Archäologen fügen aus Tausenden von Fragmenten Lehmwand zusammen 2600 Jahre alte Reste eines Siedlungshauses bei Wennungen entdeckt
Halle (dapd). Franziska Knoll hält ein kleines Stück Lehm in der Hand. Spuren von Bemalungen sind darauf zu erkennen – Dreiecke, parallele Linien und kleine Haken. Die Archäologin kommt ins Schwärmen. "Der Fund ist nicht nur für Mitteldeutschland eine kleine Sensation", sagt sie gestern im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle.
Mehr als 1500 Fragmente einer 2600 Jahre alten Lehmwand hatten Archäologen bei Ausgrabungen entlang der künftigen ICE-Trasse von Erfurt nach Halle/Leipzig bei Wennungen (Burgenlandkreis) entdeckt. In einer von insgesamt 3000 Siedlungsgruben, in der damals bis zu einer Tonne Getreide gespeichert und die später mit Abfall verfüllt wurde, stießen die Wissenschaftler auf die Reste der einstigen Wand aus Flechtwerk.
Bereits mit bloßem Auge seien auf den Fragmenten des auf der einen Seite völlig ebenen Putzes leuchtend rote Bemalungen zu erkennen gewesen, sagt Knoll und fügt hinzu: "Mithilfe des Landeskriminalamtes wissen wir inzwischen, dass es sich bei dem Rot um ein Eisenoxid handelt." Die andere, weiße Farbe sei Gips und die dritte auf den Lehmfragmenten entdeckte Farbe könnte Beige sein, mutmaßt Knoll. Dort liefen die Untersuchungen noch. Sie spricht von einer hochwertigen und detailreichen Bemalung, die außen, aber auch innen angebracht worden sein könnte.
Ein Jahr hat die Archäologin gemeinsam mit fünf Studenten "gepuzzelt", um aus den Fragmenten, die insgesamt 200 Kilogramm auf die Waage bringen, wieder eine Wand werden zu lassen. Öfter hätte sie am liebsten alles hingeworfen, sagt sie.
Wie beim Puzzle-Spiel hätten sie an den Ecken begonnen und versucht, Lehmteile aneinanderzufügen. Mehr als 300 der insgesamt 1500 Fragmente werden derzeit im Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie zusammengesetzt. Ab kommendem Jahr ist eine 1,35 Meter mal 80 Zentimeter große Wand in einer neuen Dauerausstellung zu sehen. Die Steine "schweben" dann vor einem schwarzen Hintergrund, sagt Landesarchäologe Harald Meller. Die Wissenschaftler vermuten, dass die Wand ursprünglich etwa vier Meter lang war.
Graue Vorzeit war farbenfroher
Von Siedlungen der späten Bronze- und frühen Eisenzeit (1200 bis 500 vor Christus) hätten Archäologen in der Vergangenheit meist nur noch Bodenverfärbungen entdeckt. Die Holzstämme seien verfallen. Diese Funde in Wennungen erlaubten nun "durch ein kleines Schlüsselloch einen anderen Einblick in die Vorgeschichte", sagt Meller. Dass in Rekonstruktionen prähistorischer Häuser noch immer gegenwärtige Bild der grauen Vorzeit sei somit bedeutend farbenfroher, sagt er.
Seit 1994 untersuchen Archäologen das Baufeld entlang der künftigen ICE-Trasse, deren Streckenverlauf sich von Herrengosserstedt an der Grenze zu Thüringen bis knapp östlich von Gröbers nahe der sächsischen Landesgrenze erstreckt. Der Landesarchäologe spricht von einer großen Siedlung, die bei Wennungen zum Teil freigelegt wurde. Mit 100 Hektar Fläche sei sie in etwa so groß wie die Altstadt von Halle.