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Chormusik Das Schweigen der Sänger

Keine Klassik, kein Gospel - die Chöre in Sachsen-Anhalt sind (fast) still geworden. Corona hat mehr Auftritte unmöglich macht.

Von Bernd Kaufholz 17.10.2020, 01:01

Magdeburg l „Die Situation ist unübersichtlich und nicht weniger traurig“, sagt Reiner Schomburg, Präsident des Chorverbandes Sachsen-Anhalt. Von den 320 Singgemeinschaften, die im Landesverband organisiert sind, habe ein Drittel seit März keine Note mehr gesungen. „Ein Drittel probt wieder normal, das dritte Drittel trainiert seine Kehlen in größeren Schutzabständen.

An Auftritte sei so gut wie nicht zu denken. „Eine Ausnahme gab es am 3. Oktober mit der Aktion ,Deutschland singt‘, bei der Chöre aus der gesamten Republik mit Menschen vor Ort gesungen haben. In insgesamt 150 Städten und Gemeinden, darunter auch Magdeburg, Wernigerode und Stendal, hatten sich Menschen versammelt, um zu singen.

Doch sei es nicht nur das gemeinsame Musizieren, das den Chormitgliedern fehlt. „Es ist auch das soziale Gemeinschaftserlebnis, das die Sänger vermissen. Viele Chormitglieder treffen sich deshalb zu Kaffee und Bier, um das Miteinander zu pflegen.

Schomburg weiß aber auch, dass aufgrund der Altersstruktur viele der Chormitglieder lieber auf das Gemeinschaftserlebnis verzichten, da sie sich vor einer Ansteckung fürchten.

Ulrich Kallenbach ist Vorsitzender des Männergesangsvereins „Eintracht Frohsinn“ Trautenstein (Harz). Der Chor gehört zu jenen, die in diesem Jahr noch keine Note gesungen haben. „Unsere 25 Aktiven sind jenseits der 70 Jahre und gehören damit zur Risikogruppe. Ich möchte nicht derjenige sein, der es sich anheften muss, wenn einer unserer Sänger an Corona erkrankt.“

Erst kürzlich habe die Kreisvorsitzende schriftlich mitgeteilt, dass jetzt wieder geprobt werden könne, wenn alle Corona-Vorschriften eingehalten würden. Das habe ich strikt abgelehnt. Es gibt auch so etwas wie Fürsorgepflicht.“

Der 75-Jährige hält die Pandemie-Regeln in Bezug auf Chorproben „einfach nicht durchführbar und wer etwas anderes behauptet, der sagt nicht die Wahrheit.“ Zwei Meter Abstand – das ist etwas für Profichöre. Wir Amateure müssen nebeneinander stehen, um den anderen zu hören.“ Auch das kontinuierliche Lüften des Probenraums könne nicht durchgesetzt werden. „Wer will denn im Winter ständig die Fenster aufreißen.“

Seit dem traditionellen Kirchen-Konzert am 1. Weihnachtsfeiertag 2019 sind die „Frohsinn“-Männer nicht aufgetreten. „Natürlich vermissen wir das Singen und die Geselligkeit. Aber Vorsicht gehe nun mal vor. „Im November trifft sich der Vorstand wieder. Dann steht natürlich die Frage, wie es weitergeht ganz oben.“

„Multivokal“ aus Magdeburg hingegen probt seit einiger Zeit wieder gemeinsam und hatte sogar zwei Auftritte beim Chorfest in der Landeshauptstadt am vergangenen Wochenende.

Martin Richter, der seit 2014 das Vokalensemble leitet, freut sich darüber, dass es in diesem Jahr mit Auftritten noch geklappt hat. Denn auch der Chor hat lange Zeit nicht gemeinsam geprobt.

„Seit Ende März hatten wir keine Live-Treffen mehr“, sagt er. Ich hatte mir dann überlegt, ob wir wenigstens eine digitale Lösung finden. Ich habe mich zu Hause hingesetzt und ins Mikrofon gesprochen, als ob vor mir der Chor steht. Dann habe ich den Chormitgliedern die Noten des Klassikers für vier Stimmen zugeschickt und ihnen mitgeteilt, dass wir das gemeinsam singen, wenn es wieder möglich ist.“

Doch das sei nicht der einzige Versuch gewesen, die gesangsarme Zeit zu überbrücken. „Wir haben es mit einer sogenannten Ghostline versucht. Ich habe die Begleitung eines Kanons eingespielt. Die Sänger haben danach zu Hause ihre Stimmen aufgenommen und ich habe den ,Frühlingsgruß‘ übereinander geschnitten.“

Im Juni sei es möglich geworden, wieder in Kleingruppen zu proben. „Wir haben mit Vierergruppen begonnen, dann in Achtergruppen – natürlich mit Abstand und in einem gut durchlüfteten Raum.“

Das erste Mal gemeinsam seien die 21 Sänger im Juli wieder zusammengekommen. „Zur Open-Air-Probe unter der Sternbrücke. Sänger brauchen die Akustik und im Gewölbe klang es wie in einer Kathedrale.“

Seit Anfang September probt der Chor wieder gemeinsam unter Berücksichtigung der Corona-Richtlinien. Richter räumt allerdings ein, dass noch nicht alle Sänger wieder dabei sind. „Einige haben sich aufgrund der Pandemie-Situation abgemeldet. Das respektieren wir natürlich.“

Das traditionelle Adventskonzert werde es 2020 nicht geben, „aber auf Weihnachtsmärkten werden wir auftreten und für das Frühjahr haben wir schon feste Vorhaben.“