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Reiner Haseloff Die Terminmaschine

Die Volksstimme stellt vor der Wahl die Spitzenkandidaten der Landtagsfraktionen vor. Zweiter Teil: Reiner Haseloff (CDU).

03.03.2016, 23:01

Magdeburg l Dass die blitzblanken schwarzen Schuhe in dem Dreck schmutzig werden, stört ihn nicht. Die Augen von Reiner Haseloff leuchten. Die Vorfreude steht ihm ins Gesicht geschrieben. Der Ministerpräsident kann schon erahnen, was sich hier im nächsten Jahr entwickeln wird. Noch ist das alte Eisleber Augustiner-Eremiten-Kloster Sankt Annen eine große Baustelle. Der Rundgang führt über Bretter, von Wänden und Decken bröckelt Putz ab. Doch 2017, wenn hier 500 Jahre Reformation gefeiert werden, soll alles fertig sein. Dann werden Tausende Touristen in die Geburtsstadt von Martin Luther kommen. Sachsen-Anhalt soll sich von seiner besten Seite präsentieren.

„Wo hat Luther hier geschlafen?“, fragt Haseloff den Pfarrer an diesem kalten Februartag. „Wahrscheinlich da vorne, ganz sicher wissen wir es nicht“, sagt der. Die Antwort gefällt dem Ministerpräsidenten nicht. Mit einem Lächeln gibt Haseloff eine klare Anweisung: „Das müsst ihr anders vermarkten. Ihr sagt einfach, das hier war ganz sicher Luthers Kammer. Das wollen die Leute nachfühlen!“ Die Gruppe, die Haseloff bei dem Rundgang begleitet, lacht.

Wie Sachsen-Anhalt präsentiert wird, die Außenwirkung des Landes, ist Reiner Haseloff sehr wichtig. Jahrelang wurde das Bindestrich-Land vor allem mit hoher Arbeitslosigkeit und hoher Abwanderung assoziiert. Das soll endgültig vorbei sein. Einzigartige Kulturschätze, die gute wirtschaftliche Entwicklung – dafür will Haseloff Sachsen-Anhalt bekannt machen. Manchmal wirkt er eher wie ein Markenbotschafter, weniger wie ein Politiker.

Seit 2011 ist der Wittenberger nun Regierungschef. Die Reisekosten sind im Vergleich zu seinem Vorgänger Wolfgang Böhmer (CDU) erheblich gestiegen, heißt es aus der Staatskanzlei. Haseloff, die Terminmaschine: Er ist sehr viel unterwegs von Arendsee bis Zeitz. Pro Monat spult er gut und gerne 150 Termine ab. Das ist kräftezehrend. Aber deshalb kennt Haseloff die verschiedenen Ecken des Landes nicht nur aus Kabinettsvorlagen – sondern auch die Menschen dort.

Als Reiner Haseloff im Kloster von Eisleber Bergleuten begrüßt wird, weiß er, wie er hier punkten kann. „Glück auf!“, sagt er und begrüßt jeden per Handschlag. Natürlich erwähnt er, dass er selbst „Ehrenbergmann“ ist. Das kommt gut an.

Nein, zu einem Landesvater wie einst ein Kurt Biedenkopf (CDU) in Sachsen oder Kurt Beck (SPD) in Rheinland-Pfalz macht das Haseloff noch lange nicht. Aber er ist auf einem guten Weg. Der 62-Jährige hat in seiner ersten Amtszeit dazugelernt. Der persönliche Umgang mit den Menschen, Small Talk, fällt ihm leichter als früher. Ein interessierter Zuhörer war er schon immer – doch inzwischen ist er auch um flotte Sprüche nicht verlegen.

„Woher kommen Sie?“, unterbricht Haseloff den Pfarrer bei seinen Ausführungen zum Kloster. Eigentlich sei er aus Berlin, habe aber zuletzt ein paar Jahre in England gelebt, antwortet dieser. Haseloff trocken: „Das ist die Zugangsvoraussetzung für Mansfeld.“

Einer schwierigen Region Mut machen, Probleme aufnehmen, das Positive herausstellen – das ist Reiner Haseloff. Als er in Eisleben mitbekommt, dass für die Instandsetzung des Klosters noch Fördermittel des Bundes ausstehen, bittet er darum, dass ihm alle Unterlagen zugeleitet werden. Da wird in Berlin nachgehakt.

Haseloff gibt sich draußen gern als Kümmerer. Drinnen, am Kabinettstisch, muss er seine Linie erst finden. Der Start seiner Regierung verläuft holprig: Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) bestimmt mit rigidem Sparkurs die Agenda. Wissenschaftsministerin Birgitta Wolff (CDU) muss auf Drängen Bullerjahns nach Riesenzoff gehen. Haseloff feuert sie am Telefon. Ex-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer, sein langjähriger Ziehvater, setzt sich von ihm ab. Die Entlassung von Wolff sei „stil- und würdelos“, kritisiert er.

