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Bischöfe Weihnachten: Braten und Familie reichen nicht

Magdeburgs Bischöfe sagen, was für sie das Fest ausmacht.

Von Hagen Eichler 25.12.2015, 00:01

Volksstimme: Frau Landesbischöfin, Herr Bischof, die ersten Christen kamen jahrhundertelang ganz ohne Weihnachten aus. Zum Kern des Glaubens gehört das Fest eigentlich nicht, oder?

Ilse Junkermann: Zunächst überhaupt nicht. Der Kern ist Ostern, um den herum hat sich das Kirchenjahr entwickelt.

Gerhard Feige: In der Orthodoxie ist das Osterfest noch heute das entscheidende Fest. Von der Liturgie ist das auch in der katholischen Kirche so. Aber im Bewusstsein der Leute ist in unseren Breiten Weihnachten eindeutig das Hauptfest geworden.

Volksstimme: Wir könnten also auch an ganz anderen Terminen feiern, zumal ja niemand weiß, wann Jesus tatsächlich geboren wurde.

Feige: Wie das Weihnachtsfest genau entstanden ist, ist wissenschaftlich umstritten. Auf jeden Fall ist das Fest der Geburt Christi das einzige Fest, das das Abendland dem Morgenland geschenkt hat. Alle anderen alten Feste sind wesentlich durch das Morgenland geprägt worden.

In Ostdeutschland ist der christliche Ursprung von Weihnachten den meisten unwichtig oder sogar unbekannt. Warum ist das Fest dennoch größer als je zuvor?

Feige: Wenn ich die Weihnachtspost analysiere, die ich bekomme, bin ich teilweise erschrocken. Das hat oft mit dem christlichen Weihnachtsfest nichts mehr zu tun. Es geht lediglich um Ruhe, Besinnung, Beschaulichkeit, Frieden. Zu DDR-Zeiten war Weihnachten einfach das Fest der Familie.

Das ist es ja noch immer.

Junkermann: Ja, für die Menschen ist es sehr wichtig, mal herunterzufahren und mit der Familie zusammenzusein. Vielleicht hat das aber entfernt doch etwas mit Weihnachten zu tun, weil es im Lied ja heißt: „Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis“. Das Fest erinnert daran, dass Christus den Zugang zum Paradies wieder öffnet und zeigt die Hoffnung, dass es noch etwas anderes gibt als Arbeiten, Schmerz und Leid. Es zeigt, dass auch mal alles gut sein kann.

Weihnachten wollen wir anderen eine Freude machen, etwas schenken. Also stürmen wir die Geschäfte und machen dem Einzelhandel das allergrößte Geschenk. Befürchten Sie, dass der Konsum alles andere überlagert?

Junkermann: Der Konsum ist überdimensioniert. Manche kaufen nicht mal mehr Geschenke, sondern geben Geld und sagen: Kauf dir selber was. Da ist der Sinn des Schenkens weg. Geschenke haben aber etwas Gutes, auch die Weihnachtspost. Man signalisiert: Ich habe an dich gedacht. Ich habe mir überlegt, was dir gefallen könnte. Du bist es mir wert. Das passende Geschenk zu finden, kann natürlich auch Stress machen, man will ja nicht das fünfte Rasierwasser oder den dritten Pullover schenken.

Feige: Aus dem Stress bin ich schon vor Jahren ein Stück ausgestiegen. Bis auf einen kleinen Rundbrief an unsere Priester, Diakone und Gemeindereferentinnen verschicke ich keine Weihnachtspost mehr, weder privat noch dienstlich. Ich müsste Hunderten Menschen schreiben, die Zahl der Kontakte wird ja immer größer. Das wäre nicht mehr persönlich. Ich gehe Weihnachten dadurch gelassener an, habe aber manchmal ein etwas schlechtes Gewissen, wenn ich Weihnachtspost bekomme.

Zu den Kartenschreibern gehört Ihre evangelische Kollegin. Lassen Sie etwa auch die Geschenke weg, Herr Feige?

Feige: Nicht ganz. Für einige meiner engsten Mitarbeitenden denke ich mir etwas aus. Ich habe nur wenige Verwandte, für die nehme ich bei einem Besuch ein paar Kleinigkeiten mit. Ich fühle mich da relativ frei.

An welchem Ort, in welcher Situation lässt sich der Geist der Weihnacht am besten spüren?

Junkermann: In unseren Gottesdiensten, die seit Jahren immer mehr Besucher haben. Manche schimpfen über jene Menschen, die nur zu Weihnachten in die Kirche kommen. Ich hingegen finde es gut, wenn sie sich aufmachen – aus ihrem Alltag, so wie die Hirten, oder von innerlich ganz weit weg, so wie die Weisen aus dem Morgenland. Der Kern von Weihnachten ist, dass Gott Mensch wird, und das kann man durch die Lieder, die Gebete, die Predigt erfahren.

