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Integration bei der Polizei Ausländische Kommissare gesucht

Sachsen-Anhalt wirbt seit zwei Jahren um Menschen mit ausländischen Wurzeln für den Polizeidienst.

23.07.2015, 05:02

Aschersleben l Der 23-jährige Felix Chu Tan rückt seine Schutzweste zurecht und packt das Polizeifahrzeug für den kommenden Einsatz. Er ist Polizeikommissar im Revier Bernburg im Salzlandkreis und fährt mit seinen Kollegen Streife. Chu Tan gilt als Exot: Zum einen, weil er Sachsen-Anhalts einziger Polizist mit vietnamesischen Wurzeln ist und zum anderen geht er einem nicht alltäglichen Hobby nach. Er trainiert Vo Dao, eine Art Kung Fu aus Vietnam und präsentiert dies auch bei Schulfesten und ähnlichen Auftritten der Polizei. Letztmalig durchschlug er mit seinem Arm in 30 Sekunden 100 Gasbetonplatten. In der Sendung Galileo des Fernsehsenders ProSieben stellte der Beamte auch schon einen Rekord auf. Er hüpfte 60 Sekunden lang im Sitzen über ein Seil.

Doch wozu braucht man so etwas im Polizeialltag? "Konzentration und viel Disziplin gehören zu Vo Dao. Vor allem, wenn es doch mal hitziger wird bei einem Einsatz", sagt Chu Tan.

Sein Vater ist der der 53-jährige Chu Tan Cuong, der als Großmeister 20 Kampfkunstschulen in Deutschland führt. Er kam in den 80er Jahren aus Vietnam zum Jura-Studium nach Halle und heiratete eine Hallenserin, die Mutter des heute 23-Jährigen. Felix Chu Tan wuchs zwar nicht zweisprachig auf, versteht aber Vietnamesisch sehr gut. "Naja, sagen wir mal zu 90 Prozent", meint er.

"Ich sehe mehr Vor- als Nachteile, wenn Polizisten Wurzeln im Ausland haben", sagt Chu Tan.

Er nennt ein Beispiel: Der Polizist und seine Kollegen sind Anfang des Jahres zu einer Auseinandersetzung zwischen mehreren Ausländern an einer Diskothek in Aschersleben gerufen worden. Die jungen Männer greifen die Beamten sofort verbal an. Doch als Chu Tan mit dem Rädelsführer spricht, sagt dieser: "Eh, du bist kein Deutscher. Ich rede jetzt nur mit dir." Am Ende beruhigte sich die Lage wieder und nur seine Anwesenheit habe schon deeskalierend gewirkt.

Diesen Effekt sieht auch Wolfgang Ladebeck von der Deutschen Polizeigewerkschaft: "Wenn Einsatzbeamte ihre Wurzeln im Ausland haben, kann das sehr positiv und im Ernstfall deeskalierend wirken." Deshalb könnten nach seiner Meinung auch noch viel mehr Zuwanderer im Polizeidienst eingestellt werden. Zumal Sachsen-Anhalts Beamte ohnehin Nachholbedarf in diesem Bereich haben. Eine im vergangenen Jahr vorgestellte Studie des Innenministerium attestierte der Polizei in Sachsen-Anhalt ein vernichtendes Urteil: Ihr fehlt die Sensibilität gegenüber Ausländern. Außerdem zeigen sich viele Beamte wegen der kulturellen Unterschiede und Sprachbarrieren überfordert.

Das soll nun langfristig anders werden. Innenministeriumssprecher Stefan Brodtrück: "Die Landespolizei sieht junge Menschen mit Migrationshintergrund als eine potenzielle Bewerbergruppe, die auch aktiv von uns beworben wird."

