Wernigeröderin kämpft seit Monaten um das Dokument - Ausbildungsbetrieb bietet Hilfe an / Handwerkskammer verweist auf Rechtslage Bürokratie-Posse: Kein Gesellenbrief trotz bestandener Prüfung
Wernigerode/Magdeburg l Sandra Conrad ist das, was man ein "taffes Mädchen" nennt. Freundlich, selbstbewusst, und wenn sie etwas als ungerecht empfindet, dann ist sie auch hartnäckig. So wie bei ihrem Gesellenbrief, um den die Wernigeröderin inzwischen seit neun Monaten kämpft.
Die 20-Jährige hat mit Erfolg die Gesellenprüfung vor der Prüfungskommission der Wernigeröder Maler- und Lackierinnung bestanden. Und kurz darauf eine Stelle als Lackiererin in einem Ilsenburger Fahrzeugbau-Unternehmen gefunden. Eine Erfolgsgeschichte, mag man meinen, zumal das Lernen und Sandra Conrad anfangs nie so ganz dicke Freunde waren.
Als sogenannte Lernbehinderte hat sie drei Jahre lang die Ausbildung als "Bauten- und Objektbeschichterin" gemeistert. Mit solchem Erfolg, dass sie unmittelbar im Anschluss daran, ein viertes Jahr im Wernigeröder Teutloff-Sozialwerk die Berufsschulbank drückte, um sich zur Malerin und Lackiererin ausbilden zu lassen. Ihr Gesellenzeugnis weist nur Zweien und Dreien auf, sogar ein sehr gut, und auch in ihrem Job fühlt sie sich wohl.
Weshalb aber verwehrt ihr die Handwerkerschaft den Gesellenbrief? Sie habe gemeinsam mit Gesellen aus Handwerksbetrieben dieselbe Prüfung abgelegt, und noch kurz danach sei gesagt worden, dieses Dokument werde ihr von der Handwerkskammer Magdeburg zugesandt, berichtet Sandra Conrad.
Nach Wochen des vergeblichen Wartens und mehreren telefonischen Nachfragen hieß es jedoch, dafür sei die Malerinnung der Wernigeröder Kreishandwerkerschaft zuständig - und diese erteilte der Malergesellin eine Abfuhr. Ihr stehe ein Zeugnis zu, das habe sie erhalten. Der schmucke Gesellenbrief bleibe jedoch exklusiv jenen vorbehalten, die sich in einem Handwerksbetrieb haben ausbilden lassen. Nicht nur die 20-Jährige empfindet dieses Vorgehen als ungerecht.
Teutloff-Geschäftsführer Burkhard Fenner: "Eine solche unterschiedliche Behandlung von Jugendlichen in der Ausbildung wollen wir nicht akzeptieren." Er kündigte an, Sandra Conrad in ihrem Bemühen um den Gesellenbrief zu unterstützen.
Für Fenner wiegt dabei besonders schwer, dass eine sogenannte Lernbehinderte mit gutem Erfolg eine ordentliche Gesellenprüfung des Handwerks gemeistert habe. Für den Chef des Wernigeröder Bildungsträgers ist die ablehnende Haltung der Handwerkerschaft nicht nur unverständlich, "auch schwer mit den Grundsätzen der Gleichbehandlung und des Diskriminierungsverbots vereinbar".
Malermeister Andreas Heine, der im Vorjahr auch Sandra Conrad geprüft hat, verwies auf einen entsprechenden Beschluss der Obermeister der Wernigeröder Handwerker-Innungen. Wichtig allein für den Prüfling sei das Zeugnis, und das habe die Wernigeröderin erhalten, so der Chef der Prüfungskommission. Allerdings bekannte er, er wünschte sich beim Thema Gesellenbrief "ganz persönlich schon eine Gleichbehandlung aller Prüflinge".
Zwei Handwerkskammern - zwei Auffassungen
Olaf Sandmann mag sich als Obermeister der Maler-Innung gegenüber der Volksstimme erst dann äußern, nachdem er sich dazu mit seinen Kollegen verständigt habe. Immerhin muss er einräumen, dass solcher Ärger um den Gesellenbrief "schon früher mal ein Thema war".
Die Handwerkskammer in Magdeburg unterstützt die Haltung ihrer Harzer Mitglieder. Auf Volksstimme-Nachfrage wurde mit dem Hinweis auf zwei Paragraphen der Handwerksordnung verwiesen, aus denen hervorgehe, dass Sandra Conrad und anderen Prüflingen, die nicht in einem Handwerksbetrieb gelernt haben, "nur ein Prüfungszeugnis zusteht". Davon, dass Gesellen wie die Wernigeröderin keinen Anspruch auf einen Gesellenbrief haben, steht in den von der Kammer angeführten Paragraphen31 und33 allerdings kein Wort.
Die Auffassung der Kammer wird auch vom Wirtschaftsministerium gestützt und gegenüber der Volksstimme ebenfalls auf die Handwerksordnung verwiesen, "in der ein Gesellenbrief nicht vorgeschrieben ist", hieß es.
Die Handwerkskammer in Halle teilte übrigens auf Nachfrage mit Hinweis auf die Handwerksordnung mit, sie vergebe Gesellenbriefe an alle erfolgreichen Prüflinge - unabhängig davon, ob sie in einem Handwerksbetrieb oder bei einem sogenannten Bildungsträger gelernt haben.