Feige: Ich liebe ein typisches Weihnachtsessen: Gänsebraten mit Grünkohl. Das ist eine Zutat, die ich nicht missen möchte. Aber das Wesentliche sind der Gottesdienst und die Texte, die um das Geheimnis von Weihnachten kreisen. Das habe ich ganz besonders erfahren, als ich 19 Jahre alt war und wenige Tage vor Weihnachten meine Großmutter starb, die ich sehr gemocht habe. Weihnachten stand für uns in Frage. Dann aber haben wir den Weihnachtsbaum doch aufgebaut und sehr schlicht geschmückt, nicht so bunt wie in den Jahren vorher. Nur Kerzen, Strohsterne, ein paar silberne Kugeln. Das war für mich das eindrucksvollste Weihnachtsfest meines Lebens, weil auf einmal die Äußerlichkeiten keine Rolle mehr spielten. Wir stellten tiefere Fragen und suchten tiefere Antworten auf das Leben.

Zu Heiligabend gehört das Krippenspiel der Kinder. Die Eltern sind dann gerührt, viele andere halten es für eine Plage. Zu welcher Gruppe gehören Sie?

Junkermann: Das Krippenspiel gehört dazu, auch wenn mal etwas nicht klappt. Kinder sind nicht perfekt, aber sie zeigen, dass es wesentlich ist, in die Weihnachtsgeschichte selbst hineinzugehen.

Feige: Christsein ist nicht nur eine intellektuelle Angelegenheit. Auch spielerische Zugänge haben ihren Wert, gerade für Kinder.

In der Weihnachtsgeschichte verkünden die Engel Frieden auf Erden. In der echten Welt herrscht Krieg, Deutschland ist gerade mit Tornados in den Syrien-Konflikt eingestiegen. Ihre Meinung dazu?

Junkermann: Wir treten in einen Krieg ein und das halte ich für falsch. Wir müssen im 20. Jahrhundert andere Wege der Konfliktlösung finden: deeskalieren, Gespräche suchen. Wir müssen Terroristen als Kriminelle behandeln und ihnen mit Polizeigewalt begegnen. Stattdessen tun wir ihnen den Gefallen und erkennen sie als Staat an, indem wir mit ihnen Krieg führen. Ich bin sehr enttäuscht, dass wir diese Spirale der Gewalt mitmachen und sie nicht stoppen. Es hat noch kein Krieg zu Frieden geführt.

Ist der Syrien-Einsatz auch aus Ihrer Sicht ein Fehler, Herr Feige?

Feige: Wir als Kirche sprechen heute nicht mehr vom gerechten Krieg, sondern vom gerechten Frieden. Aber als ultima ratio, um in ihrem Leben bedrohte Menschen zu retten, gestehen wir durchaus auch militärische Aktionen zu. Wir sind aber nicht froh darüber und es kann nicht das einzige Mittel sein, um Frieden zu schaffen.

Junkermann: Als letzte Maßnahme, um Leben zu retten, hält die evangelische Kirche militärische Mittel für zulässig. Das muss aber eingebunden sein in ein sicherheitspolitisches Gesamtkonzept. Das ist in Syrien nicht gegeben und es gibt auch kein UN-Mandat. Deshalb halte ich den Einsatz nicht für gerechtfertigt.

Der Kriegseintritt europäischer Länder ist eine Reaktion auf den Anschlag von Paris. Die IS-Terroristen berufen sich auf ihren Glauben. Können Sie verstehen, dass vor allem in Ostdeutschland viele der Meinung sind, ohne Religion stünde die Welt besser da?

Junkermann: Nein, denn Religion bewahrt den Menschen davor, sich selbst zu übernehmen. Man kann Religion aber missbrauchen. Auch das Christentum wurde für Gewalt und Kriege instrumentalisiert.

Feige: Das Dritte Reich und der Bolschewismus in Russland waren religionslos. Was haben die der Menschheit für schreckliche Folgen gebracht!

Herr Feige, als eheloser Priester haben Sie keine eigene Familie. Mit wem genießen Sie den Festtagsbraten?

Feige: Mit meiner Haushälterin und ihren Eltern.

Ein Familienersatz?

Junkermann: Wenn ich das mal einwerfen darf: Die Ehelosigkeit ist ein anderes Lebensmodell. „Ersatz“ klingt so, als sei das nicht das Wahre.

Feige: Ich freue mich über Essen in Gemeinschaft, es macht mich aber auch nicht unglücklich, Festtage allein zu verbringen.

Wann haben Sie einen Moment der Ruhe, Frau Junkermann?

Junkermann: Wenn die Gottesdienste beginnen. Dann wirkt die feierliche Atmosphäre im Dom, die gespannte Erwartung. Am ersten Feiertag werde ich abends mit meinem Mann essen gehen. Dann werden wir Zeit für uns haben. Das hatten wir in diesem Jahr selten durch meine lange Erkrankung und weil mein Mann wegen seiner Arbeit viel unterwegs war.