UnterrichtTotalausfall an Harzer Schule
Weil an der Francke-Grundschule in Wernigerode sieben der elf Pädagogen krank sind, fällt dort in dieser Woche der Unterricht aus.
Wernigeroden l Die Nachricht kam am Wochenende per Kurznachrichtendienst aufs Handy: Ab Montag werde – abgesehen vom Schwimmen – der komplette Unterricht an der August-Hermann-Francke-Grundschule in Wernigerode ausfallen, erinnert sich Geraldine Friedrich. Als sie die Nachricht per WhatsApp von der Klassenlehrerin ihrer Tochter erhielt, sei von „eventuell ein bis zwei Tagen“ die Rede gewesen. Seit Montag ist aber klar, dass die Personalnot in der Schule so groß ist, dass es in dieser Woche gar keinen Unterricht mehr geben wird.
„Das ist eine neue Dimension“, bringt es Alexander Pistorius, Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Magdeburg, auf den Punkt. Es gebe zwar immer mal wieder Fälle, wo der Unterricht an Schulen mal einen Tag lang oder mal vorübergehend für eine Klassenstufe ausgesetzt werde. „In diesem Umfang ist das neu“, so der GEW-Landessprecher.
Der Grund für die lokale Misere: Sieben der insgesamt elf Pädagogen an der Wernigeröder Schule sind erkrankt, manche längerfristig. Die verbleibenden vier können die 220 Mädchen und Jungen maximal beaufsichtigen, wird beim Blick in die Schule deutlich. Und das Land, macht Stefan Thurmann, Sprecher im Bildungsministerium deutlich, hat schlichtweg zu wenig Lehrer, um auf den Notstand reagieren zu können.
Dass der aktuelle Fall nur die Spitze des Eisbergs ist, der Totalausfall des Unterrichts quasi trauriger Höhepunkt in einem insgesamt personell überlasteten und fragilen System, wird im Gespräch mit Pistorius deutlich. Bis vor zehn Jahren habe es im Land noch einen Lehrerüberhang gegeben. „Mittlerweile hat sich das gedreht. Und wir haben das mit Blick auf das Alter der Pädagogen und die abzusehenden Personalabgänge schon seit langem angekündigt.“
Doch statt rechtzeitig gegenzusteuern, sei in Magdeburg über Jahre ein personelles Spardiktat durchgesetzt worden, das heute zu solch fatalen Situationen wie in Wernigerode führe. „Um beispielsweise Krankheiten auszugleichen, sollte man mit 105 Prozent Personalbesetzung arbeiten. Das Land hat uns 103 Prozent zugesichert, real liegen wir bei durchschnittlich unter 99 Prozent“, nennt Pistorius das Problem beim Namen. „Die Schulleitungen stehen mit dem Rücken an der Wand.“
Ein Problem, das Ministeriumssprecher Thurmann nicht schönreden will. Er spricht von einer aktuell 99,5-prozentigen Versorgung – „das ist besser als in vielen westdeutschen Flächenländern“. Letztlich ist das aber so knapp, dass man in einem Fall wie jetzt in Wernigerode nicht mehr gegensteuern kann: „Wenn sieben von elf Mitarbeitern in einer Firma ausfallen, kann man das nirgends kompensieren“, hält Thurmann entgegen. Das Bildungssystem im Land ist größer, eine Schule steht nicht für sich allein.
Gleichwohl ist sich der Ministeriumssprecher mit Gewerkschafter Pistorius in vielen Punkten einig. Es gebe in den nächsten Jahren den Druck, viele ausscheidende Lehrer zu ersetzen. Pistorius spricht von jährlich 800. „Wir bräuchten diese Zahl an Referenten, um den jetzigen Zustand zu halten. An der Uni Halle beginnen aber nur 550 Anwärter pro Jahr ihr Studium, nicht alle kommen bis zum Ziel. Wir bilden deutlich unter unserem Bedarf aus“, rechnet Pistorius vor.
Man sei dabei, gegenzusteuern, erklärt Thurmann. 2016 seien 729 Lehrer eingestellt worden, in diesem Jahr liege der Korridor zwischen 600 und 800. Zudem werde die Ausbildungskapazität von 550 auf 700 aufgebohrt. Das seien erste richtige Schritte, sagt Pistorius. Dennoch werde es noch Jahre dauern, bis die Effekte in der Realität greifbar seien. „Die nächsten Jahre werden ein Tal der Tränen.“
Die Personalsituation an den Schulen ähnelt der bei Polizei und Justiz. Nachdem bei der Polizei seit 2015 gegengesteuert wird, haben zuletzt Richter und Justizangestellte die personelle Situation kritisiert. Und der Notstand im Schulsystem ist nicht gänzlich neu. Im November 2016 sorgte die Grundschule Gossa (Kreis Anhalt-Bitterfeld) für Schlagzeilen. Weil dort eine Lehrerin langfristig erkrankt war und das Land keinen Ersatz stellen konnte, übernahmen Eltern den Sachkunde-Unterricht. So nun auch in Wernigerode: Manche Eltern unterrichten die Kinder privat, damit die Lücken nicht zu groß werden.