1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Anhaltende Unruhe

EIL

SPD im Wahlkampf Anhaltende Unruhe

SPD-Chefin Katrin Budde erklärt im Interview, wie sie in den nächsten Wochen die Stimmungskurve heben will.

Von Jens Schmidt 14.11.2015, 00:01

Volksstimme: Frau Budde, Sie haben Mitte des Jahres gesagt, die Chance auf eine SPD-geführte Regierung ist 2016 realistischer als 2006. Stimmt das Immer noch?
Katrin Budde: Es ist zurzeit nicht abzuschätzen, wie sich der neue Landtag im März zusammensetzen wird. Wir wissen nicht, in welcher Größenordnung die AfD einziehen wird. Die Parteien-Mathematik ist eine ganz andere geworden als noch vor einigen Wochen.
Wir groß ist die Gefahr, dass es für keine stabile Regierung reicht – also weder für Schwarz/Rot noch für Rot/Rot/Grün?
Diese Sorge teile ich nicht. Der Wahlkampf hat ja noch nicht richtig begonnen. Viele warten, welche Themen und Antworten wir anbieten. Welche Farben aber eine stabile Regierung haben wird – dazu wage ich keine Prognose.
Wie stark wird die AfD?
Bundesweit liegen sie derzeit zweistellig, damit müssen wir im Moment also auch in Sachsen-Anhalt rechnen. Dennoch ist es auch unter solchen Bedingungen möglich, eine stabile Regierung zu bilden. 1998 haben wir das auch geschafft, als die DVU mit 13 Prozent in den Landtag gezogen war.
Damals hat die SPD eine Minderheitsregierung gebildet. Halten Sie eine Minderheitsregierung 2016 für eine stabile Variante?
An eine Minderheitsregierung denkt niemand.
Wie schätzen Sie die Stimmung in der SPD ein?
Die SPD ist ein Spiegelbild der Bevölkerung, insofern geht die anhaltende Unruhe nicht an uns vorbei. Die steigenden Flüchtlingszahlen sowie die damit verbundene Bewältigung von Unterbringung und Integration beschäftigen uns alle.
Wie lähmend wirken Umfragen von 20 Prozent?
Die Umfragen sind stabil, sie zeigen aber auch, dass wir von den 20 Prozent noch nicht weggekommen sind. Aber unsere Kampagne hat auch noch nicht begonnen. Es gibt jedenfalls keine gedrückte Stimmung in der SPD. Die meisten ärgern sich, wenn öffentlich die Geschlossenheit der Partei infrage gestellt wird.
Die Umfrage zeigt: Selbst eine Mehrheit der SPD-Anhänger würde nicht Sie sondern Amtsinhaber Haseloff als Regierungschef bevorzugen. Woran liegt das?
Haseloff hat trotz allem einen wesentlich höheren Bekanntheitsgrad als ich. Es ist immer einfacher, als amtierender Ministerpräsident in einen Wahlkampf zu starten. Daher bin ich landauf, landab unterwegs, um meine Bekanntheit zu erhöhen und um persönlich nicht nur als Foto bekannt zu sein.
Ihr Parteikollege und Wahlkreiskandidat Wolfgang Zahn aus Oschersleben berichtet, Sie kämen bei den Leuten nicht an.
Das ist eine Einzelmeinung. Ich bin viel im Land unterwegs und erfahre viel Zuspruch. Ich kann nicht erwarten, dass mich jeder liebt. Aber Antipathie ist mir noch nicht entgegengeschlagen.
Bei der Wahl zur Landesvorsitzenden erhielten Sie vom Parteitag nur 80 Prozent. Hadert die Partei mit ihrer Spitzenfrau?
Sicherlich wünscht sich eine Spitzenkandidatin ein Ergebnis, das auf die 100 Prozent zugeht. Der Parteitag danach in Leuna hat aber gezeigt, dass die Partei hinter mir steht.
Ihr Finanzminister Bullerjahn gibt Kontra, Magdeburgs Oberbürgermeister Trümper verlässt im Streit mit Ihnen die Partei. Wie stark trifft das?
Das waren Situationen, mit denen ich nicht gerechnet habe. Und die nicht geeignet waren, Geschlossenheit zu zeigen. Persönlich am stärksten getroffen hat mich der Parteiaustritt Lutz Trümpers, den ich bis heute nicht verstehe.
Fühlen Sie sich angeschlagen?
Es ist noch genug Zeit, diese Dinge wieder auszugleichen. Es ist nicht das erste Mal in der SPD, dass wir im Wahlkampf Richtungsdebatten anfangen. Jetzt gilt es, im Wahlkampf durchzustarten.
Lassen Sie keine Kritik an sich heran?
Natürlich reflektiert man immer, was man besser machen kann. Wir leben ja auch in einer sehr unruhigen Zeit. Ein Kompetenzteam aufzustellen, ist zum Beispiel eine neue Überlegung.
Warum haben Sie nicht längst eine Mannschaft präsentiert?
Da wir vier Minister in der Regierung haben, habe ich aus Loyalität ihnen gegenüber bislang davon abgesehen.
Mittlerweile haben aber zwei Ihrer Kollegen gesagt, dass sie 2016 nicht mehr kandidieren.
Die Lage hat sich geändert, das stimmt. Daher überlege ich, ein Kompetenzteam aufzustellen.
Bis wann?
Ich denke bis Weihnachten.
 