Führungsstärke sieht anders aus. Haseloff wirkt in dieser Phase wie ein Ball, der von anderen getrieben, der hin- und hergespielt wird. Statt wie ein Kapitän das Spielgeschehen zu bestimmen, gibt er monatelang den Ausputzer.

Das ändert sich nach und nach. Mit der Flutkatastrophe im Sommer 2013 rückt seine Mannschaft enger zusammen. Inzwischen ist die CDU-SPD-Regierung für Haseloff unantastbar geworden. Einerseits, weil sie für die Union die einzige Machtoption nach der Wahl ist. Andererseits ist Haseloff wie kein Zweiter davon überzeugt, dass Sachsen-Anhalt „in dieser schwierigen Zeit eine stabile Regierung der Mitte braucht“. Statt Abgrenzung setzt der Wittenberger voll auf das Verbindende. Seine schärfste Formulierung ist schon die, dass Schwarz-Rot das Land „in produktivem Streit voranbringt“ – bloß keine Angriffsfläche anbieten.

Im Wahlkampf hat er die meisten Podiumsdiskussionen ausgelassen. Die Vorwürfe seiner Konkurrenten Katrin Budde (SPD) und Wulf Gallert (Die Linke), dass er die direkte Konfrontation scheue, hört Haseloff nicht gern. „Ich habe einen Eid geschworen, dass ich alle meine Kraft zum Wohl und zur Entwicklung des Landes einsetzen werde. Ich trage eine hohe Verantwortung. Da kann ich mich nicht wochenlang in solche Elefantenrunden reinsetzen“, rechtfertigt er sich. „Meine Konkurrenten sitzen alle im Landtag, da ist die letzte Sitzung durch. Die können 24 Stunden am Tag Wahlkampf machen, bei mir geht die Arbeit weiter. Die Lösung der Flüchtlingskrise kostet alle Kräfte und Ressourcen.“

Bei diesem sensiblen Thema beweist Haseloff Gespür. Als er Mitte 2015 wahrnimmt, wie die Stimmung angesichts des unbegrenzten Zustroms in der Bevölkerung kippt, steuert er um. Als erster Ministerpräsident in Deutschland plädiert er noch vor Horst Seehofer (CSU) für eine Integrationsobergrenze für Sachsen-Anhalt.

Haseloff tritt präsidial auf. Da kann er wieder Kümmerer sein. Er will zeigen, dass er die Ängste ernst nimmt und die Menschen versteht – das mag ein Faktor dafür sein, dass seine Bekanntheitswerte zuletzt gestiegen sind. Im kleinen Kreis betont er zwar regelmäßig, wie unwichtig ihm sein persönliches Schicksal bei der Landtagswahl sei. Doch so ganz abnehmen kann ihm das keiner. Die Zahlen hat er alle genau im Kopf. „53 Prozent der Menschen würden mich direkt wählen, mehr als 90 Prozent kennen mich. Ich bin gelassen“, sagt er. Der Ministerpräsident weiß, dass er im Moment bei den Wählern punktet.

Das ist ihm viele Jahre lang kaum gelungen. Bei seinen Lieblingsthemen Arbeitsmarkt und Wirtschaft steckt er zwar tief drin und kann dutzende Statistiken auf Knopfdruck aus seinem Gedächtnis abrufen. Doch Reiner Haseloff, der ehemalige Arbeitsamtsdirektor, neigt dazu, die Situation immer ein wenig zu beschönigen. Das geht am Lebensgefühl vieler Sachsen-Anhalter vorbei.

Dem Besuch im Eisleber Kloster folgt ein typischer Haseloff-Termin. Der Ministerpräsident fährt nach Sangerhausen. Dort übergibt er dem Fahrradhersteller Mifa einen Fördermittelbescheid. Während der Fahrt putzt er seine dreckigen Schuhe. Der Fahrer muss immer eine Bürste dabei haben. Bevor Haseloff aus dem Auto steigt, greift er routiniert in die Jacketttasche. Es dauert keine zwei Sekunden: Blitzschnell kämmt er das lichte Haar durch und steckt den Kamm wieder ein. Draußen warten die Kameras. Wer Sachsen-Anhalt gut darstellen will, möchte dabei auch selbst eine gute Figur machen.

