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Hängebrücke Der Harz von oben

Die längste Hängebrücke der Welt entsteht derzeit an der Rappbodetalsperre. Eine Besuch auf der spektakulären Baustelle.

Von Katrin Schröder 18.03.2017, 00:01

Rübeland l Bevor man die Baustelle sieht, hört man sie. Das Rattern der Maschinen durchdringt das Wäldchen zwischen dem Parkplatz und dem Rand der Talsperre. Ein 24 Meter hoher Kran steht neben dem Aussichtspunkt und dem Turm, von dem aus Wagemutige ins Tal fliegen – über die Rappbodetalsperre, mit der größten Doppelseilrutsche Europas. Damit werben die Betreiber von Harzdrenalin, die dort wieder einen Bau der Superlative errichten lassen – die künftig längste Hängebrücke der Welt.

Nervenkitzel ist das Geschäft von Harzdrenalin und seinen Geschäftsführern Maik und Stefan Berke. Mit der Megazipline, die vor sechs Jahren eröffnet hat, sausen die Gäste mit bis zu 90 Kilometern pro Stunde hinab, an der Staumauer Wendefurth können sie – angeseilt und gesichert – 43 Meter senkrecht in die Tiefe laufen. Außerdem gehören Segway-Touren zum Programm.

Der Gang über die Hängebrücke wird ebenfalls für Adrenalinstöße sorgen. Seit Oktober wird am Megabrückenschlag in 100 Metern Höhe gebaut – parallel zur Staumauer an der Rappbode, der höchsten Deutschlands. Dafür haben die beiden Brüder Spezialisten aus Tirol in den Harz geholt. „Es gibt nur sehr wenige Firmen im deutschsprachigen Raum, die solche Projekte komplett übernehmen können“, sagt Maik Berke.

Zu ihnen gehört die HTB Baugesellschaft aus Arzl im Pitztal, die bereits mehrere vergleichbare Brücken im Alpenraum errichtet hat. Polier Alexander Lentsch leitet die rund zehn Mann starke Truppe, die erfahren, aber jung ist – der Senior im Team ist 42 Jahre alt, gefolgt von dem 34-jährigen Polier. Auf der Baustelle laufe alles wie am Schnürchen, versichert Stefan Berke. „Das sind Profis, die wissen, was sie tun.“ Vor allem lassen sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Die Bauleute arbeiten konzentriert, lassen sich nicht von den vielen Neugierigen stören, die das Geschehen am Bauzaun beobachten. „Hier wird nicht geschrien oder hektisch herumgelaufen. Das mag ich nicht“, sagt der Polier bestimmt. Aus dem Baustellenradio dudeln Oldies, während Lentsch mit seinen Mitarbeitern und den Abgesandten von Partnerfirmen in breitem Tirolerisch die nächsten Schritte bespricht.

Quelle: www.facebook.com/SkyViewerCatchAGlimpseOfTheEarth/

Die Brücke hängt an zwei stählernen Tragseilen, Ende Januar wurden sie gespannt. An die Querverbindungen wird derzeit der Laufbelag gehängt. Dieser besteht aus Edelstahlgittern, jedes Segment ist 3,50 Meter lang und 1,20 Meter breit. Ein Montagewagen bringt die silbrig glänzenden Elemente an Ort und Stelle. Das System dazu haben die HTB-Mitarbeiter ausgetüftelt, berichtet Alexander Lentsch.

Und das geht so: Arbeiter bereiten das Bauteil vor, per Kran wird es an die richtige Stelle gehievt. Dort wird es von dem Montagewagen abgeholt, der auf Rollen über die Tragseile gleitet. Gezogen von einer Winde, nähert er sich in gemächlichem Tempo von einem bis zwei Metern pro Sekunde.