Kommen auch bekannte Köpfe von außerhalb?
Ich habe Namen im Kopf, aber ich werde jetzt noch keinen nennen.
 
Manche in der Partei vermissen eine klare Strategie.
Niemand darf erwarten, dass schon im November der heiße Wahlkampf tobt. Aber selbstverständlich haben wir inhaltliche Schwerpunkte. Ich sehe drei Blöcke. Erstens: Gute Arbeit mit ordentlichen Löhnen, damit Familien im Land bleiben. Zweitens: Mehr Qualität in der Bildung; da geht es um Inklusion an den Schulen sowie um mehr Spitzenforschung an unseren Hochschulen. Und der dritte Block ist überschreiben mit Internationalität, also die Integration der Flüchtlinge.
Im Sommer forderten Sie, abgelehnte Asylbewerber nicht abzuschieben, sondern hier auszubilden. Bleibt Sie dabei?
Da viel mehr Menschen zu uns kommen, als wir uns vorgestellt haben, werden wir Asylbewerber ohne Bleiberecht zurückschicken müssen. Mittlerweile sind ja auch Möglichkeiten geschaffen worden, dass sie sich von zu Hause um eine Einwanderung bewerben können. Wir werden aber auf alle Fälle in Deutschland über eine geregelte Zuwanderung reden müssen. Klar: Es werden auch wieder Syrer in ihre Heimat zurückgehen, um ihr Land eines Tages wieder aufzubauen. Aber aus vielen Bürgerkriegsflüchtlingen werden Einwanderer werden.
Ministerpräsident Haseloff fordert eine Begrenzung und hält jährlich 8000 bis 11000 Flüchtlinge für verkraftbar, aber nicht 40 000. Warum kritisieren Sie ihn dafür?
Sachsen-Anhalt ist verpflichtet, knapp drei Prozent der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge aufzunehmen. An diese Regel müssen wir uns halten. Wenn Haseloff meint, es läge in unserer Macht,  die Zahl auf das Maß der vergangenen Jahre zurückdrehen, dann ist das illusorisch. Es geht nicht darum, Selfies zu machen und zu sagen: ,Kommt doch alle her‘; sondern es geht darum, Realitäten anzuerkennen. Ein anderes Thema ist: Wir bekommen wir es hin, dass sich nicht mehr so viele Menschen auf den Weg machen? Das ist vor allem eine außenpolitische Aufgabe.
Ihr Finanzminister Bullerjahn plädiert in diesen unruhigen Zeiten klar für eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU. Und Sie?
Die Partei hat beschlossen, dass wir uns im Wahlkampf nicht festlegen. Ich erwarte, dass sich alle daran halten.
Viele halten Sie nur für scheinbar offen – bei Ihren Auftritten aber spüre man deutlich Ihre Präferenz für Rot/Rot/Grün.
Wenn die SPD die Möglichkeit hat, die Regierung anzuführen, dann muss sie diese Option ziehen.
Sie halten eine SPD-geführte Regierung mit der CDU für unmöglich?
Wenn ich mir die Umfragen anschaue, dann halte ich diese Variante für unrealistisch.
Welches Bündnis wäre aus inhaltlicher Sicht besser?
Legt man die Programme nebeneinander, so lassen sich größere Schnittmengen mit der Linken finden. Wir haben aber 2011 gesehen, dass die CDU schnell bereit war, unsere Vorhaben wie Gemeinschaftsschule, Kita-Ganztagsbetreuung für alle Kinder oder das Vergabegesetz mitzutragen. Wenn die CDU ihre Macht behalten kann, macht sie auch sozialdemokratische Politik mit.
Die CDU will den Mindestlohn absenken, um mehr Flüchtlinge in Arbeit zu bekommen. Für Langzeitarbeitslose ist dies auch für sechs Monate möglich.
Den Mindestlohn für Flüchtlinge abzusenken, wäre der falsche Weg und das falsche Signal. Das machen wir nicht mit. Instrumente zur Arbeitsmarktintegration einzusetzen, ist etwas ganz anderes.
Auch die SPD will künftig mehr Polizisten einstellen. Für den Rückgang geben Sie dem CDU-Innenminister die Schuld. Doch Stellenabbau war doch vor allem Herzenssache Ihres SPD-Finanzministers?
Für die Politik der letzten Legislatur ist das Gesamtkabinett verantwortlich. Und dazu gehört ein Ministerpräsident, der eigentlich die Richtlinienkompetenz hat. Und wenn ein Innenminister meint, dass etwas falsch läuft, dann kann er auch mal Nein sagen.
Tragen Sie für die Politik der vergangenen fünf keine Verantwortung?
Natürlich trage auch ich Verantwortung. Wir haben als Parlament ja auch eingegriffen und mehr Neueinstellungen bei Lehrern und Polizisten durchgesetzt, als die Regierung dies zunächst vorhatte. Aber wir können Regierungshandeln während des laufenden Geschäfts auch nicht völlig verändern. Jetzt richten wir den Blick auf die Zukunft und sagen, dass es so mit dem Personalabbau bei Lehrern und Polizisten nicht weitergeht. Wir dürfen uns nicht mit allen bundesdeutschen Flächenländern vergleichen, da im Westen andere Bedingungen herrschen; wir müssen und mit den ostdeutschen Ländern vergleichen.