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BundeswehrElitekämpfer ohne Heldenstatus

KSK, das Elite-Kommando der Bundeswehr, trainiert regelmäßig in Sachsen-Anhalt. Das Porträt einer ungewöhnlichen Truppe.

Von Michael Fischer 15.08.2017, 23:01

Magdeburg (dpa) l Der Angriff erfolgt am helllichten Tag mitten in einem Wohngebiet in Magdeburg. Ein Dutzend schwer bewaffnete Soldaten taucht aus dem Gestrüpp vor einem zweistöckigen Bürogebäude aus DDR-Zeiten auf. Es steht seit Jahren leer. „Achtung, ich schieße“, ruft einer. Eine Stahltür wird aufgesprengt, das Gebäude gestürmt. Zehn Minuten sind im Inneren Feuersalven und Explosionen zu hören. Dann herrscht Stille.

Was hier passiert, ist weder eine reale Militäroperation, noch handelt es sich um die Dreharbeiten für einen Kriegsfilm. Es ist das Training der wohl härtesten Einheit der Bundeswehr: KSK. Die drei Buchstaben stehen für das vor 20 Jahren gegründete Kommando Spezialkräfte, um das sich reichlich Mythen und Legenden ranken.

Die Kommandosoldaten gelten als die Besten der Besten. Keine andere Einheit ist so kampferprobt und so hervorragend ausgerüstet wie das KSK. Die Elitetruppe könnte eigentlich ein Aushängeschild der Bundeswehr sein. Sie darf es aber nicht, weil ihre Operationen strengster Geheimhaltung unterliegen.

Nur Insider wissen, was das KSK genau macht. Früher ging die Geheimhaltung so weit, dass man nicht einmal die eigenen Einsatzerfahrungen nutzen konnte. Das alles bietet Raum für Spekulationen und Gerüchte. Die waren dem Image der Truppe nicht immer zuträglich. Deswegen öffnet man sich nun etwas und lässt Journalisten als Beobachter bei Übungen zu.

In Magdeburg wird das trainiert, was als Ursprungsaufgabe des KSK gilt: die Rettung deutscher Geiseln aus Krisengebieten. Im Übungsszenario ist die Landesmetropole eine Stadt in Tschetschenien. Zwei Deutsche sind von islamistischen Terroristen verschleppt worden. Die Entführer haben ein Ultimatum gestellt: Wenn ihre Forderungen bis 15 Uhr nicht erfüllt sind, werden die Geiseln „abgeschlachtet“, drohen sie. Der Krisenstab des Auswärtigen Amts in Berlin entscheidet sich für eine „robuste Lösung“. Im Klartext: Geiselbefreiung mit Gewalt.

Genau dafür ist das KSK am 21. September 1996 gegründet worden. Auslöser waren schlechte Erfahrungen während des Völkermords in Ruanda. 1994 waren elf Deutsche in der Hauptstadt Kigali eingeschlossen worden. Sie wurden von belgischen Soldaten befreit und außer Landes gebracht. Damit sich das nicht wiederholt, ordnete der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe die Gründung des KSK an. „Die Fähigkeit, im Notfall eigene Staatsbürger im Ausland aus Gefahr für Leib und Leben retten zu können, gehört zur grundlegenden Verantwortung eines jeden Staates“, sagte er zur Begründung.

Diesem Hauptauftrag konnte die Truppe seitdem allerdings nicht nachkommen. Die Elitekämpfer haben in den vergangenen 20 Jahren Kriegsverbrecher auf dem Balkan festgenommen und Aufständische in Afghanistan bekämpft. Aber wenn Deutsche im Ausland verschleppt wurden, hat noch niemand das KSK gerufen.

Nur wenige Tage vor der Übung in Magdeburg war ein 70-jähriger Deutscher von der Terrorgruppe Abu Sayyaf auf den Philippinen enthauptet worden – nach monatelanger Geiselhaft. Es kann viele politische Gründe geben, dass das KSK in solchen Fällen nicht ausrückt. Für die Soldaten ist es aber oft bitter.

Für sie sei die Geiselbefreiung weiter die Kernaufgabe, sagt Ausbilder Jens. „Koste es, was es wolle. Wir holen dich da raus. Diese Passion tragen die Leute in sich.“ Der Name Jens ist frei erfunden. Kommandosoldaten nennen keine Namen, auch keine Vornamen. Jens ist 37 und seit zehn Jahren beim KSK. Wir treffen ihn in der Ruine eines alten Kasernengebäudes auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow in Sachsen-Anhalt. Um ihn herum liegen Rucksäcke, Scharfschützengewehre, Nachtsichtbrillen, Gefechtshelme – was man so alles in Spezialoperationen mitnimmt. Feldbetten ohne Matratzen stehen herum, an der Wand hängt eine Deutschlandfahne.