In der Staatskanzlei müssen die Mitarbeiter den Pressespiegel morgens akkurat erstellen. Der Ministerpräsident will, dass die Fotos in hoher Qualität eingescannt werden, damit er sieht, wie er auf den Bildern wirkt. Als einmal ein Beitrag in einer Zeitung in Halle erschienen ist und einen Tag später in Magdeburg, musste er doppelt in die Liste hinein – das Bild in der Magdeburger Ausgabe war ein anderes. Wenn die Fotos nicht gut genug dargestellt werden, soll der Chef auch mal durchklingeln per Telefon.

Solche klaren Worte findet Haseloff bei der Übergabe des Fördermittelbescheids in Sangerhausen nicht. Er spricht über Wirtschaftsförderung und wichtige Signale für den „Standort Sachsen-Anhalt“. Doch bei den verschachtelten Sätzen des Ministerpräsidenten legen viele der versammelten Mitarbeiter die Stirn in Falten. Vereinfachungen sind nicht seine Stärke.

Haseloffs Doktorarbeit hat den Titel „Entwicklung von Messgeräten auf der Basis der linearen Laser-Absorptionsspektrometrie zur empfindlichen Molekülgas-Konzentrationsmessung unter dem Aspekt des Einsatzes in der Umweltkontrolle“. Das war 1991. Ähnlich technokratisch spricht der Physiker heute. Da müssen Dinge „durchgesteuert“, „modifiziert“, „umgeswitcht“ oder das „Wording“ verbessert werden. Bitte was?

Dass er auch anders kann, zeigt er an einem Abend Ende Januar in Magdeburg. In einer Kochshow gibt er sich locker, erzählt von seinem „Großfamilienexperiment“: Ein Sohn lebt in der Heimat Wittenberg, einer in Bayreuth – er hat zwei Ost- und zwei West-Enkelkinder. Über WhatsApp-Nachrichten auf dem Handy hält er seine Familie auf dem Laufenden. Wenn zu Weihnachten alle im Hause Haseloff zusammenkommen, spielt Opa Reiner Akkordeon. „Das müssen sich die Enkelkinder antun lassen“, sagt der Ministerpräsident. Sonst hört er gern Oldies der 60er und 70er, geht mit seinen Söhnen aber auch zum ACDC-Rockkonzert. Insgesamt, konstatiert er ein wenig traurig, bleibt für die Familie wegen der Politikkarriere sehr wenig Zeit.

Als Haseloff seine Sauerkraut-Kasseler-Kartoffel-Pfanne mit Ananas fertig zubereitet hat, findet er keine Kelle, mit der er das Gericht aus dem Topf schöpfen kann. Haseloff sieht sich um und greift dann zu einem kleinen Löffel. Mühsam, aber geduldig schaufelt er das Essen auf einen Teller.

Geduldig, mit vielen kleinen Schritten, ist der CDU-Politiker auch in seinem Leben vorangekommen. Arbeitsamtsdirektor, Staatssekretär, Wirtschaftsminister, Regierungschef – der 62-Jährige hat sich das mit Fleiß erarbeitet. Haseloff, der Umtriebige. Dass auf den Stationen auf seinem Herd auch mal etwas angebrannt ist, blendet Haseloff gern aus. Zum Beispiel das Frühjahr 2008.

Als bekannt wird, dass im Jerichower Land Hunderttausende Tonnen Müll illegal in Tongruben verkippt worden sind, gibt er als Wirtschaftsminister keine gute Figur ab. Bereits ein halbes Jahr zuvor war sein Haus vom Umweltministerium auf die Probleme hingewiesen worden. Doch das reagiert nicht. Haseloff sagt später, die leitenden Beamten hätten die „Brisanz“ nicht erkannt. Übernahme politischer Verantwortung für die Fehler der Behörden? Fehlanzeige. Für ihn ist die „kriminelle Energie“ vor Ort verantwortlich.

Ähnlich versucht er sich aus der Affäre um die landeseigene Investitions- und Beteiligungsgesellschaft (IBG) zu ziehen. Während der Landesrechnungshof „kollektives Versagen“ attestiert, verbindet Haseloff die IBG „mit einer Erfolgsgeschichte“. Dass bei der Förderung der Unternehmen in seiner Zeit als Wirtschaftsminister auch Millionen verbrannt wurden, ist für ihn zweitrangig. Das sind „Einzelfälle“.

Immer weitermachen, nach vorn schauen. Haseloff richtet den Blick schon auf 2017. Da kann das Land sein Image mit dem Reformationsjubiläum verbessern. Das schöne Sachsen-Anhalt will er selbst präsentieren und bewundern, sehen, was aus all den Anstrengungen der vergangenen Jahre geworden ist. Dreckige Schuhe von Baustellenbesichtigungen soll es dann nicht mehr geben. Aber Abdrücke, die will Reiner Haseloff in Sachsen-Anhalt noch eine Weile hinterlassen.