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Ausgrenzung Mobbing verlagert sich in soziale Medien

Laut einer Bertelsmann-Studie fühlt sich jedes dritte Kind in seiner Schule nicht sicher.

Von Alexander Walter 07.03.2019, 00:01

Magdeburg l Der Tod einer Schülerin an der Berliner Hausotter-Grundschule hat das Thema Ende Januar wieder jäh ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt: Hat sich ein erst elfjähriges Mädchen von seinen Mitschülern so sehr ausgegrenzt gefühlt, dass es keinen anderen Ausweg sah, als sich selbst so schwer zu verletzen, dass es kurz darauf starb?

Schnell war das Schlagwort Mobbing in der öffentlichen Diskussion – befeuert auch durch Vorwürfe aus Teilen der Elternschaft. Ein Vater schrieb Tage nach dem Unglück auf seiner Facebook-Seite von Mobbing in der Schule. Medien griffen die Vorwürfe auf. Tatsächlich bleibt bis heute vieles im Dunkeln: Die Schulleitung wies Mobbing-Vorwürfe erst vergangene Woche im Berliner Abgeordnetenhaus zurück. Genaue Erkenntnisse zu den Hintergründen des Todesfalls gibt es auch von Seiten der Staatsanwaltschaft nicht.

Und doch treibt das Thema Mobbing Eltern und Schüler bundesweit offenbar dauerhaft um: Laut einer erst vor einigen Tagen veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung fühlt sich jedes dritte von 3448 befragten Kindern an einer Haupt-, Gesamt- oder Realschule nicht sicher.

Nach einer Pisa-Studie von 2017 wurde an deutschen Schulen gar fast jeder sechste 15-jährige Schüler regelmäßig Opfer von teils massiver körperlicher oder seelischer Misshandlung durch Mitschüler.

In einer Untersuchung der Universität Lüneburg im Auftrag der DAK hatte 2016 sogar fast jeder dritte Schüler angegeben, in letz­ter Zeit min­des­tens ein­mal „fer­tig ge­macht oder schi­ka­niert“ wor­den zu sein.

Carola Wilhayn, Leiterin des Schulpsychologischen Dienstes in Sachsen-Anhalt, zweifelt die Probleme nicht an. Selbst in Studien gehe aber begrifflich mitunter manches durcheinander. „Leider ist der Begriff Mobbing zum Modewort geworden“, sagt die Expertin. Dabei stelle sich vermeintliches Mobbing bei genauem Hinsehen nicht selten als Streit zwischen Schülern heraus. Rangeleien aber gehörten in bestimmtem Ausmaß zur natürlichen Entwicklung von Kindern dazu.

Von Mobbing sprechen Schulpsychologen indes nur, wenn ganz bestimmte Kriterien erfüllt sind: Zwischen Täter und Opfern, muss vor allem Machtungleichheit herrschen. Heißt: Auf der einen Seite stehen einer oder mehrere dominante Schüler, auf der anderen oft ein verletzliches Kind mit schlechter Stellung in der Gruppe. Mobbing besteht zudem über längere Zeit. Oft sind mehrere „Täter“ und Schüler beteiligt, die das Verhalten der Rädelsführer zumindest tolerieren, sagt Expertin Wilhayn. Gerade diese eher passiven Mitläufer aber machen Mobbing so problematisch. Durch ihre stillschweigende Zustimmung verstärken sie die Ausgrenzung Betroffener und damit deren Leidensdruck.

Auch wenn jüngste Vorfälle den Anschein erwecken: Neu ist Mobbing keineswegs. Ob es zunimmt, lässt sich dabei kaum eindeutig klären. Zahlen werden für Sachsen-Anhalt nicht erhoben. Das liegt auch an der schwierigen Abgrenzbarkeit des Phänomens, sagt Bildungsministeriumssprecher Stefan Thurmann. Ausgrenzungsprozesse laufen zudem oft außerhalb des Unterrichts. Das gilt umso mehr, seitdem sich schon Kinder in sozialen Medien vernetzen. Durch das Internet entzieht sich Mobbing zunehmend dem Zugriff Erwachsener, sagt auch Schulpsychologin Wilhayn.