Weil eine Kamera läuft, trägt Jens eine olivfarbene Sturmhaube während des Interviews. Nur die Augen sind zu sehen. Mehr geht nicht. Die Nase wäre schon zu viel, dann könnte man ihn per biometrischer Gesichtserkennung identifizieren.

Jens wollte eigentlich Leistungssportler werden, hat studiert und landete schließlich bei der Bundeswehr. Mit 37 gehört er heute zu den Ältesten in der Truppe, wirkt aber immer noch fitter als einige seiner zehn Jahre jüngeren Kameraden. „Zehnkämpfer der Bundeswehr“ – das ist einer der Vergleiche, mit denen die KSK-Soldaten beschrieben werden. Wer dazu gehört, hat die sogenannte Höllenwoche überstanden, den brutalsten Teil des Auswahlverfahrens. Weniger als zwei von zehn Bewerbern kommen durch.

Schon der gemeinsame Leidensweg der Ausbildung schweißt die Soldaten zusammen. Später kommen lebensgefährliche Einsätze hinzu. Da müssen sich die Kommandosoldaten aufeinander verlassen können: „So eine Kameradschaft findet man sonst nicht“, sagt Jens durch seine Sturmhaube.

Das KSK geriet in seiner Geschichte mehrfach ins Zwielicht. 2006 warf der von den USA viele Jahre in Guantanamo festgehaltene Deutsch-Türke Murat Kurnaz KSK-Soldaten vor, ihn im afghanischen Kandahar misshandelt zu haben. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss brachte keine eindeutige Klärung. Wenige Jahre später ging es um das von einem Bundeswehroberst befohlene Bombardement zweier Tanklaster in der afghanischen Provinz Kundus, bei dem 2009 etwa 100 Menschen starben.

Was die KSK-Soldaten in Afghanistan gemacht haben und noch tun, ist nur in Bruchstücken an die Öffentlichkeit gelangt. Auch der Bundestag erfährt nur von abgeschlossenen Operationen. Die Obleute der Fraktionen in den Fachausschüssen werden regelmäßig darüber unterrichtet, dürfen die Informationen aber nur an ihre Fraktionschefs weitergeben.

Zurück in Magdeburg. Der Sturm auf das Bürogebäude hat nicht zum Ziel geführt. Die Terroristen sind zwar ausgeschaltet. Die Geisel wurde vor dem Angriff aber in ein Nachbargebäude verschleppt und mit einem Sprengsatz in einem Keller angekettet. Erst im zweiten Anlauf gelingt die Befreiung.

Als die Geisel das Kellerverlies verlässt, steht oben an der Treppe ein Offizier aus der Stadt Calw. Dort liegt der Haupt­standort. Der Offizier ist eigens aus Baden-Württemberg für den Abschluss der Übung angereist. Er nennt sich Torsten und ist zufrieden mit dem, was er gesehen hat. Aber es gibt auch etwas, das ihn stört: „Wir bräuchten eigentlich einen solchen Einsatz, um zu zeigen, was wir draufhaben. Uns fehlt unser Mogadischu.“

Im somalischen Mogadischu hat das KSK-Gegenstück der Bundespolizei 1977 Heldenstatus erlangt. Die Grenzschutzgruppe 9, besser bekannt als GSG 9, befreite damals fünf Jahre nach ihrer Gründung die Passagiere des Lufthansaflugzeugs „Landshut“ aus den Händen palästinensischer Terroristen.

Das KSK hat dagegen bis heute keine Vorzeige-Mission. Für die Soldaten mit den wohl gefährlichsten Jobs, die es im Dienste der Bundesrepublik gibt, birgt das eine gewisse Tragik. Die Anerkennung für Einsätze bleibt ebenso im Verborgenen wie die Aktionen der Truppe selbst.

Ausbilder Jens in Altengrabow zweifelt trotz Gefahren und privaten Entbehrungen nicht, dass er den richtigen Beruf gewählt hat. Das KSK sei für ihn so etwas wie eine Familie, sagt er. „Das Ding ist alternativlos. Das ist das, wo ich sage: Punkt, Ziel, Mitte.“