüfen, wie wir dieses prägende Kunstwerk aus dem Palast der Republik künftig im Humboldtforum zeigen können“, sagt ein Sprecher. Richters Modell soll helfen, die Wirkung auf denkbare Aufstellungsorte auszuprobieren. „Historische Fotos vom Palast helfen da nicht weiter, da fehlt das Haptische“, sagt Richter.

Das in Kisten verpackte Original kann in seinem jetzigen Zustand ohnehin nicht wieder aufgebaut werden. Richter ist nicht einmal sicher, ob 1990 tatsächlich alle Einzelteile sicher verwahrt wurden. Vor allem aber ist der Kleber porös geworden, mit dem die Glasornamente auf die Scheiben aufgebracht wurden. Das Kunstwerk wäre eine Gefahr für die Öffentlichkeit.

Richter ist bereit für Veränderungen am Werk. „Das soll ja nicht nur eine Wiederholung des Vergangenen sein, sondern auf seine Umgebung eingehen“, sagt er.

Das größte Hindernis für ein Comeback der Blume könnte allerdings nicht in Berlin liegen, sondern in Magdeburg. Denn dort schwelt seit Jahren ein erbitterter Streit darum, wer die Skulptur eigentlich erschaffen hat.

Um den Ruhm streiten zwei Männer, die einst Freunde waren. Sicher ist eines: Der Werkvertrag für die Herstellung der Blume nennt neben Richter auch dessen damaligen Kollegen Richard Wilhelm. Zur Vorgeschichte aber gibt es zwei unterschiedliche Versionen.

Richter berichtet, er habe im Frühjahr 1974 vom Palast-Chefarchitekten Heinz Graffunder die Anfrage erhalten, ob er ein Kunstwerk beisteuern wolle. „Ich kannte Graffunder durch die gemeinsame Arbeit beim Wiederaufbau des Magdeburger Zoos. Deshalb habe ich ihm einen ersten Entwurf gemacht.“ Als es später an den Vertrag ging, habe sich plötzlich Wilhelm, damals Vorsitzender der Glasgestaltung Magdeburg, hineingedrängt.

Alles ganz anders, widerspricht Wilhelm am Telefon. „Heinz Graffunder hat mich im Winter 74/75 in sein Haus nach Berlin-Pankow eingeladen. Im Barkeller hat er mich gebeten, einen Vorschlag für das Palast-Foyer zu machen. Ich habe einen gläsernen Baum, einen Kubus und eine Pyramide gestaltet, genommen wurde allein der Gläserne Baum.“ Honecker selbst, berichtet Wilhelm, habe dann später von einer Gläsernen Blume gesprochen statt vom Baum. An diese Formulierung habe sich das SED-Blatt „Neues Deutschland“ fortan gehalten.

Unstrittig ist, dass an der Umsetzung vom Plan zum fünf Meter hohen Kunstwerk viele Menschen mitarbeiteten. Und als mit dem Ende der DDR der Palast samt Blume abgeräumt wurde, spielte die Urheberschaft ohnehin keine Rolle mehr.

Die Berliner Planspiele um das Humboldtforum ändern das nun. Er habe nicht geahnt, „mit welcher Impertinenz“ Wilhelm bis heute auf seine Mitautorschaft poche, empört sich Richter.

Wilhelm schießt zurück. Dem einstigen Freund bescheinigt er „ein fast krankhaftes Geltungsbedürfnis“. Nach seinem ersten Entwurf, sagt Wilhelm, hätten Richter und er das Werk gemeinsam gestaltet. Urheber seien sie daher gemeinsam. „In seiner Ruhmsucht reicht Richter das aber nicht aus.“

Im Hintergrund geht es auch um die Rolle der beiden in der offiziösen Kunstszene der DDR. Richter war parteilos, Wilhelm saß für die Blockpartei LDPD von 1960 bis 1989 in der Volkskammer. Richter sagt, in der DDR habe die SED alle seine Versuche abgeblockt, die Urheberschaft der Gläsernen Blume richtigzustellen.

Wilhelm hält das für lächerlich. Richter habe selbst das allerhöchste Vertrauen der SED-Bezirksleitung genossen – noch zum 40. Jahrestag der DDR habe die ihn als Festredner für die Feierstunde im Magdeburger Theater ausgewählt.

Richter will unbedingt verhindern, dass Wilhelm bei den Gesprächen über das Berliner Humboldtforum mitredet. „Als Autor sehe ich mich zu Recht ganz allein verantwortlich“, sagt er.

Dabei gab es Zeiten, in denen selbst Richter genug hatte von der Blume. 2006 etwa, als wieder einmal über das im Depot verschwundene Werk spekuliert wurde, sah er dafür keinen Anlass. „Alles hat seine Zeit, auch die Glasblume“, sagte er damals der Volksstimme. 2010 fordert der Magdeburger Stadtrat, das Werk als Dauerleihgabe an die Elbe zu holen. Richter hielt und hält davon nichts. Aus seiner Sicht gibt es in Magdeburg kein würdiges Ambiente für den einstigen Palast-Schmuck.

Doch seit 2013 wächst in der Berliner Mitte der Neubau des Stadtschlosses. Im Sommer dieses Jahres feierte die Stiftung als Bauherrin Richtfest. Ab 2019 stehen im Zentrum der Hauptstadt 55 000 Quadratmeter Fläche bereit. Dort soll die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ihre außereuropäischen Sammlungen präsentieren. Die Geschichte des Ortes könnte sich in den barocken Skulpturen des Schloss-Architekten Andreas Schlüter ebenso spiegeln wie im Relikt aus dem Palast der Republik.

Ein würdiger Ort für die Blume, findet Richter. Genauso sieht es Wilhelm.

Nur miteinander reden, das wollen die beiden nicht mehr.