Warnzeichen gibt es dennoch: Bei Verhaltensänderungen jeder Art sollten Lehrer und Eltern aufmerksam werden. „Schüler werden vielleicht stiller, ziehen sich zurück oder sind plötzlich launisch und aggressiv.“ Nicht immer muss Mobbing hinter solchen Auffälligkeiten stehen. Das können ebenso Leistungsprobleme, Liebeskummer oder Konflikte in der Familie sein. In jedem Fall sollten Erwachsene in solchen Fällen das Gespräch mit den Kindern suchen, sagt Carola Wilhayn.

In allen Schulen des Landes gibt es schon jetzt sogenannte Krisenteams, die sich auch um Mobbing kümmern. Der Schulpsychologische Dienst bildet Lehrer, die diese Aufgaben wahrnehmen, regelmäßig fort. In vielen Schulen stärken zudem Schulsozialarbeiter etwa mit dem Trainig sozialer Kompetenzen das Selbstbewusstsein Heranwachsender.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Trotz aller Maßnahmen gelingt es bislang nicht immer, jeden Schüler in seinen Nöten zu erkennen. Die Conrad-Tack-Berufsschule Burg schaut spätestens seit vergangenem Sommer noch genauer hin. Anlass war auch hier der tragische Tod eines Schülers. Ein 19-Jähriger hatte sich im Juni in der vierten Etage eines Schulgebäudes aus dem Fenster gestürzt.

Auch in Burg stand über Wochen Mobbing-Verdacht im Raum. Belege dafür fanden bis heute weder Bildungsministerium noch die ermittelnde Polizei. Trotzdem geriet die Schule wie die Berliner Hausotter-Grundschule für Wochen national in die Schlagzeilen. Grund war auch die Intervention des Mobbing-Coaches Carsten Stahl. Nach Schüler-Hinweisen auf Probleme bot er der Schule ein Anti-Mobbing-Seminar an und machte den Fall im Privatfernsehen bekannt.

Die Schulleitung entschied sich auch auf Rat des Schulpsychologischen Dienstes damals gegen das Seminar. Kritikern gelten Stahls Methoden als zu konfrontativ und nicht nachhaltig genug. In Burg waren stattdessen über Wochen Schulpsychologen vor Ort. Seither hat sich an der 1400 Schüler zählenden Einrichtung vieles verändert, sagt Leiter Marco Dominé. „Als eine von wenigen Berufsschulen im Land haben wir jetzt drei Vertrauenslehrer.“

Zum Schuljahresanfang gingen diese mit der Leitung durch alle 76 Klassen. „Wir wollten den Schülern zeigen, dass wir Ansprechpartner für alle ihre Probleme sind.“

Es ist nur ein Teil einer ganzen Palette von Maßnahmen: Mit Treppenlauf und Volleyballturnieren stärkt die Schule das Gemeinschaftsgefühl. Schauspielgruppen haben Stücke zu Mobbing aufgeführt, um das Problembewusstsein zu schärfen. Der Schülerrat will sich um den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ bewerben. Lehrer wurden gerade erst zum Thema Cybermobbing fortgebildet.

Handlungsbedarf beim Mobbing im Internet hat auch das Land erkannt. Voraussichtlich zum Herbst will die Techniker-Krankenkasse (TK) mit dem Bildungsministerium daher das gemeinsame Programm „Mobbingfreie Schule“ neu ausrichten. Nachdem die Kasse ab 2011 bereits mehr als 500 Anti-Mobbing-Koffer an Schulen verteilt hatte, soll das Projekt nun um Angebote zum Cybermobbing ergänzt werden, sagte TK-Sprecherin Elke Proffen. Schon jetzt setzt das Land daneben auf ein im Sommer an die Schulen herausgegebenes 160 Seiten starkes Präventionskonzept. Enthalten: Maßnahmen zur Schaffung eines positiven Schulklimas sowie zur Intervention bei Konflikten. Nicht zuletzt sei ein Anti-Mobbing-Tag mit Schüleraktionen im Gespräch, sagte Ministeriumssprecher Stefan Thurmann. In Schleswig-Holstein gibt es einen solchen Tag seit neun Jahren.

Am Ende geht es allerdings auch nicht ohne die Betroffenen selbst. „Sie sollten sich mit ihren Problemen an Personen in der Schule wenden, denen sie vertrauen“, sagt Schulpsychologin Wilhayn. Das können Klassenlehrer, Schulsozialarbeiter oder auch der Schulleiter sein.