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Brockentour Schönwetter trotz Krisenstimmung

Für Regierungschef Stephan Weil und Ministerpräsident Reiner Haseloff sind Politikthemen bei einer Wanderung zum Brocken weit weg.

Von Massimo Rogacki 05.06.2019, 01:01

Torfhaus/Brocken l Selbst ein Rekordwanderer lernt nie aus. 8759 Mal ist Brocken-Benno bereits den höchsten Berg in Norddeutschland nach oben gelaufen. Mit den früheren sachsen-anhaltischen Ministerpräsidenten Reinhard Höppner und Wolfgang Böhmer. Sogar gemeinsam mit Edmund Stoiber hat der 87-Jährige den Brocken erklommen. Die 8760. Besteigung gestern ist Neuland. Gleich zwei Ministerpräsidenten sind am Start. Reiner Haseloff (CDU) aus Sachsen-Anhalt und der niedersächsische Landeschef Stephan Weil (SPD).

Im November jährt sich die Öffnung der innerdeutschen Grenze zum 30. Mal. Für eine gemeinsame Brockenwanderung könnte es da freilich etwas zu frostig sein. Deshalb setzen sich Politiker, ein Tross aus Freizeit-Wanderern und Journalisten gestern pünktlich kurz vor zehn Uhr an einem warmen Sommertag in Torfhaus (Landkreis Goslar) in Bewegung. Die Regierungschefs wollen den 1141 Meter hohen Berg auf dem Goetheweg erklimmen. Neun Kilometer ist die Route lang. Höhendifferenz: 390 Meter.

Stephan Weil ist perfekt ausgerüstet. Wanderhose-, schuhe, -rucksack, auf dem Kopf eine Schiebermütze. Kollege Haseloff muss auf die komfortable Funktionskleidung verzichten. Mit schwarzer Jeans, Hemd und immerhin bequemen Schuhen macht er sich auf den Weg. „Später warten noch Termine, da muss es dann schnell gehen“, sagt er. Was beide neben vielen gemeinsamen Projekten vereint: Die Lust am Wandern. Weil ist regelmäßig in Wanderkluft unterwegs, auch auf dem Brocken war er schon, Haseloff ist erst im vergangenen Jahr den Jakobsweg gelaufen. Beim höchsten Berg im Harz hat er einen Vorteil gegenüber dem Kollegen. „Die heutige Route kenne ich allerdings noch nicht“, sagt er. Und noch etwas vereint die Landeschefs. Sie möchten, wie Weil betont, den Kopf frei bekommen und mal nicht ausschließlich ans politische Tagesgeschäft denken.

Vielleicht auch deshalb gibt es nur karge Auskünfte zum Zustand und zur zukünftigen Führung der SPD und zum Fortbestand der GroKo in Berlin. Auch Weil war als möglicher Nachfolger der zurückgetretenen SPD-Chefin Andrea Nahles ins Gespräch gebracht worden. Doch davon will der 60-Jährige auf dem Weg zum Brocken nichts wissen. „Ich konzentriere mich auf Niedersachsen“, sagt Weil. Kollege Haseloff nickt. Sachsen-Anhalts Kenia-Koalition ist ebenso im Krisenmodus. Die Grünen drängen auf eine Einigung zur neuen Schutzkategorie für das Grüne Band und machen die zur Bedingung für die Fortführung des Regierungsbündnisses. Haseloff gibt sich entspannt: „Wir wollen doch alle das gleiche und ich mache mir keine Sorgen, dass wir dieses Ziel erreichen werden“, sagt er. Nichtsdestotrotz: Eine Dreier-Konstellation wie bei Kenia sei immer schwierig. Funktionieren könne die nur, wenn man sich auf die Grundsätze des Koalitionsvertrages einige.

