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Spielzeug Besser knuddeln in Bad Kösen

80000 Kuscheltiere verlassen pro Jahr die Bad Kösener Spielzeugmanufaktur. Doch die asiatische Konkurrenz ist hart.

25.01.2016, 23:01

Bad Kösen l Das Hotel Mutiger Ritter in Bad Kösen ist ein Haus mit Tradition. In dem prunkvollen blauen Salon sind einst rauschende Feste gefeiert worden. Berühmtheiten wie der Schriftsteller Theodor Fontane und der Komponist Franz Liszt sind in den vergangenen Jahrhunderten zu Gast gewesen. Doch den Glanz der früheren Jahre hat das Haus inzwischen verloren. Heute rattern in dem Ballsaal Nähmaschinen. Seit mehr als zwei Jahren werden die Plüschtiere der Kösener Spielzeugmanufaktur in dem alten Gemäuer hergestellt. Affe, Löwe, Tiger und Co. bevölkern die Räume. Der blaue Salon als Kinderstube der Kuscheltiere.

Etwa 80 000 Tiere verlassen pro Jahr die Werkstatt im südlichen Sachsen-Anhalt. Die Plüschware entsteht in liebevoller Handarbeit. 39 Mitarbeiter hat die Manufaktur. Etwa 200 Tiere nähen die Arbeiter pro Tag. Einige Modelle entstehen aus mehr als 100 Einzelteilen. Der große Grizzlybär Romeo ist das Prunkstück aus Bad Kösen. 70 Zentimeter hoch, preislich ein echtes Schwergewicht. Im Fachgeschäft müssen Kunden rund 300 Euro ausgeben, um den knuddeligen Bären mit nach Hause nehmen zu dürfen. Geld, das immer weniger Leute ausgeben wollen – nur für ein Kuscheltier.

„Die Gesellschaft hat sich verändert. Früher zählten unsere Kuscheltiere zum Kunsthandwerk, heute werden sie nicht mehr geachtet“, sagt Helmut Schache, der die Kösener Spielzeugmanufaktur 1992 gegründet hat. Der hagere Mann hat mit seinem Unternehmen bessere Zeiten erlebt. „Es geht uns nicht gut“, sagt Schache.

Seit einem Jahr gilt der Mindestlohn. Die Lohnuntergrenze hat die Manufaktur in Bad Kösen hart getroffen. Näherinnen, die vorher 5,50 bis 7,50 Euro in der Stunde verdient haben, bekommen nun 8,50 Euro stündlich. „Unsere Konkurrenz sitzt in China und produziert mit Arbeitern, die 25 Cent in der Stunde verdienen. Daran hat die Politik nicht gedacht“, sagt Schache.

Die Hersteller aus Asien fluten seit Jahren die Märkte mit billigen Kuscheltieren. „Geiz ist geil hat sich durchgesetzt“, beklagt Schache. Seine handgefertigte, aber hochpreisige Plüschware bleibt im Fachgeschäft zurück. Den Weg in die Kinderzimmer findet die günstig produzierte Massenware aus China. Schache, 70 Jahre alt, macht das traurig. Obwohl er die Geschäftsführung vor mehreren Jahren an seine Tochter Constanze abgegeben hat, ist die Kösener Spielzeugmanufaktur sein Leben. Denn ohne ihn wären die Kuscheltiere in Bad Kösen längst ausgestorben.

Nach der Wende steht die Fabrik, in der einst der Großteil der Plüschtiere in der DDR hergestellt wurde, vor dem Aus. Zwei Jahre lang hatten die Mitarbeiter zwar für Steiff Auftragsarbeiten erledigt, doch der Konkurrent aus Baden-Württemberg entscheidet sich gegen einen Kauf der Kösener Produktion und baut lieber ein neues Werk in Tunesien.

Helmut Schache ist von Haus aus Landmaschineningenieur. Bis zur Wende restauriert er als Bauunternehmer Kirchtürme, auch den in Bad Kösen. Nach dem Mauerfall wird Schache Bürgermeister. Bad Kösen ohne Spielzeugmanufaktur ist für ihn undenkbar. „Es gab Interessenten für das Gebäude, nicht aber für einen Fortbestand des Unternehmens“, erklärt Schache. Dann hat er es einfach selbst gemacht. Mit seiner Frau kauft er den Betrieb.

Schache ist ein Retter. Erst die Kirchtürme, dann die Spielzeugmanufaktur. Mit unternehmerischem Geschick führt er die Bad Kösener Plüschtiere aus der Krise, setzt auf Handarbeit, Qualität und erinnert sich an die Tradition. Vor den Plüschtieren waren es Puppen, die Bad Kösen berühmt gemacht haben. Käthe Kruse legt im Jahr 1912 den Grundstein für ihre Puppenmanufaktur. Die junge Mutter fertigt Puppen, die ihren eigenen Kindern nachempfunden sind. Die Natürlichkeit der Geschöpfe macht Kruse bekannt. Die Machart – weich, biegsam und lebensecht – unterscheidet sich von den bisher dagewesenen.

Mehr als 100 Jahre später entstehen in der Kösener Spielzeugmanufaktur keine Puppen mehr, nur noch Kuscheltiere. 1,7 Millionen Euro Umsatz macht das Unternehmen im Jahr. 2,4 Millionen waren es noch vor einigen Jahren. Der Betrieb muss sparen, aber nicht auf Kosten der Qualität, beschwichtigt Helmut Schache. Unter anderem ein Hausmeister ist nun ohne Job. „Mehr als 40 Prozent unserer Ausgaben sind Lohnkosten“, erklärt er.

15 bis 20 neue Tiere bringt die Kösener Spielzeugmanufaktur jedes Jahr auf den Markt. 2016 will das Unternehmen unter anderem mit Schnabeltier, Glatthaardackel, Wildkatze und Kaiserpinguin den Nerv der Kunden treffen. Präsentiert werden die Neuheiten auf der Nürnberger Spielwarenmesse. Die weltgrößte Leistungsschau der Branche findet vom 27. Januar bis 1. Februar statt (siehe Infokasten). Vor allem nach ausländischen Händlern hält Schache in diesem Jahr Ausschau. In 25 Länder werden die Plüschtiere bereits verkauft.

Der Retter Helmut Schache hat auch das Hotel Mutiger Ritter vor dem Untergang bewahrt. Vor einigen Jahren kaufte er das Gebäude und zog mit seiner Manufaktur ein. Ein Teil wird nach wie vor als Hotel genutzt. Für Fans der Spielwaren aus Bad Kösen bietet Schache Besonderes: Kuscheltage in der Plüschtierwelt.