Behörden verkaufen tausende Grundstücke von unbekannten Eigentümern / Staat bekommt Erlös. Von Oliver Schlicht und Torsten Scheer Auf Suche: Wenn der Besitz keinen Besitzer hat
In Sachsen-Anhalt gibt es mehrere tausend Grundstücke, deren Eigentümer unbekannt sind. Häufig sind das Agrarflächen, in Magdeburg auch Wohngrundstücke.
Magdeburg l Die Rechts- und Liegenschaftsämter in den Landkreisen und in der Stadt Magdeburg sind regelmäßig mit "eigentümerfreien" Grundstücken befasst. Wenn Eigentümer nicht gefunden werden, dürfen die Landkreise und Städte solche Grundstücke verkaufen (Infokasten). Wie eine Anfrage der Volksstimme ergab, passiert dies sehr häufig. Wo genau sich diese Grundstücke oder Immobilien befinden, war nicht zu erfahren. Eine Herausgabe von Adressdaten sei aus Datenschutzgründen nicht möglich, heißt es.
Die Behörden befassen sich mit diesen Grundstücken häufig erst dann, wenn Interessen von Dritten angemeldet werden. Sabine Laue vom zuständigen Amt für Wirtschaftsförderung im Landkreis Börde: "Das sind Kauf- oder Pachtinteressenten. Oder es geht zum Beispiel um Vermessungen für Flurbereinigungsverfahren." Allein der Bördekreis war mit etwa 2600 Fällen von nicht auffindbaren Eigentümern in den vergangenen Jahren befasst. Bei etwa 1000 Grundstücken gab es Kaufinteressenten.
350 Eigentümer konnten im Bördekreis ermittelt werden
"Das waren fast immer landwirtschaftliche Nutzflächen", so Sabine Laue. Nur in etwa 350 Fällen konnte der Bördekreis nach Recherchen Eigentümer oder deren Erben ermitteln. Auch in anderen Landkreisen sind überwiegend Agrarflächen betroffen. Nicht selten sind das kleine Splitterstücke, Randstreifen an Äckern oder Wegestücke.
Die Stadt Magdeburg ist nach Angaben des städtischen Liegenschaftsservices derzeit mit 80 Grundstücken ohne bekannten Eigentümer befasst, 25 davon sind Agrar-Grundstücke. Insgesamt, schätzt die Behörde, seien seit Mitte der 1990er Jahre etwa 180 "eigentümerfreie" Grundstücke bearbeitet worden.
Ein Blick nach Sachsen zeigt, dass solche Verkäufe durchaus Konfliktpotential bergen können. In der Stadt Leipzig sorgen seit Monaten Immobiliengeschäfte der Stadt mit Grundstücken ohne Eigentümer für Schlagzeilen. Der Vorwurf - Leipzig habe unzureichend oder überhaupt nicht nach Alteigentümern gesucht - hat sich inzwischen bestätigt. Bei insgesamt 721 Verkäufen von Grundstücken ohne Eigentümer gab es in 565 Fällen keine Eigentumsrecherchen, so ein unabhängiger Prüfbericht. Nicht einmal behördeninterne Quellen - etwa Steuer- oder Standesämter - wurden abgefragt. Der Verdacht, dass Beamte womöglich heimlich Provisionen kassiert haben, hat sich bislang aber nicht bestätigt.
Wie laufen solche Eigentümer-Recherchen in Magdeburg? Nach Angaben des städtischen Liegenschaftsservices müsse bereits der Kaufinteressent Nachfragen beim Grundbuchamt, beim Nachlassgericht und in der Einwohnermeldestelle nachweisen. "Darüber hinaus folgt eine umfangreiche Recherche der Landeshauptstadt selbst. Dazu gehören die Einsichtnahme der Grundakte und in alte Adressbücher, Anfragen an Nachlassgerichte, Standesämter, Kirchen, Krankenkassen und Befragungen in der Nachbarschaft", schreibt die Behörde. Magdeburg gibt die Höhe der Verkaufserlöse, die auf Treuhandkonten liegen, mit etwa 450000 Euro an.
Auch der Landkreis Stendal nennt auf Nachfrage eine vorsichtige Schätzung. In den vergangenen drei Jahren wurden jährlich etwa 40000 bis 70000 Euro jährlich beim Amtsgericht Stendal hinterlegt. Mit etwa 3000 Grundstücken ohne Eigentümer war der Landkreis seit Mitte der 1990er Jahre befasst. Für etwa 70 Prozent dieser Grundstücke wurden gesetzliche Vertreter bestimmt.
Im Jerichower Land ging es seit der Wende um etwa 850 Grundstücke. Dort wurden für 720 Flächen Vertreterbestellungen beantragt. Überwiegend erfolgt die Vertreterbestellung, wenn der Grundstückserwerb für Straßenbauzwecke oder zum Gewässerschutz oder Deichbau notwendig ist. Es habe im Jerichower Land nur etwa 20 Verkäufe unbebauter Splitterflächen gegeben. In der Regel wird ein gesetzlicher Vertreter bestimmt, weil der nicht zu ermittelnde Grundstückseigentümer als Nachbar von einer Grundstücksvermessung oder Grenzfeststellung betroffen ist. Zum Beispiel, weil ein Flurneuordnungsverfahren läuft oder Landwirte einen neuen Pachtvertrag über die Grundstücke abschließen wollen.