Während sich der Wagen bewegt, legt die Megazipline eine Pause ein. Sobald er steht, sausen die Gäste wieder johlend die Seilrutsche hinab, nur wenige Meter über der Brücke – kein Problem, sagt der Bauleiter. Ein Arbeiter steigt derweil auf den blaulackierten Wagen, verstaut die Stahlseile, an denen die Laufgitter hängen sollen. Ein Kollege befestigt am Gitter einen Hilfsrahmen, der wiederum am Montagewagen hängt. „Man braucht keine Schleppen auf scharfe Kanten setzen. Man kann es aufsetzen und einklinken, das ist hundert Prozent sicher“, so Lentsch. Ein letzter, prüfender Blick, dann geht der Wagen auf die Reise zur Mitte der Brücke, wo die Kollegen warten. Alle sind ausgebildete Industriekletterer, betont der Polier. Einer von ihnen hat auf der Brücke ausschließlich die Sicherheit im Blick. Das ist in Deutschland Vorschrift und hat seinen Sinn, sagt er. „Die Sicherheit hat Priorität. Wir wollen alle abends heil nach Hause kommen.“

Der Polier hat zwar schon viele Brücken gebaut, doch das Harzer Projekt sei „speziell“, sagt Lentsch. Das liegt an der Dimension: Mehr als 439 Meter lang soll die Rekordbrücke werden und damit das bisherige Rekordbauwerk im russischen Sotschi übertreffen. Um wie viele Meter genau, das wollen die Berke-Brüder erst bei der Einweihung verraten.

Für den Baufachmann ist die Rekordlänge in erster Linie ein Problem der Statik. „Die Länge bringt Gewicht“, so Alexander Lentsch. Mehr als 100 Tonnen Stahl hängen zwischen den beiden Enden der Brücke – und diese müssen 100 Meter über dem Boden gehalten werden. Dazu haben die Bauarbeiter bis zu 25 Meter lange Anker, welche die Abspannfundamente sichern, in den Fels getrieben. 250 bis 300 Kubikmeter Beton sind in die Bauwerke auf beiden Brückenseiten geflossen, plus Baustahl für die Bewehrung.

Noch eine Woche dauert es voraussichtlich, bis der Brückenboden fertig ist. Dann folgen Handläufe und Edelstahlnetze an den Seiten. 1,20 Meter hoch ist das Geländer – wie an jeder deutschen Brücke. Gesichert wird das Bauwerk zusätzlich durch Windseile, die es in Balance halten, wenn ein Windstoß oder Spaziergänger Schlagseite verursachen.

Dadurch wird die Hängebrücke zwar stabil, Schwingungen werde man dennoch spüren, prophezeit Alexander Lentsch – zum Beispiel wenn einige den Pendelsprung wagen. Eine Absprungkanzel wird ungefähr in Brückenmitte gebaut. Nach dem Sprung in 75 Meter Tiefe wird der Gast am Seil im Halbkreis schwingen – wie ein überdimensionales Pendel.

Beim Sprung wie beim Spaziergang seien die Gäste sicher, erklären die Harzdrenalin-Chefs. 200 bis 250 Menschen können sich vermutlich gleichzeitig auf der Brücke aufhalten. Im Detail stehe das aber noch nicht fest, so Maik Berke. Dafür, dass es nicht zu viele Gäste werden, sorgt die Besuchersteuerung. Beim Eintritt durch Drehkreuze auf beiden Brückenseiten werden die Besucher registriert, die Anlagen sind vernetzt und geben Signal, wenn das Limit erreicht ist. „Die Brücke weiß, wie viele Leute darauf sind“, so Berke.

Wenn die Brücke steht, sind die Außenanlagen an der Reihe – inklusive eines Spielplatzes mit „Mini-Harzdrenalin“, auf dem Kinder die Attraktionen im Kleinformat erleben können. Das Besucherzentrum ist fast fertig, die Zahl der Parkplätze soll sich bis Jahresende verdreifachen. Zahlreiche Firmen aus der Region arbeiten mit, betont Maik Berke – Handwerker und IT-Fachleute. Was das kostet – darüber schweigen sich die Harzdrenalin-Chefs aus, ebenso über Pläne für neuen Nervenkitzel. Die gebe es zwar. „Doch jetzt freuen wir uns, dass wir im Zeitplan liegen“, sagt Maik Berke und lässt den Blick über die Baustelle schweifen. Erst müsse alles rund laufen, könne man Neues angehen. „Es hilft uns nicht, wenn es heißt: Tolle Idee, aber bei der Umsetzung hakt es.“