Unverzagt geht es trotz alledem weiter Richtung Brocken. Rechts und links viele abgestorbene Bäume. Der Borkenkäfer. Andreas Pusch, Leiter des Nationalparks Harz: „Schön sehen die Bäume nicht aus, aber die Artenvielfalt nimmt dadurch auch zu“. Kurzer Stopp am Torfhaus-Moor. „Die Moore hier sind gut erhalten, weil es viel regnet“, so Pusch. Die Wander-Gruppe schlängelt sich dort auf einem Bohlensteg an einer Gruppe von Gymnasiasten auf Klassenfahrt vorbei. „Wer sind die denn? „Weiß nicht“, antwortet einer der Schüler. Danach Halt am Quietscheberg.

Pusch spricht über den Bluthalsschnellkäfer und den Wendehals. Gelächter aus der politisch kundigen Wandergruppe. „Diese Tiere können sich dort halten, wo das Totholzangebot da ist und wo der Wald sich selbst überlassen wird“, fährt Pusch fort.

Weiter oben warten Schüler des Internats Grovesmühle aus Veckenstedt. Am Internat lernen niedersächsische und sachsen-anhaltische Schüler gemeinsam. Sie haben eine Präsentation zur Grenzgeschichte vorbereitet und erinnern mit kurzen Vorträgen unter anderem an die spannenden Tage nach der Grenzöffnung. „Das war sehr eindrucksvoll, wie ihr das dargestellt habt“, sagt Haseloff. „Brocken-Benno war ja dabei, ihr nicht.“ Weiter geht‘s mit strammem Schritt.

Die Ministerpräsidenten harmonieren, unterhalten sich über lockere Themen. Die Wanderung soll die Verbundenheit beider Länder unterstreichen. An der gemeinsamen Grenze seien viele menschliche Kontakte entstanden, sagt Weil. Haseloff ist froh, dass von der einstigen Grenze im Harz nichts mehr zu sehen ist.

Dann bekommt ein hungriger MP Haseloff erstmal ein Brot mit Schmelzkäse gereicht. Kurz danach erinnert ihn Protokollchefin Petra Penning daran, dass der Sonnenschutz dringend nachgebessert werden sollte. Lichtschutzfaktor 30 ins Ministerpräsidenten-Gesicht.

Im Anschluss erklären an der nächsten Station Fünft- und Sechstklässler des Internatsgymnasiums Bad Harzburg alles über den Luchs, der nach einem Auswilderungsprojekt im Harz wieder heimisch ist. Beide Landeschefs bekommen Gipsabdrücke mit Pfotenabdrücken in die Hand und sollen sie einem Tier zuordnen. Luchs oder Wolf? „Das ist leicht. Ich habe den Wolf“, sagt Stephan Weil.

Auf dem Kolonnenweg wird es dann immer steiler. Die Politiker halten sich gut. Auch Brocken-Benno hat sich neben den beiden auf das für ihn moderate Tempo eingegroovt. Weil hat den Kopf nach eigenem Bekunden schon freibekommen. „Diese Wanderung kann man vielen anderen nur empfehlen, um auch mal Weitblick zu bekommen“, rät er vielsagend. Die Brockenspitze ist gleich erreicht. Weil freut sich auf den „norddeutschen Mount Everest“. Reiner Haseloff findet, die Strecke sei genau richtig dosiert gewesen.

Politiker und Gefolge stapfen jetzt schon über die in die Erde eingelassenen Metalltafeln um den Brockenstein. Dort ist wieder Fotografieren angesagt. Der Brockenwirt wartet derweil mit Erbsensuppe. Dazu genießt man ein alkoholfreies Weizen. Stephan Weil lässt sich unterdessen Brocken-Bennos Buch signieren. Kurz darauf tutet dann auch schon die Harzer Schmalspurbahn. Die Fahrkarte kauft Ministerpräsident Haseloff höchstpersönlich. Dann runter nach Schierke, wo die Limousinen der Politiker warten.

Spätestens am Mittwoch (5. Juni) stehen die drängenden politischen Aufgaben wieder auf der Agenda. Die Spitzen von CDU, SPD und Grünen in Sachsen-Anhalt treffen sich, um sich über die bis zuletzt strittigen Themen auszutauschen. Die wohltuende Sommerfrische auf dem Brocken könnte dann ganz schnell wieder passé sein.