Im Altmarkkreis Salzwedel konnten nach Behördenangaben von 1700 Grundstücken, für die Anträge auf Vertreterbestellungen gestellt wurden, durch Recherchen die Eigentumslage von 1330 Grundstücken geklärt werden. Etwa 460 Grundstücke wurden an das Land Sachsen-Anhalt übertragen - durch die Abwicklung von Bodenreformland. Die Zukunft von etwa 370 Grundstücken - überwiegend Verfahren nach dem Flurbereinigungsgesetz - ist derzeit noch ungeklärt. 25 Grundstücke wurden durch gesetzliche Vertreter im Altmarkkreis Salzwedel verkauft.
Der Harzkreis und der Salzlandkreis machen nur wenige Angaben. Im Landkreis Harz seien "mehrere tausend Grundstücke" seit Mitte der 1990er Jahre betreut worden, heißt es in einer Stellungnahme. Für alle seien gesetzliche Vertreter bestellt worden. Nur fünf bis sieben Prozent der Grundstücke seien verkauft worden. Im Regelfall habe die Vertretung dazu gedient, die Eigentümer oder deren Erben aufzufinden.
Im heutigen Salzlandkreis wurden in der Vergangenheit verschiedene Software-Lösungen in den Altkreisen eingesetzt. Deshalb gebe es über den Zeitraum bis zur Wende keine einheitlichen Angaben, heißt es dort. Gegenwärtig bearbeitet der Salzlandkreis noch etwa 2400 gesetzliche Vertretungen. Für etwa 300 nicht auffindbare Eigentümer liegen aktuell Anträge auf Bestellung von gesetzlichen Vertretern vor.
In Sachsen-Anhalt sind Anfechtungen von Alteigentümern, die sich von solchen Verkäufen hintergangen fühlen, bislang nicht öffentlich bekannt geworden. Holger Neumann, der Landesvorsitzende des privaten Eigentümerverbandes Haus Grund, kann sich nicht erinnern, dass Alteigentümer nachträglich Schadenersatz geltend gemacht hätten, weil ohne deren Wissen eine Stadt oder Kommune ein ihnen gehörendes Grundstück verramscht hätte.
"Ich wüsste das nicht", sagt Neumann, der im Bundesland die Interessen von mehr als 5000 Grundstücks- und Immobilienbesitzern vertritt. Selbst wenn es einen derartigen Fall gegeben hätte: "Wer sich mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht um sein Grundstück gekümmert hat, mit dem hält sich mein Mitleid in Grenzen", bricht er eine Lanze für diejenigen Eigentümer, "die sich über diese Zeit mit ihrem Besitz große Mühen gemacht und viel Geld investiert und oft mit den verwahrlosten Nachbargrundstücken großen Ärger gehabt haben".
"Hier wird keinem etwas weggenommen"
Selbst wenn eine Stadt ein herrenloses Grundstück verkaufe, würde sie dies zum Verkehrswert tun und den Erlös auf einem Sperrkonto hinterlegen und diesen dann dem rechtmäßigen Eigentümer auszahlen: "Hier wird keinem etwas genommen."
Gleichwohl stellt Neumann fest, dass sich die Kommunen in der Vergangenheit, aber auch heute noch in nicht wenigen Fällen schwer tun, die eigentlichen Besitzer von Grundstücken ausfindig zu machen. Zwar seien die Kommunen gehalten, die Alteigentümer allein wegen der von ihnen zu zahlenden Grundsteuern zu ermitteln. Aber, weiß der Experte aus der Praxis, sie tun es oft nicht, weil der personelle und finanzielle Aufwand vielfach nicht im Verhältnis zur vergleichsweise geringeren Einnahme steht. "Also bleibt alles beim Alten."
Ein städtebauliches Problem entstehe dann, wenn sich ein heruntergekommenes Grundstück oder ein leerstehendes Haus zwischen gepflegten Anwesen befände. "Das ist richtiggehend ärgerlich", klagt Neumann. Aber auch diese Medaille habe zwei Seiten, gibt er zu bedenken. Neumann nennt das Beispiel einer Erbengemeinschaft, deren nunmehr in die Jahre gekommenen Erben mit der Verwaltung des Nachlasses vielfach überfordert seien und nicht mehr die Muße und finanzielle Kraft hätten, die für eine Erbengemeinschaft oftmals typischen unterschiedlichen Interessenlagen vom Verkauf bis zum Behalten des Grundbesitzes auszutarieren. Gebe man sich dann noch gegenüber der Stadt als Mitbesitzer einer Immobilie zu erkennen, sei man auf einmal deren Ansprechpartner von der Grundsteuer bis sonstwohin. Neumann: "Den damit verbundenen Stress will sich jemand im hohen Alter nicht mehr antun."