Auf der Internetseite oder bei Ausschreibungen durch Anzeigen in der Tagespresse werde darauf hingewiesen, dass auch junge Menschen mit Migrationshintergrund ohne deutsche Staatangehörigkeit gesucht werden. EU-Bürger und junge Menschen mit einer gültigen Niederlassungserlaubnis sind willkommen. Martin Zimmermann von der Fachhochschule der Polizei in Aschersleben sieht bereits einen Fortschritt: "Wir haben schon ordentlich nachgelegt." Insgesamt befinden sich in Aschersleben bereits zehn Schüler mit Migrationshintergrund. Die neue Generation von Polizisten hat Wurzeln in Griechenland, Afghanistan, Russland, Kasachstan, Polen und Aserbaidschan.

Die 21-jährige Griechin Ioanna Emmanouilidou hat sich ganz bewusst für den Polizeidienst in Sachsen-Anhalt entschieden. Weil die Bundestrainerin für Frauen im Speerwurf in Halle ist, wollte sich die junge Sportlerin möglichst im Süden des Landes niederlassen. Doch vom Sport ist inzwischen nur noch wenig in ihrem Alltag übrig geblieben. Jetzt konzentriert sie sich nur noch auf die Polizeilaufbahn.

Seit September 2013 trägt die im nordgriechischen Drama geborene junge Frau eine Uniform und will im März nächsten Jahres ihre Ausbildung abschließen. "Meine Eltern wanderten nach Baden aus, als ich zehn Monate alt war", erzählt die Polizeischülerin. Sie wuchs zweisprachig auf, konnte aber ihr Griechisch im Dienst noch nicht anwenden. "Ich habe im Dienst noch keinen getroffen, mit dem ich mich so unterhalten konnte", sagt sie. Ioanna Emmanouilidou habe noch keine Anfeindungen oder Ähnliches auf der Straße hinnehmen müssen. "Nur mein Name gibt gelegentlich Anlass zu Lästereien. Meine Kollegen sagen manchmal, dass ist die mit dem Alphabet auf dem Namensschild", erzählt Emmanouilidou. Aber dies nehme sie mit Humor. Ohnehin sei es so, dass sie in Deutschland die Griechin ist und in Griechenland die Deutsche. Aus diesem Grund könne sie mit beiden Staatsbürgerschaften sehr gut leben.

Der 24-jährige Denys Baskov ist gebürtiger Ukrainer und zweisprachig mit der russischen Sprache aufgewachsen in Halle. Als Kind ukrainisch-russischer Eltern wohnt der junge Mann seit 18 Jahren in Deutschland und will Polizeikommissar werden.

"Das war schon immer mein Traum. Mein Vater war schon Schutzpolizist in Russland", sagt er. Während seine Mutter nach Deutschland auswanderte, blieb sein Vater in der Heimat.

Sein Praktikum in der Polizeiausbildung wird Baskov in Wernigerode absolvieren. Zuvor war er im Revierkommissariat Halle-Neustadt. "Angesprochen auf meine ukrainischen Wurzeln hat mich noch niemand. Man sieht es mir ja auch nicht unbedingt an, wo ich herkomme", sagt Baskov. Doch seine Muttersprache hilft ihm durchaus im Alltag. Bei einem Einsatz kam ihm ein offensichtlich stark angetrunkener Mann entgegen, der etwas auf Russisch lallte. Die Worte waren hochaggressiv und signalisierten ihm einen bevorstehenden Angriff. "Dadurch konnten wir rechtzeitig reagieren, so dass niemanden etwas passierte", sagt er.

In einem anderen Fall helfen die Sprachkenntnisse, Vertrauen zur deutschen Polizei aufzubauen. Baskov: "Die russisch sprechenden Lkw-Fahrer sind oft froh, wenn sie merken, dass sie sich nicht Händen und Füßen verständigen müssen."

Inzwischen ist der zweisprachig aufgewachsene Polizeianwärter auch unter seinen Kollegen gefragt: "Ich bin auch schon bei Verständigungsschwierigkeiten als Übersetzer angefordert worden."